Misereor-Fastenaktion
Ein Wunder aus eigener Kraft
Mit seiner Fastenaktion lenkt das Hilfswerk Misereor in diesem Jahr den Blick auf Indien. Der Ort Barhanpur litt jahrelang unter einer schweren Dürre. Doch das Dorf löste die Situation selbst. Ein Modell, dem viele Kommunen des Subkontinents angesichts des Klimawandels folgen könnten.
Den Tag, als der Regen wieder fiel und das Wasser aus den Pumpen sprudelte, wird Nitin Laxman Kajabe nie vergessen. Es war der Tag, an dem eines der wildesten Feste begann, die man im Dorf Barhanpur je gefeiert hatte.
Barhanpur ist ein kleines Dorf im westindischen Bundesstaat Maharashtra. 1000 Menschen wohnen hier, fast alle leben von der Landwirtschaft. Wer hier vorbei kommt, ahnt nicht, dass dieser unscheinbare Ort zu einem Vorbild für tausende andere Dörfer in Indien werden könnte. Man kann sehen, wie es möglich ist, sich auf dem Lande effektiv auf die wohl größte Herausforderung der kommenden Jahrzehnte vorzubereiten: den Klimawandel. Der Besucher lernt, was eine Dorfgemeinschaft erreichen kann, wenn sie an einem Strang zieht und wie ein selbstgemachtes Wunder das Leben eines ganzen Dorfes verändert.
Um die Geschichte zu erzählen, lädt Kajabe (23) in sein bescheidenes Häuschen ein. Es war im Jahr 2013, als der Regen zur Monsunzeit ausblieb. In weiten Teilen Indiens kam es zu einer schweren Dürre, die drei Jahre andauern sollte. Hunderte Menschen starben in der Hitzewelle, aus Verzweiflung nahmen sich allein im Bundesstaat Maharashtra fast 10 000 Bauern das Leben.
Auch in Barhanpur war die Versorgungslage schlecht. Kam ein Lkw mit einem Wassertank ins Dorf, prügelten sich die Bewohner um einen guten Platz in der Warteschlange. Für ein bisschen Wasser waren die Frauen stundenlang unterwegs zur nächstn Quelle. Es war die Zeit, in der Barhanpur nur noch als das „Kein-Wasser-Dorf“ in der Region bekannt war.
„Praktisch alle Felder lagen brach”, erinnert sich der Bauer, „wir konnten überhaupt nichts mehr anbauen.” Stattdessen mussten er und die anderen Landwirte sich als Tagelöhner auf Baustellen in den Millionenstädten Pune und Aurangabad durchschlagen.
Noch eine weitere Sorge plagte Kajabes Familie: Seine Eltern fanden einfach keine Ehefrau für ihren Sohn. „Niemand wollte, dass seine Tochter jeden Tag so viel Wasser von so weit her schleppen muss, wenn im eigenen Dorf zu wenig davon da ist”, sagt Kajabes Mutter. Kein Wasser, keine Hochzeit.
Klimawandel – weniger Regen und mehr Hitze
In Indien ist gut zu beobachten, dass sich wegen des Klimawandels die landwirtschaftlichen Anbauzeiten verändern, Regen häufiger ausbleibt und Perioden mit starker Hitze zunehmen. Die Anpassung an den Klimawandel muss jetzt beginnen. Doch auf Hilfe vom Staat könnten die Bauern in Indien kaum hoffen, sagt der Dorfvorsteher von Barhanpur, Balasaheb Yadav. Spricht man ihn auf die Hilfe durch Behörden an, zeigt er auf den Weg, auf dem wir gerade stehen. „Der müsste laut staatlichen Beschlüssen und Dokumenten schon zweimal geteert sein”, sagt er. Doch wegen Korruption und Vetternwirtschaft sei es eben immer noch ein unbefestigter Feldweg.
In der Zeit der Not wuchs daher in Barhanpur die Überzeugung, selbst handeln zu müssen. Dafür nahm Ortsvorsteher Yadav im Herbst 2015 Kontakt mit der Caritas Indien auf, einer Partnerorganisation von Misereor dem Hilfswerk für Entwicklungszusammenarbeit. Die Caritas unterstützt im Rahmen des Projekts „JEEVAN – People-Led Empowerment (PLE)“ Dorfgemeinschaften dabei, Probleme möglichst eigenständig zu lösen. „Jeevan” ist Hindi und bedeutet auf Deutsch „Leben“, People-Led Empowerment heißt übersetzt: „Die Bürger ermächtigen sich selbst.“
So brachten Mitarbeiter der Caritas Dorfbewohner mit dem Bus zu einem Lehrgang in das Dorf Hiware Bazar, das in ganz Indien für sein Wasserspeichersystem bekannt ist. Und sie stellten zudem Kontakt zu Ingenieuren und Experten her. Gemeinsam entwickelten sie erste Zeichnungen des neuen Barhanpur.
Im Januar 2016 versammelten sich die Bauern am kleinen Tempel in der Mitte des Dorfes. Manche Bewohner hatten Bedenken, doch Yadav hielt – so berichtet er später – die für ihn wichtigste Rede seines Lebens: Er spricht davon, wie wichtig Gemeinschaftssinn ist, dass sie hart werden arbeiten müssen, aber dass letztendlich das ganze Dorf gewinnen werde. Bei der Abstimmung heben 40 Männer die Hand, die mitmachen wollen. „Das hat mir gereicht“, sagt Yadav. „Ich wusste, die anderen würden nachziehen.“
Nur wenig später beginnen die Arbeiten: Als die ersten Gräben gezogen sind, schließen sich immer mehr Dorfbewohner an. „Zum Schluss hat das ganze Dorf angepackt”, sagt Yadav. Selbst in der Nacht schufteten die Dorfbewohner – Männer und Frauen.
Um große Steine transportieren zu können, legten die Bauern ihre Ersparnisse zusammen und mieteten ein paar größere Maschinen. Die Caritas Indien half dabei, weitere Sponsoren zu finden. Sieben Bauern spendeten außerdem Land für die Anlagen. Ganze 37 Gräben standen nur fünf Monate später bereit, Regenwasser aufzufangen und in die Brunnen der Bauern zu leiten – und das System funktionierte.
Sogar Weizen kann jetzt geerntet werden
Seitdem das Wasser reichlich aus den Pumpen fließt, hat sich viel geändert im Dorf: Während sich Bauern früher mit einer Ernte zufrieden geben mussten, können sie heute zweimal pro Jahr ernten. Selbst Weizen, der besonders viel Wasser verbraucht, wird mittlerweile rund um Barhanpur angebaut.
Und auch privat hat sich für Bauer Kajabe vieles zum Besseren gewendet. Neben ihm sitzt seine Frau Rajeswari Nitin, auf ihrem Schoß der kleine Ringu Laxman, der vor acht Monaten geboren wurde. Die 21-Jährige holt ein dickes Buch hervor, – ihr Hochzeitsalbum. Als ihre Eltern gesehen hätten, dass sich im Dorf etwas tut, hätten sie einer Ehe zugestimmt, sagt sie. „Ich bin heute besser mit Wasser versorgt als in meinem alten Dorf.“
Frederic Spohr