Andacht anders
„Eigentlich sollte ich …“
Was hat Gottes Wort mit dem ganz normalen Alltag zu tun? Das hat sich Christina Drewes gefragt – und lädt monatlich zur „Andacht anders“ in den [ka:punkt] in Hannover ein. Am 14. August geht es wieder los.
Hannover an einem Mittwochnachmittag. Es ist 15 Uhr. Überall herrscht in der Innenstadt Betriebsamkeit. Menschen auf dem Weg von oder zur Arbeit, zum Einkauf, ungeduldig auf den Bus wartend oder auf das Heißgetränk im Café oder den Feierabend herbeisehnend. Aber nicht überall ist es so betriebsam. Im Untergeschoss des [ka:punkt], dem Treffpunkt der Katholischen Kirche in der Innenstadt Hannovers, verfliegt die Hektik im „Raum der Stille“.
Christina Drewes hat eingeladen – zur Andacht anders. Zu einer halben Stunde innehalten. Den Alltag tatsächlich hinter sich lassen. Mit meditativer Musik, mit Gesang, mit Gebet – und mit Gedanken darüber, was Gottes Wort heute noch zwischen Einkaufstempeln und Autoschlangen bedeuten kann.
Im Beruf braucht sie Menschenkenntnis
Die 54-Jährige arbeitet im Personalmanagement. Dazu zählt das Erkennen von Stärken und Schwächen von Mitarbeitenden, von Potenzialen, von Entwicklungsmöglichkeiten. Ein Job, der Menschenkenntnis fordert. Das heißt auch, sich selbst zu kennen. Vielleicht auch mehr, als einem selbst lieb sein kann. Von da ist es nicht weit, eine Andacht unter das Leitwort „Eigentlich“ zu stellen.
Für Christina Drewes ist das, was zu tun wäre, eine zutiefst menschliche Erfahrung. Häufig eine, die mit Selbstzweifeln, mit unangenehmen Gewohnheiten oder sogar mit Unvermögen einhergeht: „Aber es hat auch etwas mit Gotteserfahrungen zu tun“, sagt sie.
Im Mittelpunkt der Andacht steht diesmal ein Text aus ihrer Feder: „Eigentlich müsste ich einen Notizblock im Hirn haben, um an alles zu denken“, liest sie mit ruhiger Stimme vor. Weiter: „Eigentlich müsste ich einen Duden dabei haben, um richtige Worte zu finden oder eine Stimmgabel, um immer den richtigen Ton zu treffen.“ Oder: „Eigentlich müsste mein Herz die Größe von einem Blauwal haben – damit ich genug Platz habe für alle, die ich mag, und am besten auch für die, die ich eigentlich nicht mag.“ Alltagserfahrungen, oft gedacht, selten ausgesprochen. Genau wie diese: „Eigentlich sollte ich mich mal zufrieden geben, denn es ist gut so wie ich bin, ich muss nicht perfekt sein.“ Es ist auch deshalb gut, weil Christen an einen Gott glauben, „der Nachsicht mit uns hat, der einfach nur möchte, dass wir lieben und ihn im Herzen haben.“ So übersetzt Christina Drewes die Zusage Gottes aus dem Matthäus-Evangelium: „Bittet und es wird euch gegeben, sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet.“
Die Impulse sind kurz und zugespitzt, im Wechsel mit meditativer Musik, mit Gesang, mit Gebet. Eine halbe Stunde, die ein bisschen öffnen will für das Wesentliche im Leben – und dafür, was Gott und sein Wort damit zu tun hat.
Mal sind es sechs Mitbetende wie an diesem Mittwoch; „ein anderes Mal war lediglich eine einzige Frau da, es kommt, wie es kommt.“ Es geht Christina Drewes nicht um großes Publikum, sondern um das Teilen von Gotteserfahrungen: „Ich möchte anderen Menschen damit etwas schenken.“ Insofern ist das Vorbereiten der Andachten für sie keine Arbeit, „sondern tatsächlich ein Vergnügen.“
Reaktion auf die Idee: „Probier mal“
Angefangen hat alles in ihrer Heimatkirche in Empelde: „Unsere Kirche hatte mit Stufen vor dem Altar etwas Platz, den konnte ich dann mit Tüchern dekorieren“, erzählt Christina Drewes. Stille Stunde hieß das Angebot. Dann kam sie auf die Idee, ob diese andere Form von Andacht nicht auch etwas für den [ka:punkt] wäre. „Ich bin selbst gern da, im Raum der Stille ebenso wie für einen Kaffee als Auszeit.“ Sie fragte an – und es hieß: probier mal. Seit Jahresanfang gibt es das mit Ausnahme der Sommerpause monatliche Angebot, jetzt im August geht es wieder los. Zu Beginn hat sie auf Andachten zurückgegriffen, die sich bewährt haben: „Ich habe Aktenordner mit Texten gesammelt, vermehrt auch Texte selbst geschrieben.“ Eine kommende Andacht wird beispielsweise einer Traumreise nachempfunden werden: „Wie auch einer Bergwanderung, mit Gott und zu Gott unterwegs, die Vielfalt der Schöpfung auf dem Weg beim Gipfel erlebend.“
Musik und Gesang sind für Christina Drewes aber mehr als schmückendes Beiwerk. „Ich habe häufig Andachten als sehr textlastig erlebt“, schildert sie. Musik helfe, „dass das Wort Gottes vom Kopf weg und ins Herz rein kommt.“ Denn dort gehöre es hin, denn dort kann es in Dankbarkeit, Sehnsucht und Liebe gespürt werden, ist Christina Drewes überzeugt.
Rüdiger Wala