Kirche aus der Perspektive von Frauen
Die andere Sicht
Foto: Martin Buschermöhle
Christsein heißt auch Solidarität, hat Elżbieta Adamiak in ihrem Leben erfahren. Und viele Glaubensvorbilder waren nicht nur gottesfürchtige Gestalten, sondern Kämpferinnen und Kämpfer. Das versucht sie ihren Studierenden mitzugeben. Als Professorin für Dogmatik und Fundmentaltheologie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau bildet Adamiak vor allem Religionslehrerinnen und Religionslehrer aus.
Als die heute 59-Jährige 1983 an der Katholischen Universität in Lublin, im Osten der damaligen Volksrepublik Polen, ihr Studium begann, war sie eine Visionärin. „Das war ein interessengeleitetes Studium in einer Zeit, in der ich nicht sehr praktisch gedacht habe“, sagt sie.
Hoffnung, dass Kirche sich noch ändern kann
Denn berufliche Perspektiven gab es für katholische Laien, also Theologinnen und Theologen ohne Weihe, praktisch keine. Wer damals in Polen seinen Lebensunterhalt mit Theologie bestreiten konnte, war meist Priester, Bischof oder lebte in einer Ordensgemeinschaft. „Man konnte eigentlich nur als Katechetin arbeiten“, sagt Adamiak – damit jedoch war man ganz abhängig vom jeweiligen Pfarrer.
Für sie war Theologie ein Studium, das sich „mit den Grundsatzfragen des Lebens beschäftigt hat“, erzählt sie. Und damit wollte sie sich auseinandersetzen. Zum Beispiel mit der Frage der Freiheit. Als Adamiak gerade 17 Jahre alt war, wurde in ihrem Land das Kriegsrecht verhängt. Die kommunistische Regierung sah sich von der revolutionären Stimmung so unter Druck gesetzt, dass sie unter anderem die Versammlungsfreiheit einschränkte. Menschen verschwanden und wurden interniert, Nahrungsmittel wurden knapp und die Sowjetunion drohte mit militärischer Gewalt.
Was Freiheit und Solidarität bedeuteten, erlebte Adamiak wie viele Menschen damals in der Kirche. „Für Themen, die in Polen in den 70er und 80er Jahren verboten waren und nicht offen diskutiert wurden, gab es in den Kirchengemeinden diese Freiräume“, sagt sie.
Das bedeutete, sowohl miteinander zu beten als auch für gesellschaftliche Rechte einzutreten. So gratulierte sie gemeinsam mit anderen katholischen Studierenden Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa, als er 1983 den Friedensnobelpreis erhielt. Der kommunistische Staat sah darin eine unerwünschte politische Provokation. Für das Telegramm mussten sich Adamiaks Eltern anschließend vor dem staatlichen Sicherheitsdienst rechtfertigen.
Dass Adamiak Theologie studierte, war auch für sie als Frau nicht ungewöhnlich. „Die sichtbare Mehrheit im Theologiestudium bildeten Frauen, darunter Ordensschwestern, und Männer, die Laien waren.“ Die Priesteramtskandidaten studierten zu der Zeit nicht an der Uni, sondern im Priesterseminar, und waren damit wenig präsent. „Es war eine Art Selbstverständlichkeit, dass Frauen Theologie studierten“, sagt sie.
Der Unterschied begann für die Laien erst im Beruf. Nach ihrem Abschluss promovierte sie Anfang der 90er Jahre mit einer Doktorarbeit über Maria aus feministischer Perspektive. Danach arbeitete sie unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Poznań, wo sie sich später habilitierte. Seit 2014 lehrt Adamiak in Landau. In Polen hatte sie auch wegen ihres Interesses an feministischer Theologie keine Aussicht auf eine Professur. Als Mitglied und derzeit als Präsidentin der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen trägt sie dazu bei, dass sich Theologinnen, denen es weltweit ähnlich geht, miteinander vernetzen können.
Sie wird von der Mutter Jesu zu seiner Jüngerin
Elżbieta Adamiak schaut oft aus Frauenperspektive auf ihre Kirche. Feministische Theologie ist für sie ein Beitrag, dass „die Menschen nicht die Hoffnung verlieren, dass sich die Kirche noch verändern kann“, sagt sie. Nach dem Missbrauchsskandal haben sich auch in ihrer Heimat viele Männer und Frauen von der katholischen Kirche abgewandt. Adamiak kritisiert die starke Abwehrhaltung in Polens Kirche gegenüber Menschen, die nicht entsprechend der kirchlichen Sexualmoral leben wollen. Und wünscht sich einen anderen Blick beispielsweise auf die Demonstrantinnen gegen das dortige rigide Abtreibungsverbot. „Die Realität von vielen jungen Frauen, die auch gläubig sind und zur Kirche gehören, wird in der Kirche in Polen sehr wenig wahrgenommen“, sagt sie.
In dem Land sind legale Abtreibungen seit 2020 fast unmöglich geworden. Medizinischem Personal drohen Haftstrafen, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Sie sind nur dann zulässig, wenn eine Frau nachweisen kann, dass ihre Schwangerschaft Folge einer Straftat ist oder ihr Leben in Gefahr ist. Dennoch fürchten sich Ärztinnen und Ärzte, den Eingriff durchzuführen.
Unter den Demonstrierenden im Herbst 2020 waren nicht nur junge Frauen, auch viele Mütter und Großmütter seien mit auf die Straße gegangen, weil sie gespürt hätten ‚da will jemand über uns entscheiden‘, sagt Adamiak. Auch Männer haben sich beteiligt. Medien berichten, dass sich derzeit mehr Frauen fürchten, schwanger zu werden, weil sie Angst haben, dass ihnen bei Komplikationen nicht geholfen wird. Viele erleben die Kirche nicht solidarisch. Adamiak wünscht sich mehr Zuhören auf beiden Seiten. Die feministische Perspektive bedeutet für sie, auch zu fragen, wie sich kirchliche und biblische Lehren auf Frauent auswirken.
Gemeinschaft mit Jesus ohne Hierarchie
Wie die Frauen in der Bibel füreinander eintraten, hat sie schon während ihrer Zeit in Polen für ein breiteres, nichttheologisches Publikum aufgeschrieben. In zwei Bänden erzählt sie, auf welche Weise Frauen im Alten und im Neuen Testament Geschichte schrieben, ohne nur an der Seite der Männer zu stehen.
Die wichtigste Frau für ihren eigenen Glauben ist Maria. „Mein Leben hat mit dem Bild von Maria als bescheidener Frau im Hintergrund angefangen“, erzählt Adamiak. Später habe sie die „Maria des Magnificats“ entdeckt, also jene, die ein Loblied singt auf Gott, weil er gerecht ist, Machthaber entthront und Hungrigen zu essen gibt.
Maria ist für sie nicht nur Gottesmutter, denn sie habe eine Entwicklung durchgemacht, erklärt die Theologin. „Sie wird von der Mutter Jesu zu seiner Jüngerin.“
So wünscht sich Adamiak die Kirche von heute: eine Gemeinschaft von Menschen, die wie Maria „Jesus in freier Entscheidung nachfolgen und zwischen denen keine Hierarchie besteht“. Frauen wären von Ämtern nicht ausgeschlossen und kirchliche Funktionen würden „niemandem unbegrenzte Macht über andere geben“, sagt sie. „Der Synodale Weg geht schon in diese Richtung.“