Neujahrsempfang des Diözesanrates
Der Diözesanrat fragt: Wohin geht die Arbeitswelt?
Arbeiten ist weit mehr als Geldverdienen und den Lebensunterhalt zu sichern. Darüber war man sich beim Neujahrsempfang des Diözesanrates einig. Klar wurde auch: Die Arbeitswelt von morgen bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich.
Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu Leben? Ist die Zukunft der Arbeit human, gerecht oder vielleicht völlig verrückt? Diese Fragen hatte der Diözesanrat über seinen digitalen Empfang gestellt. Immerhin: Zumindest auf die erste Frage hatten die drei Referenten des Tages eine ähnliche Antwort.'
Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, sagte: „Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens, nicht nur ein lästiger Teilaspekt.“ Andreas Luttmer-Bensmann, Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), meinte gar: „Arbeit ist ein Grundelement menschlichen Daseins, leben ist Tätigsein.“ Und Thymian Bussemer, bei Volkswagen als Bereichsleiter im Personalwesen zuständig für Strategie und Innovation, erklärte, dass Arbeit neben vielen anderen Aspekten zur „Sinnerfüllung“ des Menschen beitrage.
Große Differenzen zwischen den Referenten gab es auch bei anderen Punkten nicht, es waren eher die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Veränderungen, die das Thema interessant machten. Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa kritisierte den Einsatz von osteuropäischen Arbeitskräften beispielsweise in der Fleischindustrie oder als Erntehelfer. Sie habe große Fragezeichen, ob die Arbeitswelt gerechter werde. Angesichts der „Hybridisierung“ der Arbeit – gemeint ist, dass immer mehr Menschen zeitweise als Angestellte und zeitweise als Selbstständige arbeiten – forderte sie eine Ausweitung der Sozialversicherungspflicht auf Selbstständige.
Sie stellte die Frage, was es bedeute, wenn Menschen durch Homeoffice oder ständig wechselnde Arbeitsplätze keinen regelmäßigen Kontakt zu ihren Kollegen mehr hätten. „Wir sollten die persönliche Begegnung nicht unterschätzen, vieles kommt dann zu kurz“, meinte Welskop-Deffaa. Sie forderte einen „Gestaltungsprozess“ für die Arbeitswelt 4.0.
Die Caritas-Frau kam auch auf das kirchliche Arbeitsrecht zu sprechen, das einige Besonderheiten enthält, beispielsweise ein Streikverbot kirchlicher Mitarbeiter. Dort und bei weiteren Punkten müsse es eine Weiterentwicklung geben, forderte Welskop-Deffaa, die früher für den verdi-Vorstand gearbeitet hat. Der sogenannte Dritte Weg müsse sich einem „Glaubwürdigkeitscheck“ unterziehen – was so viel bedeutet, ob die Forderungen, die die Kirche erhebt, auch in ihren eigenen Arbeitsverhältnissen wiederzufinden sind.
KAB-Chef Luttmer-Bensmann forderte, den Begriff der Arbeit nicht nur auf die Erwerbsarbeit zu beziehen, sondern auf ehrenamtliche Tätigkeiten und Aufgaben im Haushalt: Kirchen, Musikgruppen Sportvereine oder Feuerwehren könnten ohne ehrenamtliche Arbeit nicht existieren. „Auch Kochen, Bügeln und Rasenmähen sind Arbeit“. Er forderte eine „Teilhabe für alle“ und machte sich für eine Demokratisierung der Arbeit stark. Der KAB-Vorsitzende wiederholte die Forderung seines Verbandes nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Er machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland immer noch 2,6 Millionen Arbeitslose gebe, davon 1 Million Langzeitarbeitslose. Luttmer-Bensmann kritisierte, dass Frauen nach wie vor in der Arbeitswelt benachteiligt würden. Generell müssten die Arbeitsbedingungen menschlich gestaltet werden. Wie die Caritaspräsidentin richtete auch er den Blick nach innen: „Die Kirche muss Missstände in der Arbeitswelt deutlicher kritisieren“, forderte er.
Etwas Beruhigendes hatte Thymian Bussemer zu vermelden: „Die Arbeit verschwindet nicht, sie verändert sich nur“, sagte der VW-Manager. „Menschliche Arbeit wird kostbarer,“ Fachkräfte fehlten. Bussemer sagte, er vermisse ein Engagement der Kirchen in Wirtschaftsunternehmen. So sei etwa die Stelle des 2019 aus dem Amt geschiedenen Kirchenbeauftragten bei VW bislang nicht nachbesetzt worden. Auch könne er im Wirken der Christlichen Gewerkschaft Metall keine Verbindung zur Botschaft der Kirchen erkennen. Es brauche neue Brücken und Dialoge, so der Bereichsleiter HR Strategie und Innovation des Volkswagen-Konzerns.
In der anschließenden Diskussion forderte Bischof Heiner Wilmer mehr Chancengleichheit im Bildungsbereich. „Hier haben wir einen hohen Nachholbedarf in der Bundesrepublik. Skandinavien ist da deutlich besser.“ Außerdem sprach sich Wilmer für eine deutlich höhere Bezahlung der sogenannten Care-Arbeit aus, womit der Bereich Pflege und Betreuung umschrieben wird. Hier müsse man überlegen, ob man nicht gar das Doppelte wie bisher bezahlen müsse, meinte der Bischof.
Matthias Bode