Interview mit Jörg-Dieter Wächter
Die Zukunft ist kooperativ
In den meisten Bundesländern scheint es, so das Ergebnis einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes, beim Religionsunterricht einen rückläufigen Trend zu geben. Auch in Niedersachsen würden sich immer weniger Schülerinnen und Schüler oder deren Eltern für die Teilnahme am konfessionellen Unterricht entscheiden. Das kann Jörg-Dieter Wächter, Leiter der Hauptabteilung Bildung im Bischöflichen Generalvikariat, nicht bestätigen.
Gibt es so einen Trend auch im Bistum Hildesheim?
Einen solchen Trend kann ich nicht bestätigen. In Niedersachsen läuft seit einigen Jahren der Versuch, „Werte und Normen“ als Unterrichtsfach auch in der Grundschule anzubieten. Wenn Kinder oder besser die Eltern dieses Angebot annehmen, dann erhöht sich natürlich der Anteil von „Werte und Normen“, was ja dann auch statistisch nachvollziehbar ist. Aber ich kann nicht erkennen, dass sich signifikant mehr Kinder vom Religionsunterricht abmelden als bisher.
Woran liegt es, dass vermehrt an vielen Schulen Fächer wie „Werte und Normen“ oder ethisch-philosophische Fächer angeboten werden?
Das liegt klar auf der Hand. Erstens ist Religion kein Wertefach, sondern ein Fach, in dem es um religiöse Bildung und nicht um religiöse Ethik geht. Sicherlich gehört das auch dazu, aber um Ethik geht es auch in anderen Fächern. Zweitens haben wir immer mehr Kinder, die keiner Konfession angehören und denen kann man nicht einfach katholischen oder evangelischen Religionsunterricht anbieten, sondern muss für sie ein Ersatzfach schaffen. Und dies ist für Kinder, die keiner Konfession angehören, in der Regel „Werte und Normen“. Dieses Fach muss man also nicht nur wählen, wenn man sich vom Religionsunterricht abmeldet, sondern auch, wenn man keiner Konfession angehört. Dann ist „Werte und Normen“ das Fach, das man zu besuchen hat. Und dies wurde eben auch auf den Grunschulbereich ausgeweitet, weil man eine Bildung in Lebensfragen im weitesten Sinne, also Wertefragen sowie Fragen der praktischen Philosophie – auch wenn das vielleicht jetzt ein bisschen zu hoch gegriffen klingt – für Grundschule anbieten will. Außerdem gehört zu diesem Fach auch der religionskundliche Aspekt.
Auch die katholische Kirche hat vor zwei Jahren die Einführung von „Werte und Normen“ begrüßt, warum?
Weil wir der Meinung sind, alle Kinder sollten eine religiöse Bildung im weiteren Sinne erhalten – und sei es auch nur eine religionskundliche Bildung.
In den Grundschulen ist es schon seit einigen Jahren üblich, in den Jahrgängen 1 und 2 einen konfessionsübergreifenden Unterricht anzubieten, im Bundesland Bremen gab es eine Art bibelkundlichen Unterricht. Wird dies in Zukunft auch bei uns die Regel?
Gerade in den jüngeren Jahrgängen gibt es kaum einen erkennbaren inhaltlichen Unterschied zwischen evangelischem und katholischem Religionsunterricht. Da macht es Sinn, diesen Unterricht zusammenzufassen. Und im Bundesland Bremen gab es bis 2014 das Fach Biblische Geschichte. Dies wurde weiter entwickelt, curricular neu aufgestellt und bekam den neuen Namen: Religion. Dabei handelt es sich um ein religionskundliches Fach ohne Konfessionsorientierung. Das ist bei uns in Niedersachsen anders: wir unterrichten nach Artikel 7.3. Grundgesetz und damit ist der Unterricht in Niedersachsen an dem Bekenntnis der Religionsgemeinschaften orientiert.
Aber inzwischen wird Religionsunterricht vielerorts auch überkonfessionell erteilt. Warum?
Diesen sogenannten konfessionell kooperativen Religionsunterricht gibt es bereits seit rund zwanzig Jahren. Der ist nicht ökumenisch, der ist nicht konfessionell verbindend, sondern er hat die Kooperation der Konfessionen zur Grundlage. Wenn man zum Beispiel zuwenig Religionslehrer von einer Konfession hat oder es zuwenig Kinder einer Konfession an der Schule gibt – die Grenze sind 12 –, kann man beziehungsweise muss man in dieser Konfession keinen eigenen Religionsunterricht anbieten. Um aber allen Kindern eine religiöse Bildung bieten zu können, haben wir die Möglichkeit des konfessionell kooperativen Unterrichts geschaffen, dass evangelische Schülerinnen und Schüler am katholischen Religionsunterricht teilnehmen können und umgekehrt. Der Vorteil ist, dass er bekenntnisorientiert ist und religiöse Bildung vermittelt.
Werden wir zukünftig nur noch konfessionell kooperativen Religionsunterricht haben?
Schon heute ist das die häufigste Form des Religionsunterrichts in Niedersachsen überhaupt. Er ist häufiger als der rein katholische oder der rein evangelische Religionsunterricht. Faktisch und statistisch ist der kooperative Schulunterricht schon heute der Normalfall in unseren Schulen. Und wenn wir die Frage stellen, ob wir irgendwann nur noch diese Form des Religionsunterrichts sehen, gehe ich davon aus: Ja, definitiv – und zwar bald. Das sollte uns nicht schrecken, sondern wir sollten es als ökumenische Chance ergreifen. Und diese Form des Unterrichts wird dann auch für die konfessionsgebundenen Schulen gelten.
Interview: Edmund Deppe