Helene Schüngel-Straumann gründete die feministische Theologie mit
Die Seniorfeministin
Foto: kath.ch/Vera Rüttimann
Als Helen Straumann 1940 in der Schweiz geboren wurde, gab es das Wort „feministisch“ noch nicht. Und Frauen hatten in Kirche und Gesellschaft insgesamt wenig zu sagen. Es war meist auch nicht vorgesehen, dass sie eine höhere Bildung anstreben, zumindest nicht als Kind kleiner Leute.
Aber Helen wollte sich nicht in diese Schablone pressen lassen. „Ich war immer sehr fromm“, sagt die heute 83-Jährige. Sie war aber auch sehr neugierig und kritisch. „Es hat mich schon mit acht oder neun aufgeregt, dass ich in unserem Dorf nicht Ministrantin werden durfte“, sagt sie. Stattdessen habe sie der Pfarrer beauftragt, den Bauernjungs die lateinischen Antworten beizubringen, die das kluge Mädchen damals schon konnte. „Er hat oft gesagt: Schade, dass du nur ein Mädchen bist!“
„Theologie kann eine Frau nicht studieren“
Als Helen Straumann älter wurde, wurden die Fragen nicht weniger. Und die Antworten nicht mehr. „Ein junger Vikar hat mich immer zurechtgestutzt, wenn ich etwas Schwieriges fragte, und hat gesagt: Das kannst du nicht wissen, du hast nicht studiert!“, erinnert sie sich.
Nein, studiert hatte sie nicht, sie hatte die Handelsschule besucht. Und überlegt, in einen Orden einzutreten. „Aber das war damals noch so eng“, sagt sie, „sogar die Briefe, die man schrieb oder erhielt, wurden kontrolliert.“ Heute, sagt Helen Schüngel-Straumann, sei das natürlich ganz anders. „Ich kenne ganz tolle Ordensfrauen“, sagt sie. „Die stehen heute an vorderster Front, wenn es um Reformen und die Rechte von Frauen geht.“
Wie sie auf die Idee kam, Theologie zu studieren, das sei „schwer zu erklären“, sagt sie. „Als ich bei der Kirche nach einem Stipendium gefragt habe, haben sie mich ausgelacht. ‚Das kann eine Frau nicht studieren!‘, haben sie gesagt.“
Es gab aber auch andere. Zum Beispiel den Priester und Alttestamentler Herbert Haag, der in Luzern lebte, als Helen Straumann dort die Handelsschule besuchte. „Er gab privat und gratis einen Hebräischkurs und lud mich ein, mitzumachen“, sagt sie. Der Kontakt brach auch nicht ab, als die junge Frau nach Zürich zog und neben ihrer Arbeit als Sekretärin an der Abendschule die Matura nachholte. „Typ A mit Latein und Griechisch“, sagt die Theologin.
Endlich konnte das Studium beginnen – in Tübingen, dort, wo Herbert Haag gerade eine Professur angetreten hatte. In Tübingen lernte sie auch ihren späteren Mann kennen. „Eine Lebenswende“, sagt Schüngel-Straumann, nicht nur wegen des neuen Doppelnamens, sondern „weil ich Ehe und Familie eigentlich ausgeschlossen hatte“ – zugunsten der Theologie.
Entweder Theologie oder Familie? Was aus heutiger Sicht schräg klingt, sollte sich schmerzhaft bewahrheiten. Denn hatte Straumann – meist als einzige Frau unter vielen Priesteramtskandidaten – durchaus Lob und Förderung erfahren, endete das mit dem ersten Kind. Inzwischen hatte sie in Bonn ihr Diplom gemacht, im Fach Altes Testament eine Assistentenstelle und arbeitete an einer Doktorarbeit. Als sie ihrem Doktorvater Johannes Botterweck erzählte, dass sie schwanger sei, sagte der: „Es ist zum Kotzen!“ Ihr Vertrag wurde nicht verlängert.
Keine Promotionsfeier wegen eines Babybauchs
Und das war nur die erste einer langen Reihe von Schikanen, die Helen Schüngel-Straumann erleben musste: bei der Dissertation, bei Bewerbungen um Universitätsstellen. Dennoch war sie die erste Frau, die an der Universität Bonn im Fach Katholische Theologie promoviert wurde. „Mit Bibeln und Windeln“ titelte der „Kölner Stadt-Anzeiger“. An der Promotionsfeier konnte Schüngel-Straumann allerdings nicht teilnehmen: Sie war mit dem zweiten Kind schwanger und ein Bauch gehörte sich nicht.
Warum hat sie in all den Jahren nie hingeworfen? „Mein Glaube hat mich sehr gestützt“, sagt Helen Schüngel-Straumann. „Ich habe Gott vertraut, dass er an meiner Seite ist.“ Auch die Söhne haben geholfen. „Kinder haben ja die wunderbare Fähigkeit, einen abzulenken und aufzumuntern.“
Geholfen hat aber auch ein neuer Ansatz, der in den 1970er Jahren begann und an dessen
Spitze Helen Schüngel-Straumann viele Jahre stand: die feministische Theologie. Netzwerke und Kongresse, gemeinsames Einstehen füreinander, „das war für mich schon eine Berufung“, sagt die Theologin. Bis nach Rom zu Kardinal Ratzinger fuhr sie, um für die Lehrerlaubnis von Kolleginnen zu kämpfen. Dass der damals zuständige Bischof Johannes Dyba ihrer eigenen Berufung zur Professorin an der Gesamthochschule Kassel zugestimmt hat, hält sie „geradezu für ein Wunder“. „Ich weiß auch nicht, wie ich den um den Finger gewickelt habe“, sagt sie.
Helen Schüngel-Straumann lebt inzwischen in einer Alterssiedlung in Basel und hat mit Krankheiten zu kämpfen. Für die Kirche, die machtbesessenen Männer in Rom hat sie kaum noch Hoffnung. Doch der Glaube ist ihr weiterhin wichtig. „Wann immer ich gesundheitlich kann, gehe ich in die Kirche“, sagt sie. „In unserer Heilig-Geist-Kirche kann man sich wohlfühlen.“
Sie sagt aber auch, dass Glaube im Alter nicht unbedingt leichter wird, dass man nicht frömmer wird. „Es gibt schon manchmal Zweifel“, sagt sie und verweist auf ihre Lieblingsheilige, Teresa von Avila. „Sie hat gerade im Alter die dunkle Nacht des Glaubens erlebt“, sagt Schüngel-Straumann.
In einem ist sie sich aber sicher: Ihr langer Kampf für Frauen in der Kirche hat sich gelohnt. „Ich habe so viele Vorträge gehalten, zu denen die Frauen wirklich in Scharen gekommen sind“, sagt sie. „Gerade die älteren haben sich so gefreut, dass für uns Frauen vieles anders wird.“ Vieles, „aber längst nicht genug“.
Zur Sache: Stiftung und Autobiografie
1996 hat Helen Schüngel-Straumann eine Stiftung gegründet, in deren Mittelpunkt eine Bibliothek für Feministische Theologie steht. Lesenswert ist ihre Autobiografie:
Meine Wege und Umwege. Eine feministische Theologin unterwegs. Schöningh 2011. 275 Seiten. 42,90 Euro