Interview mit Bischof Cesar Essayan aus dem Libanon
Die Vergangenheit kritisch aufarbeiten
Der Libanon muss sich nach Einschätzung des Apostolischen Vikars von Beirut, Bischof Cesar Essayan, kritische Fragen zu seiner Vergangenheit stellen, um das Land wieder zu befrieden. Im Interview spricht der 57-jährige Minoritenpater über US-Präsident Donald Trumps Nahost-Friedensplan, die Not der libanesischen Bevölkerung, die Lage der Geflüchteten aus Syrien und drohende Gewalt zwischen beiden Gruppen.
Herr Bischof, die Misereor-Fastenaktion legt den Fokus auf Libanon und Syrien. Wie sind deren Beziehungen?
Die Situation ist komplex. Wir sind Nachbarn und leben zusammen. Gleichzeitig hat die jahrelange Präsenz der syrischen Armee im Libanon eine Entfremdung bewirkt. Der Libanon hat lange gebraucht, zumindest den Anschein einer Unabhängigkeit zurückzuerlangen. Bis heute hält das Gefühl einer syrischen Einmischung an, ob zu Recht oder nicht.
Welche Rolle spielen dabei die Flüchtlinge?
Die Zahl der Syrer entspricht mehr als einem Viertel der im Land lebenden Libanesen. Das hat eine wirtschaftliche, aber auch eine humanitäre Bedeutung. Diese Menschen haben das fundamentale Recht, in ihr Land zurückzukehren. Es geht nicht darum, sie zurückzuschicken, sondern ihnen diese Chance und Wahl zu geben. In der Unsicherheit, in der viele Syrer heute sind, können sie kein normales Leben führen. Die Situation ist unhaltbar.
Gleichzeitig wächst die Armut der Libanesen.
Vielleicht haben wir die Krise nicht kommen sehen, aber die Armut im Libanon ist nichts Neues und sie verschärft sich. Hilfsgelder, die in den Libanon kamen, sind mit dem Krieg nach Syrien gegangen. Viele Libanesen stört, dass Geld in ausländischen Währungen im Libanon ankommt und in die Hände der Syrer geht, während Libanesen größte Schwierigkeiten haben, an Geld in den Banken zu kommen, bezahlt zu werden oder überhaupt ein Einkommen zu finden. Das hinterlässt einen Beigeschmack, verstärkt durch die wirtschaftliche Lage. Wenn sich die Situation weiter verschlimmert und es syrischen Flüchtlingen besser geht als armen Libanesen, könnte es früher oder später zu Gewalt zwischen beiden kommen.
Welche politische Lösung könnte es für Syrien geben?
Es ging in Syrien nie um den Regimewechsel, sondern um eine systematische Zerstörung des Landes. Dahinter steht ein Puzzle aus verschiedenen internationalen Interessen. Ob Präsident Baschar al-Assad dabei das einzige Problem ist, weiß ich nicht. Wer zahlt, bestimmt, und wir wissen nicht, wieviel der Präsident für seinen Machterhalt gezahlt oder geboten hat, an wen und mit welchen Subventionen. Das gleiche gilt für die anderen Gruppen wie Isis und andere. Die Lösung überschreitet den strikt syrischen Rahmen, weil es internationale Faktoren gibt. Doch die Syrer müssen selbst entscheiden, welche Lösung es für Syrien geben soll. Wenn sie nicht mit ihrem Präsidenten zufrieden sind, müssen sie ihn auswechseln, so wie normalerweise in aller Welt das Volk entscheidet. Wir können ihnen helfen, sich zu befreien, aber wer sich nicht für die Freiheit entscheidet, dem kann man sie nicht geben.
Es wird viel über die Korruption im Libanon gesprochen. Wie kann sie beendet werden?
Die Korruption im Libanon hat sich über Jahre derart im System verwurzelt, dass ein Ausweg schwierig scheint. Zum einen sind die Kriegsherren des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 diejenigen, die weiterhin das Land regieren. Sie werden keinen Frieden schließen, sondern den Kuchen unter sich aufteilen und ihre Interessen schützen. Der zweite, nicht weniger wichtige Faktor: Es hat bisher keine kritische Aufarbeitung unserer Vergangenheit stattgefunden.
Soll heißen?
Der Bürgerkrieg, die Spaltungen und die Korruption - wie sind wir dahin gekommen und warum haben wir bis jetzt nichts getan? Auf diese Fragen müssen wir antworten, um das Land wieder aufbauen zu können. Ich sehe die Demonstrationen in Beirut und verstehe die gerechtfertigten Forderungen. Aber auch wir haben von der Korruption der Mächtigen profitiert. Wer von uns hat nicht an der Tür eines Chefs oder eines Verwandten geklopft, um Arbeit für seinen Sohn zu finden. Es wird keine Veränderung geben, solange die Libanesen nicht bereit sind, selbst die Protagonisten des Wiederaufbaus zu werden.
Der Plan von US-Präsident Donald Trump für Nahost sieht kein Rückkehrrecht für Palästinenser vor. Was bedeutet das für den Libanon?
Die Palästinenser wurden in unhaltbaren Zuständen in Lagern untergebracht, immer in der Annahme, dass sie bald zurückkehren werden. Auf der anderen Seite haben sie viel Geld aus den arabischen Ländern erhalten, damit sie dort, wo sie sind, auf ihre Rückkehr warten. Aber die heutige Generation kennt Palästina überhaupt nicht. Sie werden niemals nach Palästina gehen, darüber muss man sich im Klaren sein.
Das Rückkehrrecht ist eine Sache. Die Realität und der Wunsch nach Rückkehr sind eine andere. Die palästinensische Sache ist gestorben, mit den jüngsten Entscheidungen von Trump noch einmal mehr. Gleichzeitig haben sich die Palästinenser nie in die libanesische Gesellschaft integriert - nicht, weil sie nicht wollten, sondern weil es schwierig war. Aber die Frage der Palästinenser und ihrer Einbürgerung jetzt aufzuwerfen, wäre ein zusätzliches Problem, das wir nicht brauchen können. Der Libanon benötigt eine Zeit der Ruhe, um sich wieder aufzurichten.
kna