Das Portal kirchenkrise.de
Ein Ort für Enttäuschte
Viele Menschen haben sehr grundlegende Fragen an die katholische Kirche. Regina Laudage-Kleeberg gibt ihnen auf ihrem neuen Internetportal kirchenkrise.de Raum. Und hofft, dass die Fragen Kraft entfalten.
Von Andres Lesch
Kürzlich hat Regina Laudage-Kleeberg abends geweint. Eine kurze Frage hatte sie so gerührt, zwei Worte: „Warum ich?“ Hinter dieser Frage steckte die Geschichte eines 53 Jahre alten Mannes namens Michael. Er berichtete, dass er in der Kirche sexuell missbraucht worden war. Jetzt wollte er davon erzählen – auf dem Internetportal, das Laudage-Kleeberg kürzlich gegründet hat: kirchenkrise.de. Sie will dort allen Menschen Raum geben, die eine Frage an die Kirche haben. Sie hat selbst viele Fragen und spürt, dass sie „ganz häufig nur noch mit starken inneren Spannungen katholisch sein kann“.
„Die Skandale und Tiefpunkte in der katholischen Kirche nehmen kein Ende“, schreibt Laudage-Kleeberg auf ihrem Portal. „Sexualisierte Gewalt, Vertuschung und Verantwortungslosigkeit. Vormoderne, klerikale Strukturen, Gesetze und Entscheidungen.“ Sie will wissen, wie es den Gläubigen damit geht. Besonders jener Mehrheit der Katholiken, die kaum noch ein kirchliches Angebot wahrnehmen. Sie fragt sich, „warum es so vielen Verantwortlichen unmöglich ist, Veränderungen voranzutreiben“. Sie will wissen, „warum dieser Machtapparat lieber vor die Wand fährt, als sich auf die Realität der Gläubigen einzulassen“.
Die Fragen kommen von Alten und von Jungen
Laudage-Kleeberg ist Organisationsentwicklerin im Bistum Essen; sie beschäftigt sich also beruflich mit der Frage, wie die Kirche sich verändern kann. Auf die Idee mit dem Internetportal kam sie, weil sie seit Jahren eine kleine Verkündigungssendung im WDR macht – und von vielen Hörerinnen und Hörern erfahren hat, wie enttäuscht sie von der Kirche sind. Die Menschen haben sich gefragt, ob sie in dieser Kirche noch richtig sind. Auf kirchenkrise.de können sie ihre Fragen jetzt loswerden.
Und dann? Laudage-Kleeberg sagt, das wisse sie noch nicht. Sie wird die Fragen kaum gesammelt an den Papst weiterleiten und auf Antworten hoffen. Sie könnte sich vorstellen, Bischöfe damit zu konfrontieren. Oder andere kluge Köpfe aus der Kirche. Da überlegt sie noch. Aber natürlich weiß sie, dass ihr Portal die Probleme der Kirche nicht aus der Welt schaffen wird. Laudage-Kleeberg sagt, man könne ihr vorwerfen, ihr Vorstoß sei naiv und bringe nichts; er sei nur „eine von vielen süßen Ideechen“. Sie wagt ihn trotzdem.
Sie vertraut darauf, dass die Fragen schon ohne Antworten eine Kraft entfalten. Einfach, weil sie ausgesprochen werden und im Internet zu sehen sind. Tatsächlich hallen viele Fragen der Menschen an die Kirche, wenn man sie gelesen hat, lange nach. Ein paar Beispiele zeigen das:
Christian (44 Jahre): „Warum versteckst du dich hinter deinen Traditionen und gehst nicht mit offenen Armen auf die Welt zu?“
Constanze (59 Jahre): „Wenn Jesus uns Menschen alle liebt, warum werden dann homosexuelle Menschen ausgegrenzt?“
Gregor (25 Jahre): „Warum gehen Leute zum Coach, aber nicht zum Seelsorger?“
Laura (22 Jahre): „Darf ein transsexueller Mann Priester werden?“
Andreas (74 Jahre): „Müsste Kirche sich nicht ihrer Wurzeln erinnern?“
Ralf (51 Jahre): „Warum sprichst du nicht meine Sprache?“
Diese Fragen kommen von alten wie von jungen Menschen, und sie lösen in den sozialen Netzwerken, auf Facebook und Instagram, Reaktionen aus. Laudage-Kleeberg versucht, sie empathisch zu moderieren und die Menschen zu ermutigen, aufeinander zuzugehen. Sie wünscht sich, dass konstruktive Debatten entstehen – und sich nicht Fronten verhärten, wie es sonst bei Diskussionen im Internet oft zu beobachten ist.
Ihr Projekt ist anstrengend, das hat Laudage-Kleeberg schnell gespürt. Sie betreibt es ja „nebenberuflich als Ein-Frau-Unternehmen“, wie sie sagt. In der ersten Woche saß sie jeden Abend zwei, drei Stunden vor dem Computer. Ihr Mann habe schon geschimpft, erzählt sie. Ihr aber ist dieses Engagement wichtig: „Nichts zu tun, wäre keine Option gewesen.“
Noch weiß sie nicht, wie lange das Projekt gehen soll. Was sie weiß, ist: Es hat gut angefangen; nach ein paar Tagen hatte sie schon hunderte Abonnenten beisammen. Das Portal zeigt ihr: „Wir haben eine richtig dicke Krise, und die wirkt bis in die Mitte.“ Sie wirkt in den Kern, bis zu Menschen wie ihr, die für die Kirche arbeiten und manchmal fast an ihr verzweifeln.
Die Leidensfhigkeit kann Grenzen haben
„Ich bin extrem leidenschaftlich katholisch“, sagt Laudage-Kleeberg. „Ich habe einen extrem starken inneren Bezug zu Gott.“ Deshalb sei ihre „Fähigkeit, in der Kirche mitzuleiden, schon ziemlich ausgeprägt“. Aber auch diese Leidensfähigkeit könnte Grenzen haben. Wann wäre für sie der Punkt, an dem sie nicht mehr für die Kirche arbeiten will?
In den vergangenen Jahren, erzählt sie, habe sie sich oft Stellenanzeigen angeschaut. Und sich dann entschieden, beim Bistum Essen zu bleiben. Weil sie da, wo sie arbeitet, etwas bewegen kann. Und weil sie bei ihren Verkündigungssendungen im WDR frei reden darf – und nie von ihrem Arbeitgeber zensiert wird. „Wenn das passieren würde und der Arbeitgeber die Loyalität über das Gewissen stellen würde, dann würde ich gehen“, sagt sie.