Begrüßung von Neugeborenen in Halle

Ein Glockenschlag Glück

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Roter Turm in Halle
Nachweis

Foto: imago/Viadata

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Die Glocken des Roten Turms begrüßen täglich die Kinder, die in Halle geboren wurden.

Jeden Tag begrüßt Halle an der Saale die am Vortag geborenen Kinder. Über 16 000-mal hat die „Baby Bell“ bereits geläutet, seit Sven Seeger die Idee ins Leben rief. Und sein katholisches Krankenhaus kennt noch mehr Geburtsrituale.

Jeden Mittag um 13 Uhr erklingt vom „Roten Turm“, einem der Wahrzeichen auf dem Marktplatz von Halle an der Saale, ein besonderes Glockenspiel. Es beginnt mit dem „Halleluja“ von Georg Friedrich Händel (1685-1759), dem berühmtesten Sohn der Stadt. Und dann folgen so viele Glockenschläge, wie am Vortag Kinder in der Stadt geboren wurden. 

Die sogenannte „Baby Bell“, zu Deutsch: Babyglocke, begrüßt seit fünf Jahren die Neugeborenen in der Stadt. Die Idee kam von Sven Seeger, dem Chefarzt der Geburtshilfe am katholischen Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, das die größte Geburtenstation in Sachsen-Anhalt beheimatet. Wie er auf die Idee gekommen sei, könne er gar nicht mehr so genau sagen, erzählt Seeger im Gespräch. „Aber ich liebe und schätze meine Stadt außerordentlich, in ihrer Vielfältigkeit, aber auch ihrer Architektur.“ 

Hinzu kommt für den Chefarzt der Geburtsklinik die Freude über die Geburt eines Kindes. Er habe einen Weg gesucht, wie man beides miteinander verbinden könne – und stieß beim damaligen Hallenser Oberbürgermeister Bernd Wiegand sogleich auf Zustimmung. „In der Begrüßung per Glockenspiel sieht die Stadt eine sympathische Geste und ein Zeichen für Familienfreundlichkeit“, bestätigt ein Stadtsprecher auf Anfrage. 

Das Halleluja erinnert an eine besondere Geburt

Dabei erinnert das Halleluja nicht nur an den gebürtigen Hallenser Händel. Der Komponist hat mit diesem Werk auch die Freude über die Geburt eines Kindes verkündet – und zwar eines ganz besonderen Säuglings: die Geburt Jesu Christi. Zugleich befindet sich im Roten Turm seit 1999 das größte Carillon Europas, das aus 76 Glocken besteht. Es soll sogar das zweitgrößte der Welt sein. „Da hat eins und eins zusammengepasst“, sagt Sven Seeger. „Warum wollen wir diese Freude, dass der Stadt Kinder geboren worden sind, nicht von diesem Glockenspiel verkünden lassen?“, habe er damals den Stadtrat und den Oberbürgermeister gefragt. 

Sven Seeger
Sven Seeger, Chefarzt der Geburtshilfe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara.  Foto: Marco Warmuth

Und der Chefarzt lieferte auch gleich die technische Lösung mit, um die Idee praktisch umzusetzen. Der befreundete Inhaber einer Medienagentur programmierte eine App, die alle Geburten eines Tages in der Stadt erfasst. Angeschlossen sind die beiden Geburtskliniken im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara sowie im Universitätsklinikum und die beiden Geburtshäuser „Bauchgefühl“ und „Lebenslicht“. Die Angaben in der App steuern demnach automatisch die Anzahl der Schläge des Glockenspiels entsprechend der Geburtenzahl. 

So ist der Ablauf jeden Tag um 13 Uhr fest ritualisiert: Zunächst schlägt der Rote Turm die Stunde nach der Melodie des Londoner Big Ben – auch das ist eine Erinnerung an Händel und seine Londoner Zeit –, dann erklingt das „Halleluja“, im Anschluss schlägt die „Baby Bell“ die Anzahl der geborenen Kinder. 
Und dieser Glockenschlag ist seit der Einführung der Aktion im Juli 2018 bereits über 16 000-mal erklungen – so viele Geburten gab es seitdem in der Stadt. Fast 9 700 davon fanden in Seegers Geburtsklinik statt. Und für sie bietet das katholische Krankenhaus noch ein weiteres Ritual an: eine Kindersegnung, die sich gerade auch an Personen wendet, die nicht konfessionell gebunden sind. 

„Die Idee war, dass man mit der Geburt eines Kindes einen Moment der Besinnung hat“, erläutert der Chefarzt. Es gehe um ein Überlegen, was die Zukunft bringe. „In einem solchen Moment haben Menschen einen spirituellen Zugang“, ist er überzeugt. Und noch ein weiterer Brauch wird in dem kirchlichen Krankenhaus gepflegt: Für jedes Kind steigt ein „Himmelswunsch“ auf, ein ökologisch abbaubarer Luftballon mit einer kleinen Postkarte, auf der Eltern und Familie ihre Wünsche für das Kind notieren können. Wenn die Eltern selbst keine Karte ausfüllen möchten, übernehmen das Mitarbeiter des Krankenhauses. „Ich bin überwiegend in einem Bereich tätig, wo ich dem Glück beiwohnen darf“, sagt Seeger. „Das führt dazu, dass man nach Symbolen sucht, dieses Glück auch zu verkünden und zu teilen.“ 

Auch im Unglück eine Begleitung

Doch auch, wenn eine Schwangerschaft einmal nicht glücklich verläuft, steht die katholische Klinik den Eltern zur Seite. „Wir waren eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland, das sich um den Umgang mit Fehlgeburten gekümmert hat und mit ihnen würdig und ethisch verantwortbar umgeht“, so der Chefarzt. Seit Jahrzehnten würden Sternenkinder, also Tot- oder Fehlgeburten, bestattet – als in anderen Häusern das Bewusstsein dafür noch gar nicht vorhanden gewesen sei: „Das ist manchmal unser Vorsprung, dass wir manche Lebenssituation mit einer christlichen Weltanschauung betrachten.“

Oliver Gierens