Wie man heute Menschen in die Fülle des Glaubens einführt
Die ganze Wahrheit und das bisschen Glaube
Jesus ist Pädagoge: Noch, sagt er im Evangelium, könnten seine Jünger die ganze Wahrheit nicht tragen; Schritt für Schritt werde der Geist sie einführen. Langsam in den Glauben einführen, das machen auch Pfarrer Max Cappabianca und Pfarrer Peter Šoltés. Sie begleiten Menschen, die neu oder wenig fest im Glauben sind.
Von Theresa Brandl
Jesus sitzt mit seinen Jüngern im Abendmahlssaal. Sein Leiden und sein Sterben stehen unmittelbar bevor. Vieles hat er seinen Jüngern versucht zu erklären, seit Monaten und Jahren in Predigten, Gleichnissen und Gesprächen. Jetzt, kurz vor dem Ende, findet er – so erzählt es der Evangelist Johannes – noch einmal sehr viele, sehr komplizierte Worte. Und dann fällt dieser Satz, der fast wie ein Seufzen klingt: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“
Jesus kennt seine Leute. Er weiß: Es ist zu viel auf einmal, der Glaube ist kompliziert und das, was bevorsteht, wird schockieren. Aber, fährt er fort: „Wenn jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.“
Immer langsam voran im Glaubensleben, das scheint Jesu Motto gewesen zu sein. Pfarrer Peter Šoltés kann das gut verstehen. Er leitet in seiner Pfarrei
St. Bonifatius in Wiesbaden Glaubenskurse und führt Menschen in den Glauben ein, die die ersten Schritte im Christentum gehen.
Bibeltext und Lebenserfahrung müssen zusammenpassen
Diese Menschen kämen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, ließen sich aber grob in zwei fast gegensätzliche Gruppen einteilen, erzählt Šoltés: „Die einen leben in ganz glücklichen Umständen, die anderen kommen nach einem Bruch. Sie alle verbindet, dass sie auf der Suche sind.“ Und bei dieser Suche will der Pfarrer die Menschen unterstützen.
Das gelingt ihm, indem er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Bibelstellen aus dem Neuen Testament konfrontiert, die er genau zu ihrer jeweiligen Lebenssituation passend aussucht. Wenn beispielsweise jemand ihm erzählt, er fühle sich von anderen ausgegrenzt, kann er ihn damit ermuntern, dass Jesus in der Mitte aller Menschen ist. Und wenn er mit der Bibel nicht weiterkommt, nimmt er auch gerne einmal die Lebensgeschichte von Heiligen wie Elisabeth von Thüringen zur Hand und stellt Verbindungen her.
Junger Glaube ist noch sehr zerbrechlich
Es sei sehr wichtig, sagt Peter Šoltés, dass das, was er den Menschen im Glaubenskurs erzählt, möglichst nah an deren Alltag ist. „Es bringt nichts, das theoretisch zu erklären. Das langweilt, macht müde und beim nächsten Treffen kommen die gar nicht mehr“, sagt er. Jesus habe das bei seinen Jüngern genauso gemacht, denn auch ihnen wurde einiges, was er ihnen nahebringen wollte, erst nach seiner Auferstehung offenbar. Damit sie trotzdem verstanden, was er ihnen zu sagen hatte, sprach er deshalb häufig in einfachen Gleichnissen zu ihnen.
Zudem hätten viele Menschen, die den Weg in seinen Kurs finden, negative Erfahrungen mit dem Glauben gemacht, vielleicht die Vorstellung eines strafenden Gottes. „Mit diesen Leuten muss man wie mit jungen Pflanzen arbeiten – alles ist so zerbrechlich“, sagt Šoltés.
Vielleicht ist das mit der Einführung in den Glauben also ein bisschen so wie beim Lesenlernen in der Schule: Erst kommen die Buchstaben, dann die Wörter, dann kleine Texte. Und bis man die ganze Wahrheit von Dostojewski oder Thomas Mann begreifen kann, vergehen etliche Jahre.
Vieles kann man mit Worten nicht wirklich erklären
Auch Max Cappabianca hat viel mit Menschen zu tun, die nicht besonders fest im Glauben stehen. Der Dominikanerpater ist Studierendenpfarrer in Berlin und erlebt, dass selbst diejenigen, die noch „so ein bisschen christlichen Hintergrund hatten, ausbleichen, sobald sie in die Stadt kommen“. Viel anleiten und erklären, das sei seine Sache aber nicht. „Ich finde es blöd, dass wir Kirchenleute immer noch überall den lieben Gott draufschmeißen wollen“, sagt er und lacht. Der Dominikaner glaubt auch nicht, dass Jesus das getan hätte. Nein, Jesus „hätte auch auf den Geist vertraut, den er uns geschickt hat“. Und darauf, dass er in allen Menschen wirkt. Und deshalb ist es der Geist und nicht der Priester, der in die Wahrheit führt.
Was Cappabianca damit meint, erklärt er an einem Beispiel: So arbeitet er in der Hochschulgemeinde mit einem Mann zusammen, „der überhaupt nichts mit dem Glauben an Gott und Jesus Christus anfangen kann“, sagt Cappabianca. Trotzdem sei er ein guter Mensch und engagiere sich. „In meinen Augen ist er im Geist der Wahrheit“, sagt der Seelsorger. Aber wenn er versuchen würde, ihm genau das mit Worten zu erklären, sagte sein Bekannter: „Du, ich kann mit deinem Zeug nichts anfangen, aber lass uns zusammenarbeiten, damit diese Welt besser wird!“
Der Glaube ist kein Paket an festen Wahrheiten
Wenn Cappabianca den Sorgen und Nöten der jungen Menschen lauscht, „sehe ich Gott am Werk“, sagt er. Er versucht dann, ihnen einfach zuzuhören. Er sagt nie: „Du, die Krise, das hat so sein müssen, weil der liebe Gott dich dadurch wachsen lässt.“ Stattdessen erzählt er aus seinem Leben und davon, wie ihm gewisse Bibelstellen durch schwierige Zeiten geholfen haben und dass sie deshalb „für mich kleine Diamanten sind“. Wenn er dann spürt, dass sein Gegenüber für diese Art von Gespräch offen ist, kann es durchaus tiefer gehen und theologischer werden.
Manchmal muss er die Menschen dann aber auch enttäuschen. „Viele denken, dass der Glaube wie ein großes Paket an Wahrheiten ist“, sagt er. „Wir Menschen wollen Sicherheit haben und verstehen. Aber das Entscheidende ist, dass wir wirklich mit Jesus Christus in Verbindung stehen.“ Denn dann ist auch der Geist da, der, wie Jesus im Evangelium sagt, Stück für Stück und manchmal fast unbemerkt „in die ganze Wahrheit leitet“.