Wie unsere Begabungen den anderen nützen

Die Talentschmiede

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Wir brauchen noch ... wer macht‘s? So funktionierte Gemeindearbeit früher. Heute muss es eher umgekehrt sein: Welche Talente hast du, die du einbringen 
willst? Auch auf die Gefahr hin, dass manches nicht mehr getan wird, sagt Martin Hochholzer aus Erfurt.

Foto: kna/Theodor Barth
Theater statt Andacht? Wer nach neuen Ideen und Talenten fragt, muss auf Überraschungen gefasst sein: ein Weihnachtszirkus im Dezember in St. Michael in Köln. Foto: kna/Theodor Barth

Von Kerstin Ostendorf

Schon der Apostel Paulus wusste: Damit eine Gemeinde funktioniert, damit sie lebendig ist und die Botschaft Jesu lebt und weiterträgt, braucht es Menschen mit unterschiedlichen Talenten. In der Lesung an diesem Sonntag spricht er von der Gabe, Weisheit mitzuteilen und Erkenntnis zu vermitteln. Von der Gabe, Krankheiten zu heilen, voller Glaubenskraft zu sein oder unterschiedliche Sprachen zu sprechen und zu verstehen. Doch was brauchen unsere Pfarrgemeinden heute?
 
„Wir brauchen Menschen, die Trost spenden, die freundlich sind, die Gespräche gut führen können“, sagt Martin Hochholzer vom Referat Evangelisierung und Charismenorientierung der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt. Genauso wichtig seien aber auch handwerkliches Geschick oder musikalisches Talent. „Oder technisches Wissen, um eine Homepage zu gestalten und Social-Media-Kanäle zu pflegen. Kurz gesagt: Eine Gemeinde kann alle Talente gebrauchen.“ 

Graffitiprojekt und Gesangsunterricht

Hochholzer ist aber eine neue Perspektive auf die Gemeindearbeit wichtig: „Es geht nicht nur darum, was eine Kirchengemeinde braucht, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Gemeinden sollten zuerst schauen, welche Talente und Fähigkeiten die Menschen haben und wie man sie in die Gemeindearbeit und auch darüber hinaus einbinden kann“, sagt er.

Genau das meint das Stichwort Charismenorientierung. Die Idee: Die Gemeinden stellen nicht nur eine Liste auf, welche Ehrenamtlichen für bestimmte Aufgaben gesucht werden, sondern schauen, welche Talente und Fähigkeiten die Menschen einbringen möchten. Vielleicht gehört zur Gemeinde eine Künstlerin, die mit Jugendlichen ein Graffiti-Projekt starten möchte. Oder ein Musiklehrer hat Interesse, im Pfarrhaus Gesangsunterricht zu geben. „Jeder hat Gaben, die Gott ihm geschenkt hat. Wir sollen sie nutzen, um die Kirche und den Ort, an dem wir leben, zu gestalten“, sagt Hochholzer.
 
Er ermuntert, dabei über die eigene Kirchengemeinde hinauszuschauen. „Christliches Leben spielt sich nicht nur hinter Kirchenmauern ab. Wenn wir unsere Charismen ernst nehmen, dann müssen wir uns fragen: Wofür habe ich mein Talent? Wie kann ich es nutzen? Wozu bin ich als Christ da?“ Vielleicht entdeckten die Menschen auch, dass sie ihre Talente noch besser in einer nichtkirchlichen Initiative einbringen können. So kann eine christliche Haltung in die Gesellschaft wirken. Wenn wir Christen stärker auf unsere Charismen achten, könnten wir darin auch das Wirken des Heiligen Geistes entdecken. „Wenn wir offen sind, unsere Talente zu entdecken, können sie uns eine Richtung zeigen, in die sich unsere Kirche entwickeln kann“, so Hochholzer.

"Das sind unangenehme Fragen"
 
Doch diese Sichtweise ist noch nicht in vielen Kirchengemeinden verbreitet. Die Christen seien viel zu verunsichert, wie die Zukunft ihrer Kirche aussehen könnte. Wollen sie in der Pfarrei etwas verändern, müssen sie sich häufig vor anderen erklären und rechtfertigen. „Daher versuchen viele Gemeinden, traditionelle Angebote so lange wie irgendwie möglich aufrechtzuerhalten“, sagt Hochholzer. Das Osterfeuer, das Pfarrfest im Sommer oder der Laternenumzug sind liebgewonnene Aktionen, die weiterhin stattfinden sollen. Doch was passiert, wenn sich keine Ehrenamtlichen mehr finden, die dabei helfen möchten? Wenn sich zur Sternsingeraktion niemand bereit erklärt, die Kinder zu begleiten oder ein Mittagessen zu kochen? Was wird aus dem Seniorennachmittag, wenn keiner das Treffen vorbereiten möchte?

„Das sind unangenehme Fragen, die sich die Gemeinden aber stellen müssen“, sagt Hochholzer. „Wir sind noch zu sehr darauf gepolt, weiterhin das anzubieten, was wir jedes Jahr gemacht haben. Aber wenn keine Energie mehr dafür da ist, dann muss man es auch mal sein lassen.“ Hochholzer weiß, dass solche Erkenntnisse schmerzhaft sind. „Aber wir sind viel zu oft eine Kirche, in der Bestehendes verwaltet wird und um jeden Preis fortgeführt werden soll.“

Lasst es uns doch einfach ausprobieren

Gleichzeitig gebe es aber auch Gruppen und Vereine, die neue Formate wagen und Projekte starten. „Diese Innovationen müssen wir stärken. Sie sind eine Möglichkeit, Menschen neu anzusprechen, sich in der Kirche einzubringen.“ Eine wichtige Rolle spielen dabei die Hauptamtlichen. „Sie sollen die Menschen ermutigen, eigene Ideen umzusetzen und selbst die Initiative zu ergreifen“, sagt Hochholzer. Die Orientierung auf die Charismen der Menschen müsse zu einer Grundhaltung und zu einem Leitungskriterium werden. Das gelte für Bischöfe, Pfarrer, pastorale Mitarbeiterinnen, aber auch für jedes einzelne Gemeindemitglied. „Wir müssen in unseren Kirchengemeinden Räume schaffen, in denen die Menschen sich ausprobieren können“, sagt Hochholzer. Man dürfe nicht sofort sagen: Das geht nicht. Das funktioniert nicht. Das haben wir noch nie gemacht. Solche Sätze demotivieren. „Wir sollten fragen: Wie machen wir das möglich? Wir müssen in unseren Gemeinden flexibler werden und Neues wohlwollend begleiten.“

Dann könnten sich neue Formate entwickeln, wie etwa das Beispiel von „Fresh X“ zeige, deren Projekte man in der evangelischen Kirche immer häufiger finde. Dabei gehen Gläubige auf Menschen zu, die bisher keinen Kontakt zur Kirche oder zu einer Gemeinde hatten. Es werden etwa offene Treffen in einer ungewöhnlichen Umgebung, wie einem leerstehenden Geschäft, oder besondere Andachten und Gottesdienste angeboten. „In der katholischen Kirche sind solche Initiativen noch dünner gesät“, sagt Hochholzer.

Dass aber seit einigen Jahren stärker auf die Charismen geachtet werde, zeigten die Engagementförderer, die in einigen Bistümern eingesetzt werden. Im Erzbistum Köln etwa werden eigens Hauptamtliche angestellt, die den Menschen vor Ort helfen, ihre Gaben einzubringen. So entsteht eine neue Ehrenamtskultur. „Das ist ein gutes Beispiel, wie Charismenorientierung umgesetzt werden kann“, sagt Hochholzer.