Ukrainischer Zweig der russisch-orthodoxen Kirche fordert Eigenständigkeit

Der Krieg spaltet die Orthodoxie

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Der ukrainische Zweig der russisch-orthodoxen Kirche will eigenständig sein. Doch der Moskauer Patriarch Kyrill I. verweigert die Zustimmung.

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Als Gefolgsmann des Agressors Putin hat sich Kyrill I. bei den meisten ukrainischen Laien und Geistlichen seiner Kirche diskreditiert. Foto: kna/CNS Photo/Robert Duncan


Mit ihren weit über 100 Millionen Gläubigen gilt die russisch-orthodoxe Kirche als mächtigste der weltweit gut ein Dutzend orthodoxen Nationalkirchen. Doch nun wendet sich ihr ukrainischer Zweig angesichts des russischen Angriffskrieges von ihr ab. Bei einem Landeskonzil in Kiew sprachen sich Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien mit überwältigender Mehrheit für die volle Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat aus. Kommt es nun tatsächlich zum Bruch, verliert die russisch-orthodoxe Kirche etwa ein Drittel ihrer Pfarreien und Geistlichen.

Die genauen Konsequenzen der Kiewer Konzilsbeschlüsse sind noch unklar, weil die ukrainische Kirche sie bisher nicht veröffentlichte. Doch die neue Eigenständigkeit unterstrich ihr 77-jähriges Oberhaupt Onufri bereits in seiner Sonntagsliturgie. Er nannte den Moskauer Patriarchen Kyrill I. (75) zum ersten Mal nicht mehr als Vorsteher seiner Kirche. Ähnlich, wie in katholischen Messen für den Papst und den Ortsbischof gebetet wird, wird in orthodoxen Gottesdiensten des jeweiligen Kirchenoberhaupts als "Herr und Vater" gedacht. Dies unterließ Onufri.

Aber für "autokephal", also völlig losgelöst von Moskau, erklärte sich die ukrainische Kirche bisher nicht. Für eine erfolgreiche Ablösung bräuchte sie die Zustimmung Moskaus oder ein Entgegenkommen anderer orthodoxer Kirchen, sagte die Theologin Regina Elsner. Prognosen seien aktuell schwierig. Allerdings sei seit einigen Wochen klar, "dass die russisch-orthodoxe Kirche den Großteil ihrer Gläubigen in der Ukraine verlieren wird, auf dem ein oder anderen Weg", so die Wissenschaftlerin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin.

 

Patriarch Kyrill rechtfertigt den Krieg

Die Empörung über den Moskauer Patriarchen in der Ukraine hat einen Grund: Kyrill I. rechtfertigt den russischen Angriffskrieg als "metaphysischen Kampf" des Guten gegen das Böse aus dem Westen, das die Grundlagen von Religion und Gesellschaft zu zerstören drohe. In der neuen, pompösen Armee-Kathedrale in Kubinka vor den Toren Moskaus schwor der Patriarch russische Soldatinnen und Soldaten persönlich auf den Kampf ein. Sie sollten ihren Eid erfüllen und bereit sein, ihr Leben für ihre Nächsten zu geben, wie es die Bibel besage. Damit übernahm er die Rhetorik von Kreml-Chef Wladimir Putin. Dieser hatte in einer Rede vor Tausenden Menschen mit Blick auf den Krieg auf den Vers aus dem Johannes-Evangelium verwiesen: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt."

Als Gefolgsmann des Aggressors Putin hat sich Kyrill I. bei den meisten ukrainischen Laien und Geistlichen seiner Kirche vollends diskreditiert. Dennoch bemüht er sich nun um sie. "Wir haben volles Verständnis dafür, wie die ukrainisch-orthodoxe Kirche heute leidet", sagte der Patriarch in einem Gottesdienst. Er verstehe, dass Onufri so weise wie möglich handeln müsse, "um das Leben der Gläubigen nicht zu erschweren".

Und nach einer Sondersitzung des Leitungsgremiums des Moskauer Patriarchats hieß es: "Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland, der mit allen von dieser Trübsal Betroffenen zutiefst mitfühlt, hat wiederholt alle Beteiligten aufgerufen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden, und forderte alle Mitglieder der russisch-orthodoxen Kirche auf, inständig für die baldige Wiederherstellung des Friedens zu beten und allen Opfern, einschließlich der Flüchtlinge, Obdachlosen und mittellosen Menschen, größtmögliche Hilfe zu leisten."

 

Kyrill warnt vor "bösen Geistern"

Den russischen Einmarsch in der Ukraine verurteilt Kyrill I. aber weiter mit keinem Wort. Stattdessen warnte er vor "bösen Geistern", die versuchten, "die orthodoxen Völker Russlands und der Ukraine zu spalten". Er sei "zutiefst davon überzeugt, dass dieses Ziel niemals erreicht werden wird, weil all diese Bemühungen nicht von Gott kommen und nicht seinen Segen haben".

Der Interimsleiter der russisch-orthodoxen Auslandskirche, Metropolit Mark von Deutschland, scheint die Ukraine schon verloren zu geben. "Mir fällt es schwer zu glauben, dass der ukrainische Teil unserer Kirche bei dem russischen bleiben will", sagte der 81-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Und die Ukrainer sind die gläubigsten Mitglieder in der russisch-orthodoxen Kirche", fügte er hinzu.

Die Abspaltung ihres ukrainischen Zweigs wäre "ein sehr herber Verlust für die russisch-orthodoxe Kirche", meint Theologin Elsner. "Die ideelle Frage ist aber vielleicht noch bedeutender, denn wenn die Ukraine sich komplett abwendet, steht der Bezug auf das Kiewer Erbe und zur Heiligen Rus in Frage." Kyrill könne sich eine Abkehr von seinem jahrelangen Projekt der "Russischen Welt", zu dem auch die Ukraine gehöre, wohl nicht vorstellen. Darum halte er so an der kirchlichen Einheit von Russland und der Ukraine fest.

kna