Im Norden wird um einen neuen Feiertag gerungen
Der Streit um den Feiertag
In Niedersachsen, sogar in ganz Norddeutschland wird um einen neuen Feiertag gerungen. Leider gerät die Debatte zu einem Lehrbeispiel: Wie eine sinnvolle politische Initiative falsch begonnen und so der Zweck eines Feiertages verwässert wird. Eine Betrachtung.
Die Ausgangslage sind Zahlen: Bayern 13, Baden-Württemberg, das Saarland und Brandenburg zwölf arbeitsfreie Feiertage. Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin haben dagegen lediglich neun. Das ist ungerecht – heißt es aus dem Norden. Spitzfindig könnte die Idee eines neuen Feiertages auch mit dem Grundgesetz begründet werden: Denn Artikel 72 sieht das Herstellen gleichwertiger Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik vor. Nun bedeutet gleichwertig nicht zwingend die gleiche Anzahl an Feiertagen – aber einer mehr im Norden geht schon in diese Richtung. Das ist gut so.
Jetzt verkünden die Regierungschefs der norddeutschen Bundesländer, sie haben in Sachen eines neues Feiertags für den Norden eine Einigung erzielt – dass es der Reformationstag sein soll, ist nicht unbedingt eine Überraschung. Schließlich hat sich gerade die große Koalition aus SPD und CDU in Niedersachsen, vor allem aber Ministerpräsident Stephan Weil und sein Stellvertreter Bernd Althusmann seit Monaten dafür stark gemacht. Gleichzeitig wird aber versichert, dass diese Initiative die Diskussion in den Landesparlamenten nicht vorgreifen will. Feiertage sind nun mal eine Angelegenheit der Bundesländer – mit Ausnahme des 3. Oktobers der als Tag der Deutschen Einheit durch einen Staatsvertrag bundeseinheitlich festgelegt wurde.
Aber ist es denn nun denkbar: dass die Regierungsfraktionen in Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Regierungschefs im Regen stehen lassen? Wohl kaum. Zumal durch die unterschiedlichen Regierungskonstellationen im Norden, die Opposition in anderen Parlamenten durchaus ausgebremst werden kann. Nur ein Beispiel: Wenn die Grünen als Regierungspartner in Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen dort in Sachen Reformationstag mitmachen – egal ob mit satter Überzeugung oder zähneknirschend – wird es für ihre Parteifreunde in Niedersachsen, hier Opposition, deutlich schwieriger dagegen zu sein. Obwohl sich gerade hier die Bündnisgrünen mit Verve für einen nicht-kirchlichen, einen säkularen Feiertag aussprechen – den Europatag am 9. Mai beispielsweise.
Wie kann ein Feiertag mit Leben gefüllt werden?
Natürlich ist es sinnvoll, wenn es einen gemeinsamen Tag im Norden gibt. Zudem ist es naheliegend auf den Reformationstag zu schauen. In Mecklenburg-Vorpommern ist er bereits arbeitsfrei. Aber das kann nicht das einzige Argument sein – ebenso wenig der Umstand, dass der Reformationstag im vergangenen Jahr einmalig bundesweit arbeitsfrei war.
Es rächt sich jetzt, dass die Debatte in Niedersachsen recht vorschnell auf den Reformationstag eingeengt wurde.
Denn es geht nicht nur um einen zusätzlichen freien Tag. Wie kann ein Feiertag mit Leben, mit Inhalt gefüllt werden, welche Bedeutung soll ihm gegeben werden? Und wer soll das tun? Feiertage wirken, wenn sie quer durch das Land begangen werden – und nicht nur als Festakt für 100 geladene Gäste.
Das bedeutet: Für einen neuen Feiertag im Norden braucht es eine breite gesellschaftliche und in der Folge parlamentarische Übereinkunft. Doch genau das ist beim Reformationstag nicht – oder nicht mehr gegeben. Zwar wird die evangelische Kirche nicht müde, das Reformationsjubiläum als religionsübergreifend, ökumenisch und weltoffen zu würdigen – und dass es nicht auf die Person von Martin Luther verengt gesehen werden darf. Denn die antisemitischen Schriften des Reformators machen den Reformationstag als gesetzlichen Feiertag für die Landesverbände der jüdischen Gemeinden im Norden untragbar. Eigentlich hätte sich damit die Diskussion um den Reformationstag ändern müssen – auf einen alternativen Tag.
Sicher ist die Reformation mehr als Luther. Aber blickt man auf Reformationsjubiläum und die zuvor von der evangelischen Kirche ausgerufenen „Lutherdekade“ (!) zurück, schaut man auf Lutherbier, Lutherbonbons, Lutherausstechformen, Lutherspielzeug und die bunten Lutherfiguren, mit denen gefühlt die halbe Republik zugepflastert wurde – an mehr als einer Stelle wurde die Reformation doch genau darauf verengt. Das gehört zur Ehrlichkeit über die religionsübergreifende und ökumenische Weltoffenheit dazu.
Auch für Katholiken ist der Reformationstag kein einfaches Datum. Erinnert er doch an die Spaltung der Christenheit. Es macht durchaus einen Unterschied, ob er einmalig aufgrund der besonderen historischen Bedeutung gefeiert wird – oder dauerhaft als Tag stehen soll, der sowohl die christlichen Konfessionen und die Weltreligionen verbindet.
Warum nicht der Buß- und Bettag?
Insofern ist der vom Katholischen Büro und vom Landeskatholikenausschuss frühzeitig in die Debatte eingebrachte Buß- und Bettag eine wirkliche Alternative. Aus mehreren Gründen: Zum einen greift er die evangelisch geprägte Tradition und Geschichte des Nordens auf. Denn im Kern ist der Buß- und Bettag ein evangelischer Feiertag. 1852 wurde er auf der Eisenacher Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen als gemeinsamer Landesbußtag in der damaligen Preußischen Union festgelegt. Damit wurden verschiedene regionale Bußtage auf einem Datum gebündelt. Zum anderen war bis er 1995 ein gesetzlich geschützter und damit arbeitsfreier Feiertag. Dann wurde sein arbeitsfreier Status – außer in Sachsen – als finanzieller Ausgleich für die Pflegeversicherung abgeschafft. Drittens aber – und das ist entscheidend: Beten und besinnen (denn genau das meint büßen) ist etwas, das sich durch alle Religionen zieht. Die Zwiesprache mit dem Göttlichen (das Beten), das Hinterfragen des eigenen Handelns in der Welt (das Besinnen) ist der Kern dessen, was Spiritualität genannt wird.
Oder doch etwas ganz anderes?
Oder wird im Norden der Republik etwas anderes versucht: Nicht einen bestehenden Tag „umwidmen“, sondern tatsächlich einen neuen schaffen. Vielleicht einen Tag des Brückenschlages zwischen den Religionen und Weltanschauungen. Denn unbestreitbar ist: Dieses Land wird multireligiöser. Es gehören nicht mehr 90 Prozent der Menschen in Niedersachsen einer christlichen Kirche an. Das kann still betrauert werden oder doch Ansporn sein – zum Gespräch mit anderen Religionen und auch mit Humanisten wie Konfessionslosen, über das, was trägt im Leben, das, was eine Gesellschaft zusammenhält, über ihre Vielfalt. Diese Debatte ist nötig, wenn nicht überfällig.
Was aber nicht passieren darf: Der Reformationstag wird gewissermaßen über eine Kampfabstimmung durchgedrückt. Es mag eine sicherlich große Mehrheit dafür geben. Aber auch eine große Mehrheit ist keine gesellschaftliche Übereinkunft.
Noch schlimmer wäre: Es wird der Reformationstag, weil er zufälligerweise in der zweiten Jahreshälfte liegt – und die Landespolitik jetzt noch Zeit genug für das entsprechende Gesetzgebungsverfahren hat. Das mag ein Wahlversprechen sein: „Wir streben die Einführung eines weiteren kirchlichen/gesetzlichen Feiertages in Niedersachsen an“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD/CDU. Aber durchgedrückt wird daraus kein Feiertag. Sondern „nur“ ein arbeitsfreier Tag. Auch schön. Aber eine verpasste Chance.
Rüdiger Wala