Winfried Dehn gibt "Musik in St. Augustinus” ab

Ein schöner Schlussakkord

Image

Nach über drei Jahrzehnten ist Schluss: Winfried Dahn hat die Leitung der Reihe „Musik in St. Augustinus“ in Hannover-Ricklingen abgegeben.


Sitzt Winfried Dahn selbst an der Orgel, greift er
gern auch zu Noten von Johann Sebastian Bach.

Etwas Schönes sollte es sein, ansprechende Musik für die Gottesdienste: Darum bat Salesianerpater Karl Fox, Ende der 1980er-Jahre Pfarrer von St. Augustinus, Winfried Dahn. Der gelernte Elektrotechniker, Berufsschullehrer, Studienrat und ehrenamtliche Organist reagierte prompt – und rief 1988 die Musikreihe „Musik in St. Augustinus“ ins Leben. Getreu seinem Leitmotiv: „Musik verbindet Menschen, berührt die Herzen und beflügelt die Seele.“

Dahn, zu diesem Zeitpunkt 41 Jahre alt, hat 1963 mit dem Orgelspiel begonnen, war unter anderem über 20 Jahre Organist im Kirchenmusikerteam der Basilika St. Clemens in Hannover. In St. Augustinus erwartete ihn zunächst noch eine elektronische Orgel, in ziemlich betagtem Zustand.

Doch ein Orgelneubau war bereits in Planung. Im Juni 1991 war es soweit: Die Lobback-Orgel, benannt nach ihrem Erbauer, dem Hamburger Orgelbaumeister Christian Lobback, wurde geweiht. „45 Register, 3245 Zinn-, Blei- und Holzpfeifen, die längste Pfeife ist 5,60 Meter hoch, ein frei stehender Spieltisch – und das in einer Stadtteilkirche“, listet Dahn auf. Die Leidenschaft für diese Orgel ist ihm anzuhören. „Lobback hat noch weitere kleine Besonderheiten eingebaut“, sagt Dahn und verweist auf ein Niedersachsenross, das in das Eichenholzgehäuse eingearbeitet wurde.

Mit der neuen Orgel veränderte sich auch der Charakter der Musikreihe. Was zunächst als konzertante Musik im Gottesdienst gedacht war, wurde zu einer internationalen Konzertreihe. „Wenn ich alles zusammenrechne, komme ich auf 352 Veranstaltungen in den vergangenen 32 Jahren“, erläutert Dahn. Die Zuschauerzahlen kann er nur schätzen, allerdings anhand genauer Kenntnis der Sitzplätze in seiner Heimatkirche. 500 Menschen haben in St. Augustinus Platz und je nach Belegung dieser Plätze kommt Dahn auf eine Gesamtsumme: „Es dürften um die 70 000 Besucher gewesen sein.“

Bei der Auswahl der Konzerte ließ sich Dahn nicht nur von dem „Schönen“ leiten. „Alles was wir tun, hat auch gesellschaftliche Bedeutung“, betont er. Musik kann auch Brücken zwischen Nationen schlagen: „Daher kamen unsere Gastsolisten und Organisten aus  St. Petersburg über Prag bis Paris.“ Möglich wurde das nur durch das „familiäre Gesamtpaket“, wie Dahn anmerkt. In der Regel haben die Künstler bei seiner Frau Christa und ihm übernachtet. Keine drei Minuten von der Kirche entfernt wohnen sie. Auch Essenswünsche zu ungewöhnlichen Zeiten waren für Christa Dahn kein Problem.

Wie Suppe um Mitternacht – das führt Dahn zu einem Konzert, das unter den vielen Besonderheiten ein Höhepunkt war. Zur EXPO 2000 in Hannover spielte der Moskauer Organist Alexander Fiseisky das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach, dessen 250. Todestag ebenfalls 2000 begangen wurde. An neun Abenden hintereinander saß er insgesamt 19 Stunden an der Orgel von St. Augustinus: „Als die Zuhörer des Konzertes gegangen waren, hat er für den kommenden Abend geübt – und dann gab es halt stärkende Suppe um Mitternacht.“

Fußballweltmeisterschaft und Orgel – auch das passt

Nur durch dieses Engagement war die Reihe über so viele Jahre am Leben zu halten: Das betraf auch spontane Papiertransporte. „Bei einem Konzert mit dem Trompeter Joachim Pliquett kam es zu einer Verwechselung von Reisekoffern.“ Der in Berlin lebende Künstler kam von Konzerten mit dem Deutschen Symphonie-Orchester aus Japan angereist und hatte den falschen Koffer dabei: „Damit hatten wir keine Noten.“ Seite für Seite schickte der Sohn des Trompeters die Noten aus Berlin ins Pfarrbüro von St. Augustinus – und Dahn brachte Blatt für Blatt auf die Orgelempore.

Weitere Höhepunkte? Dahn überlegt einen Moment: „Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 hat Wolfgang Seifen die Nationalhymnen der sieben bisherigen Weltmeister auf unserer Orgel improvisiert.“ So etwas könne nicht wiederholt werden. Und Dahn denkt an das 30-jährige Jubiläum der Musikreihe, das im November 2018 gefeiert wurde: „Mit einer Performance für Orgel, Glocken, Poesie und einer kunstvoll beleuchteten Kirche – das kann man nicht mehr überbieten.“

Wichtig waren Dahn in all den Jahren auch Benefiz-Konzerte: „Die Gesellschaft hat mir die Chance gegeben, mich beruflich zu qualifizieren“ Dahn hat Elektro-Installateur gelernt und mit dem Gesellenbrief in der Tasche angefangen zu studieren: Erst Elektrotechnik, dann noch Politik, Soziologie und Psychologie studiert und war später Studiendirektor am Landesinstitut für Fortbildung und Weiterbildung im Schulwesen und Mitglied der Schulleitung der berufsbildenden Schulen in der Region Hannover: „Da muss ich der Gesellschaft doch etwas zurückgeben.“  Musiziert und gesammelt wurde unter anderem für die Indienhilfe der Salesianer, für die Obdachlosenhilfe der Caritas, für krebskranke Kinder, für Weihnachtshilfe und anderes mehr. Jungen Menschen Beteiligung und Bildung ermöglichen – das zieht sich durch das berufliche und ehrenamtliche Engagement des Kümmerers Dahn. Das führte beispielsweise zur Etablierung von „Talk im Turm“. Dahn lud sich für 15 Minuten vor Beginn eines Konzertes Gäste aus Stadt und Region Hannover ein: Politiker, Künstler, Kirchenvertreter – und diskutierte mit ihnen aktuelle Zeit- oder gesellschaftliche Grundfragen.

Nun ist Schluss: „Mit 73 Jahren ist es an der Zeit“, sagt Dahn. Aber es fiel ihm nicht leicht, gibt er zu. Ein ausschlaggebender Grund: Tochter Stephanie lebt mit ihrer Familie seit einigen Jahren in Brasilien, ist dort Professorin. Familiäre Kontakte zu pflegen wird aufwendiger. Aber so kennt man nun auch die Lobback-Orgel an der Universität von Curitiba. Dahn hat vor Weihnachten letzten Jahres einen Videogruß an die Wirkungsstätte seiner Tochter geschickt. „Vom Himmel hoch“, gefilmt von seiner Frau. Ein Choral von Bach. Bei der allerersten Musik in St. Augustinus stand auch ein Werk von Bach auf dem Programm. Hier schließt sich ein Kreis, der zumindest den halben Erdball umspannt. Für Dahn ein schöner Schlussakkord.

Rüdiger Wala