Von Orden lernen
In der Stille redet Gott
Was können andere Christen von Ordensleuten lernen? Von ihrem Leben, ihrem Glauben, ihrer besonderen Spiritualität? Im ersten Teil unserer Reihe antwortet darauf der Karmelit Reinhard Körner.
Ob man vom Karmelitenorden etwas lernen kann, lautet die Frage. Nun, wir Karmeliten und unsere Schwestern, die Karmelitinnen, haben wie alle klösterlichen Gemeinschaften einen Lebensstil, von dem sich nicht so ohne Weiteres etwas in andere Lebensverhältnisse hinein übernehmen lässt. Aber unser spirituelles Grundanliegen, das kann von jedem Menschen gelebt werden. Das können wir anbieten, wenn jemand etwas von uns lernen will. Es besteht, kurzgefasst, vor allem darin:
Wir im Karmel wollen Gott ernst nehmen. „In der Gegenwart Gottes leben“, nennen wir das. Wir setzen darauf, dass hinter der Vokabel Gott wer ist. Wir vertrauen der menschlichen Vernunft, die uns sagt: Dass die Welt da ist und nicht nicht da ist, muss einen Grund haben. Es muss eine größere Wirklichkeit geben, der sich alles, was da ist und sich entwickelt, verdankt.
Dieser Urgrund von allem kann nicht ein bewusstloses Etwas sein. Es muss ein Wer sein, einer, der von sich „Ich“ sagen kann und die Fähigkeit hat, das Universum (oder doch Multiversum?) zu wollen, ins Dasein zu setzen und im Dasein zu erhalten. Dass ein solcher Gott da ist, darauf bauen wir – wie so viele Menschen, gleich welcher Kultur und Religion, die in ihrem Herzen von einer Ahnung seiner verborgenen Gegenwart berührt worden sind.
„Beten ist wie ein Treffen mit einem Freund“
Und wir sind der Überzeugung, dass Gott seine Schöpfung liebt. Denn wir können uns nicht vorstellen, dass er in seinem Wesen und in seinem Charakter kleiner sein sollte als Jesus von Nazaret. Was Jesus gesagt hat und wie er gelebt hat, wie er Gott zugewandt und den Menschen zugewandt war, das bewegt uns. Deshalb nehmen wir uns die Zeit, die Bibel möglichst so verstehen zu lernen, wie sie gemeint ist. Denn wir wollen Jesus und seinen Gott immer besser kennenlernen.
Wir bauen auch darauf, dass Jesus nicht nur damals lebte. Wenn Gott uns Menschen liebt, dann will er uns für immer, dann geht unser Leben nicht einem Ende, sondern einem gro-ßen Ziel entgegen und unsere Verstorbenen sind uns von ihrem Dasein bei Gott her nahe.
Das gilt auch von Jesus. Deshalb beten wir zu ihm, und zwar nicht nur, indem wir Gebete sprechen, sondern uns auch mit eigenen Worten und aus dem Herzen heraus ihm zuwenden. Unsere Gebetszeiten sind, so hat es unsere Ordensgründerin Teresa von Ávila im 16. Jahrhundert formuliert, „wie ein Treffen mit einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“.
Eine große Bedeutung in unserem Tagesablauf haben längere Zeiten der Stille und des Schweigens. Denn im Schweigen können wir uns besser bewusstmachen, dass Gott da ist und dass Jesus als Auferstandener bei uns ist. Wir machen dabei die Erfahrung, dass Gott, Jesus und der Heilige Geist – als göttliche Dreieinigkeit – zu uns reden; nicht akustisch natürlich, aber dennoch sehr real: Immer, wenn ein Gedanke, eine Einsicht, ein Wort oder ein Ereignis uns anspricht und uns zum Guten bewegt, sehen wir Gott dahinter. Das ist seine Art zu reden.
Unser Beten besteht deshalb nicht nur darin, dass wir Gott etwas sagen, sondern dass wir uns von Gott etwas sagen lassen; dass wir also nicht nur reden, sondern vor allem hören. Wir wollen es wie Maria machen: Wir „bewegen es im Herzen und denken darüber nach“ (vgl. Lukasevangelium 2,19).
Auch heute, in unserer scheinbar so gottlosen Zeit, ist Gott kein schweigender Gott. Viele Menschen, auch viele Christen, kennen nur seine Sprache, seine Art zu reden nicht mehr oder sind für sie taub geworden; oder es hat ihnen noch niemand gesagt, wie Gott redet und wie man ihn hören kann. Deshalb gestalten wir in unseren Klosterkirchen die Gottesdienste so, dass sie auch Momente der Stille enthalten, und versuchen, das Kirchenchinesisch der Liturgie und der Glaubensverkündigung so zu übersetzen, dass es in die Stille hinein als Wort Gottes gehört und aufgenommen werden kann.
„Bei euch kann man so gut schweigen“
Wo es möglich ist, bieten wir in unseren Klöstern Tage der Stille oder auch Exerzitien an, nicht nur für Christen, sondern für alle, die eine Zeit des Rückzugs und der Besinnung suchen. „Bei euch kann man so gut schweigen und wieder zur inneren Mitte finden“, bekommen wir dann nicht selten gesagt, auch von Menschen, die keiner Konfession angehören.
Wir Karmeliten und Karmelitinnen in den Klöstern wie auch die Mitglieder der Laiengemeinschaft unseres Ordens sind eine kirchliche Gemeinschaft. Aber wir leben nicht für die Kirche und nicht für den Orden. Wir wollen für Gott und für seine Menschen, für alle seine Menschen, leben – und dadurch Kirche sein.
Reinhard Körner
Der Autor stammt aus dem Landkreis Cottbus. Er ist Rektor und Kursleiter am Exerzitienhaus „Karmel St. Teresa“ in Birkenwerder bei Berlin.