Organspende: Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann gibt Antworten

Ein so großes Geschenk

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Organspende
Nachweis

Foto: imago/Heike Lyding

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Organspender zu werden, ist leicht. Die Fragen vor der Entscheidung aber sind schwer. 

Die meisten Menschen in Deutschland finden Organspende gut. Aber nur 40 Prozent der Erwachsenen tragen einen Organspendeausweis bei sich. Woran liegt das? Wie steht die Kirche dazu? Und was müsste passieren, um Skeptiker zu überzeugen? Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann gibt Antworten.

Herr Professor Bormann, theoretisch finden viele Menschen Organspende gut, praktisch spenden viel zu wenige. Woher kommt die Skepsis?

Das hat viele Gründe. Es fängt schon damit an, dass allein die Beschäftigung mit dem Tod unangenehm ist. Darüber nachzudenken, was passiert, wenn ich sterbe, das ist ja beunruhigend. Dem weicht man gerne aus.

Aber auch viele, die darüber nachdenken, haben Bedenken.

Vor allem wohl deshalb, weil immer noch viel zu wenig aufgeklärt wird: Wie läuft eine Organspende eigentlich ab? Was bedeutet es für meine medizinische Versorgung genau, wenn ich Organspender bin? Werde ich respektvoll behandelt oder ist mein Körper nur noch ein Ersatzteillager? Wie werden meine Angehörigen begleitet? Kann ich würdevoll verabschiedet und bestattet werden? Da gibt es viele Unsicherheiten.

Skandale um gegen Geld verteilte Organe tragen auch nicht dazu bei, Vertrauen zu erhöhen.

Nein, die gründliche Aufarbeitung dieser Skandale ist wichtig, um Vertrauen zurückzugewinnen, zumal es immer noch zu viele Transplantationszentren gibt. Aber einzelne Unregelmäßigkeiten bei der Organspende sprechen nicht grundsätzlich gegen sie.

Franz-Josef Bormann
Moraltheologe Franz-Josef Bormann. Foto: privat

Manche Menschen befürchten, dass ihre Spendenbereitschaft missbraucht werden könnte, um nicht mehr alles für sie als Patienten zu tun. So nach dem Motto: Einer stirbt, aber drei bekommen die Organe.

Die Sorge, dass ich als Organspender medizinisch unterversorgt werden könnte, ist zwar verständlich, aber unbegründet: Eher ist das Gegenteil der Fall, da spezielle Medikamente verabreicht werden müssen, um die Qualität der Organe über meinen Tod hinaus bestmöglich zu schützen. Wenn ich in meiner Patientenverfügung bestimmte intensivmedizinische Maßnahmen ausschließe, kann es zu Widersprüchen mit meiner Bereitschaft zur Organspende kommen. Auch hier bedarf es der verbesserten Aufklärung.  

Kontrovers diskutiert wird auch das Hirntodkriterium.

Ja, und zwar auch deshalb, weil zu wenig darüber gesprochen wird, dass dieses Kriterium nicht nur medizinisch, sondern auch anthropologisch sehr plausibel ist.

Was meinen Sie damit?

Das Gehirn ist nicht nur irgendein Teil des Menschen, es ist das zentrale Integrationsorgan. Das heißt, auch wenn mein Kreislauf durch Maschinen stabilisiert wird und auf Zellebene noch Stoffwechsel stattfindet: Ohne Gehirnfunktionen bin ich tot. Der irreversible Ausfall der Gehirnfunktion ist daher ein sicheres Kriterium für die Feststellung des Todes einer Person. 

Und doch kann eine hirntote Frau ihr Kind austragen.

Ja, das stimmt. Aber wenn über so etwas berichtet wird, wird oft so getan, als mache diese Frau das quasi aus eigener Kraft. Doch so ist es nicht. Sie wird nicht nur beatmet, sondern mit vielen Medikamenten unterstützt. Das ist keine Eigenleistung des Körpers, sondern hoch technisierte Apparatemedizin, die darauf abzielt, das Leben des Kindes zu retten.

Ist es dann in erster Linie ein emotionales Problem, dass wir die Person, die dort beatmet im Bett liegt, nicht als tot erkennen wollen?

Es ist eher ein Anschauungsproblem. Wir sind ja auf unsere Sinne angewiesen und wir sehen jemanden, dessen Brustkorb sich hebt und senkt, der eine gesunde Gesichtsfarbe hat und eine normale Körpertemperatur. Es sieht so aus, als ob die Person noch lebt. Aber bloße sinnliche Anschauung ist ja in vielen Lebensbereichen keine zuverlässige Basis für Erkenntnisse.  

Gibt es auch religiöse Bedenken gegen die Organspende?

In der Tradition gibt es das sogenannte Verstümmelungsverbot, demzufolge die leibliche Integrität auch des Leichnams zu wahren ist. Auch gab es Vorstellungen, dass der Körper für die leibliche Auferstehung unversehrt bleiben müsse. Aber solche undifferenzierten Annahmen werden in der neueren Theologie nicht mehr ernsthaft vertreten.

Wird diskutiert, ob man durch diesen hohen Grad an Technisierung zu weit in den Willen Gottes eingreift?

Der Grad der Technisierung allein spielt in der medizinischen Ethik keine Rolle. Entscheidend ist die Frage: Was ist das Ziel der Behandlung? Und bei der Organspende ist das Ziel, schwerstkranke Patienten zu retten und ihnen ein längeres oder besseres Leben zu ermöglichen. Das ist vom Heilungsauftrag der Medizin und ihrer Aufgabe, Leiden zu lindern, gedeckt. Das hat nichts damit zu tun, dass der Mensch meint, Verfügungsgewalt über das menschliche Leben zu haben – dagegen ist die Kirche völlig zu Recht allergisch.

Und was ist für Sie aus christlicher Sicht das Hauptargument für die Organspende?

Nach dem eigenen Tod seine Organe zu spenden, ist ein Ausdruck von Nächstenliebe. Die Bereitschaft dafür ist ein gutes Werk – aber nicht verpflichtend, auch nicht für Christen. Die Organspende muss als freiwilliges und wohlüberlegtes Geschenk erkennbar bleiben. Deshalb halte ich die Widerspruchslösung, die immer wieder diskutiert wird, für falsch. Organspende ist ein so großes Geschenk, dass ihre Grundlage ein bewusster Akt des Ja-Sagens sein muss, nicht ein vergessenes Nein. Menschen müssen davon überzeugt, nicht dazu übertölpelt werden.

Zur Person
Franz-Josef Bormann (59) wurde 2005 zum Priester geweiht. Seit 2008 ist er Professor für Moraltheologie an der Universität Tübingen. Er ist Mitglied des Deutschen Ethikrates und Berater der Deutschen Bischofskonferenz in der Unterkommission Bioethik. 

 

Susanne Haverkamp