Hilfe für die Tschadregion
"Die Hilfe kommt nicht immer an"
In Berlin hat sich die internationale Gemeinschaft auf Unterstützung in Milliardenhöhe für die Anrainerstaaten des Tschadsees geeinigt. Seit Jahren wütet in der afrikanischen Krisenregion die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, Millionen Menschen leiden Not oder wurden vertrieben. Im Interview bewertet die Direktorin der Caritas-Partnerhilfsorganisation Aldepa in Kamerun, Marthe Wandou, die Ergebnisse der Konferenz.
Frau Wandou, was sind derzeit die Hauptprobleme in der Tschadsee-Region?
Das Hauptproblem ist der Boko-Haram-Konflikt, der seit zehn Jahren andauert. Durch ihn gibt es viele Flüchtlinge, aber noch mehr Binnenvertriebene. Viele Häuser wurden verbrannt, viele Ernten vernichtet, die Straßen sind unsicher. Auch viele Schulen wurden zerstört oder aus Sicherheitsgründen geschlossen. Die medizinische Versorgung leidet darunter, dass viele Krankenhäuser ebenfalls zerstört wurden. Durch die Schließung der Grenzen leidet der Handel und damit die ganze Region.
Rund 2,4 Millionen Menschen wurden in der Region vertrieben. Was wird aus ihnen?
Ein großes Problem ist der Zugang zu Land und Wasser. Dadurch, dass die Menschen vertrieben wurden und sich in bestimmten Bereichen konzentrieren, ist dann in diesen Bereichen zu wenig Land und Wasser für alle da.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse der Geberkonferenz für die Tschadsee-Region?
Das wichtigste Ergebnis ist, dass alle akzeptiert haben, dass man zwar weiterhin humanitäre Hilfe braucht, aber auch einen Ansatz, der Entwicklung mit einschließt. Auch wurden Themen angesprochen, die bislang nicht diskutiert worden waren: zum Beispiel die Verletzung der Menschenrechte nicht nur durch Boko Haram, sondern auch durch staatliche Streitkräfte, und auch das verbreitete Problem der Gewalt gegen Frauen.
Die Geberländer haben 2,17 Milliarden US-Dollar (rund 1,87 Milliarden Euro) zugesagt. Wie kann gewährleistet werden, dass das Geld bei denen ankommt, die es brauchen?
Das bleibt eine große Herausforderung und eine offene Frage, wie die Bevölkerung und die Organisationen vor Ort teilhaben können an diesem Geld. Ich hoffe, dass diese Mittel ankommen und für humanitäre Hilfe, Entwicklung und Stabilisierung eingesetzt werden können.
Welche konkreten Schritte und Ziele stehen in der Region in den kommenden Jahren an?
Die kürzlich verabschiedete Strategie der Tschadseebecken-Kommission muss in den einzelnen Ländern kommuniziert und unter Einbeziehung der Bevölkerung umgesetzt werden. Die Zivilgesellschaften in den einzelnen Ländern Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun sollten sich abstimmen und eine gemeinsame eigene Strategie erarbeiten. In der Konferenz kam man auch überein, dass man religiöse Führer stärker einbeziehen muss.
Wie sollte das aussehen?
Man könnte den Religionsführern an der Basis einen Raum geben, um sich die Inhalte, Ergebnisse und Strategien der Konferenz anzueignen. So kann man sie in die Lage versetzen, mit der Bevölkerung darüber sprechen zu können. Sie haben großen Einfluss und sprechen mit vielen Menschen und können so die Ergebnisse weitertragen. Man sollte den Religionsführern aber auch ermöglichen, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
In Oslo hatte die internationale Gemeinschaft Anfang 2017 bereits 672 Millionen US-Dollar zugesagt. Inwiefern hat dieses Geld geholfen?
Die Lage hat sich durch diese Unterstützung verbessert. Die Gelder haben bei der Wasserversorgung, medizinischer Versorgung und der Grundbildung geholfen. Auch psychologische Betreuung von Opfern des Konflikts konnte damit geleistet werden. Allerdings gingen nur zwölf Prozent der Mittel an lokale Organisationen.
Gibt es Probleme mit Korruption in der Tschadsee-Region?
Die Hilfe kommt nicht immer bei den Betroffenen an, dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um materielle Güter. Wir brauchen eine starke Kontrolle, um Korruption zu verhindern. Die Zivilgesellschaft hat zu wenig Einfluss auf Entscheidungen.
In manche Gebiete kehren nun Menschen zurück, die bei Boko Haram waren. Werden sie wieder aufgenommen?
Manche waren freiwillig als Kämpfer bei Boko Haram, andere als Gefangene oder Geisel. Beide Gruppen kehren jetzt zurück, aber die Gemeinden sind nicht bereit, sie aufzunehmen. Es gibt noch keinen klaren Ansatz, um dieses Problem zu lösen und die Wiedereingliederung der Menschen zu unterstützen.
kna