Interview mit Luca Lehman von Solwodi

Die Not nicht ausnutzen

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Ohne Skrupel werden Menschen in Not ausgenutzt. Inzwischen warnt die Polizei, dass Flüchtlinge aus der Ukraine – in erster Linie jüngere Frauen mit und ohne Kinder – Opfer von Schleppern werden oder in die Fänge von Zuhältern geraten. Solwodi in Braunschweig kämpft schon seit vielen Jahren gegen Zwangsprostitution und setzt sich für Frauen ein, die Gewalt erfahren, sagt Luca Lehmann von der Solwodi-Beratungsstelle.


 


Luca Lehmann ist Beraterin bei Solwodi in Braunschweig.

Können Sie bestätigen, dass Ukrainerinnen, die auf der Flucht vor dem Krieg sind, Opfer von Schleppern und Zuhältern werden?

Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Braunschweig, Marion Lenz, berichtete in einer Sitzung, dass in Salzgitter Lebenstedt, Frauen vor und sogar noch im Gebäude des Rathauses von Männern angesprochen wurden mitzukommen. Die Männer wollten verhindern, dass die Frauen registriert würden. Nachdem auf diese Problematik öffentlich hingewiesen wurde, wurde dort das Sicherheitssystem verstärkt. Marion Lenz schildert das Problem so:

„Auf dem Weg über die rettenden Grenzen wartet eine neue Gefahr: Schlepper versuchen die Not der Fliehenden auszunutzen. Frauen und Kinder sind oft auf sich allein gestellt und es droht ihnen unter anderem sexuelle Ausbeutung. Menschenhandel ist ein großes Business, das von Kriegen befeuert wird. Die Menschenhändler befriedigen damit eine Nachfrage. Am Tag der Invasion sind die Google-Suchen nach ‚Ukrainian girls‘ massiv angestiegen und bleiben seither hoch. Das gleiche Phänomen ist laut Hirzel auf Pornoseiten zu beobachten. Fälle von Ukrainerinnen, die in die Fänge von Menschenhändlern gerieten, sind schon nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 gemeldet worden.

Wie können wir vor Ort den Flüchtlingen zur Seite stehen und wie können sie sich selbst schützen?

Helfende vor Ort müssen offene Augen und offene Ohren haben. Sie müssen achtsam sein auf Menschen, die sich direkt an junge Frauen wenden und das Helfersystem zu umgehen versuchen.

„Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der Prostitution“ kann in Deutschland als legale Tätigkeit angeboten werden. Es ist schon perfide, besonders vulnerablen Frauen auch noch einzureden, dass es einen „Beruf Prostitution“ gibt. So wird suggeriert, dass Prostitution eine normale Tätigkeit sei. Wir wissen, dass dies nicht so ist. Die psychischen und physischen Auswirkungen für Frauen, die prostituiert werden, ist enorm. Es ist schon sehr perfide, Frauen, die aus einer großen Not kommen, derart zu missbrauchen und ihnen erneut Gewalt antun.  

Es gibt einige Regeln, die Flüchtende beachten sollten: Sie sollten niemals ihren Pass an Dritte abgeben. Die Frauen sollten über Notfallnummern in Deutschland informiert sein (Polizei 110). Sie sollten ihr Handy sicher bei sich verwahren, sodass es ihnen nicht abgenommen werden kann. Wenn ihnen eine private Unterbringung angeboten wird, sollten sie sich bei den Helfenden vor Ort vergewissern, dass es sich tatsächlich um eine angebotene Unterkunft handelt. Sind der Name, die Anschrift, Kontaktdaten des Anbieters bekannt und hinterlegt? Wurde der Wohnraum geprüft?

Sollte die Frau erst später merken, dass der angebotene Wohnraum inklusive Verdienstmöglichkeit eine Falle war, sie in die Prostitution zu locken, sollte sie sofort die Polizei rufen, sie sollte sich nicht scheuen, darüber zu sprechen. Es ist nicht ihre Schuld! Viele Frauen schämen sich für ihre angebliche Naivität, dass sie auf Versprechungen hereingefallen sind. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.

Viele Privatpersonen stellen zurzeit Wohnraum für Menschen aus der Ukraine zur Verfügung. Worauf sollten sie dabei achten und womit müssen sie bei ihren neuen Gästen rechnen?

Die Unterbringung von Frauen und Kindern aus Kriegsgebieten bedarf einer sehr guten Vorbereitung und einer Anbindung an das allgemeine Hilfssystem vor Ort. Privatpersonen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, sollten sich über ihre Beweggründe dafür im Klaren werden. Mitunter werden mit einer Aufnahme aber auch unrealistische Erwartungen wie ein familiärer Anschluss oder freundschaftliche Beziehungen verbunden. Diese können bei einer Aufnahme nicht vorausgesetzt werden und können zu einem späteren Zeitpunkt für Enttäuschungen sorgen.

Auch der Wohnraum an sich muss gut angeschaut werden.  Die Frauen und Kinder, die aus Kriegsgebieten kommen, haben traumatisierende Erlebnisse hinter sich. Sie brauchen Rückzugsorte, eigene Bereiche, um das Erlebte zu verarbeiten. Einliegerwohnungen eignen sich gut. Eine direkte Aufnahme in den eigenen Haushalt muss mit der gesamten Familie sehr gut durchdacht werden und kann nur als eine vorrübergehende Lösung verstanden werden. Auf Dauer kann dies sowohl für die aufnehmende Familie als auch für die Aufgenommenen zu belastend werden.

Der Faktor Zeit spielt auch eine wesentliche Rolle. Die aufgenommenen Personen benötigen Unterstützung in vielen Bereichen wie der Anmeldung bei der Ausländerbehörde, dem Sozialamt, der Kontoeröffnung. Sie müssen begleitet werden zu Kindertagesstätten, Schulen, Deutschkursen. Privatpersonen, die Wohnraum zur Verfügung stellen, sollten gut vernetzt sein mit dem gesamten Helfersystem vor Ort. So könnten andere Unterstützende eine Art Patenschaft übernehmen, um diese Begleitdienste zu übernehmen.  

Besteht da nicht auch die Gefahr einer Überforderung?

Ich möchte jetzt nicht vor einer privaten Aufnahme warnen, jedoch sollte eine Aufnahme sehr gut mit den Verantwortlichen vor Ort in den Kommunen oder den Wohlfahrtsverbänden abgesprochen werden. In Braunschweig organisiert ein Netzwerk verschiedener Träger die Angebote für Wohnraum (www.ukrainehilfe38.de). Sehr detailliert wird dort in einem Kontaktformular neben den allgemeinen persönlichen Daten abgefragt, wie der Wohnraum beschaffen ist und für welchen Zeitraum eine Unterbringung möglich wäre.

Bietet Solwodi auch eine spezielle Beratung für Frauen an, die dem Krieg in der Ukraine entronnen sind, aber auf der Flucht viel Leid, Elend und vielleicht sogar Gewalt erlebt haben?

Wir sind für diese Frauen da. Wir bieten psychosoziale Betreuung. SOLWODI unterhält eigene Schutzwohnungen für besonders vulnerable Frauen. Wir vermitteln weiterführende therapeutische und medizinische Hilfen, wir begleiten zu Ämtern und Behörden und vermitteln Sprach- und Integrationskurse. Wir entwickeln mit den Frauen neue Lebens- und Zukunftsperspektiven – soweit dies in dieser absoluten Ausnahmesituation von Krieg und Flucht überhaupt möglich ist.

Fragen: Edmund Deppe

 

Gegründet von Ordensschwester
„SOLidarity with WOmen in DIstress“, das heißt übersetzt – Solidarität mit Frauen in Not. Die Organisation wurde nach ihrer Erstgründung in Kenia 1987 auch in Deutschland von Sr. Lea Ackermann gegründet. SOLWODI unterhält in Deutschland heute 19 Beratungs- und Kontaktstellen sowie Frauenschutzwohnungen für Migrantinnen und deren Kinder, davon eine in Braunschweig.

Spendenkonto: SOLWODI Braunschweig; IBAN DE12 2505 0000 0000 4032 04