Hexenverfolgung heute

Eine, die eingreift

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Schwester Lorena Jenal
Nachweis

Foto: missio/Bettina Flitner

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Schwester Lorena Jenal hilft Frauen, die in Papua-Neuguinea als Hexen verfolgt werden.

Bilder von Frauen, die auf einem Scheiterhaufen gefesselt und verbrannt werden, kennen wir in Europa nur aus der Geschichte, aus Büchern und Filmen. In Papua-Neuguinea sind Hexenprozesse bitterer Alltag. Die Franziskanerin Lorena Jenal kämpft für die misshandelten Frauen und gibt ihnen Hoffnung.

Sie sitzt neben ihr und hält ihre Hand. Bleibt bei ihr, wenn der Arzt kommt, um ihre Brandwunden zu behandeln. Manchmal betet sie mit ihr, schenkt ein Lächeln. Und wenn sie über alles sprechen möchte, wird Schwester Lorena Jenal (74) ihr zuhören. 

Gerade mal 23 Jahre alt ist Melen, die vor wenigen Tagen ins Haus der Hoffnung im südlichen Hochland Papua-Neuguineas gekommen ist. Leute in ihrem Dorf beschuldigten sie, einen Mann getötet, sein Herz herausgerissen und verspeist zu haben. Ein absurder Vorwurf, doch im Dorf war die Sache klar: Melen trägt den Sanguma-Geist in sich. Sie ist eine Hexe.

„Das ist purer Wahnsinn“, sagt Schwester Lorena. Die Franziskanerin aus der Schweiz lebt seit 44 Jahren in Papua-Neuguinea. Hier hat sie 2012 das „house of hope“ (Haus der Hoffnung) aufgebaut, wo Frauen leben, die als Hexe beschuldigt und gefoltert wurden. Damals wurde zum ersten Mal ein Hexenprozess in Papua-Neuguinea öffentlich. Mittlerweile gibt es jährlich den internationalen Tag gegen Hexenwahn am 10. August, den das Hilfswerk Missio zusammen mit Jenal ins Leben gerufen hat. Auch Papst Franziskus hat die Arbeit Jenals gewürdigt und wird Papua-Neuguinea im September besuchen. Bisher konnte Jenal 251 Frauen retten. Manche hat sie direkt aus dem Feuer geholt. 

Den Glauben an Geister gibt es in Papua-Neuguinea schon immer, den Hexenwahn jedoch erst seit ungefähr 15 Jahren. Jenal ist nicht überzeugt davon, dass die Menschen wirklich glauben, die angeklagten Frauen seien Hexen. Denn beschuldigt werden meistens Frauen, die sich zum Beispiel gegen ihre Männer auflehnen – gefährlich in der Gesellschaft Papua-Neuguineas, in der Männer mehrere Frauen haben und Frauen ihnen gehorchen müssen. Dann passiert das, was Jenal als „reale Gewaltpornografie“ bezeichnet. Männer, die Alkohol und Drogen genommen haben, reißen der Frau die Kleider vom Leib, fesseln sie und verbrennen ihr mit glühenden Buschmessern die Haut. Zuerst an den Brüsten und Genitalien. Manche Folterer vergewaltigen die Frauen vorher.

Die Polizisten schauen meistens weg

Und die Polizei? Die weigert sich oft, den Hexenwahn ernst zu nehmen und lässt die Peiniger davonkommen. Vor kurzem begleitete Schwester Lorena eine Frau und ihre beiden Söhne, die die Männer anzeigen wollten, die die Mutter gefoltert hatten. „Es war ein klassisches Beispiel“, sagt Jenal. Vier Polizisten weigerten sich, die Geschichte der Familie anzuhören. Erst die Fünfte, eine Frau, bat sie in ihr Büro und nahm die Anzeige auf. Jenal erinnert sich: „Die Söhne haben mich danach umarmt und gesagt: ,Jetzt gibt es wieder Hoffnung.‘“ 

Hexenverfolgung weltweit
Hexenverfolgung weltweit. Grafik: missio

Woher die Gewalt und der Wahn kommen? „Viele Leute im Hochland gehen nie zur Schule und können nicht einmal ihren Namen schreiben“, sagt Jenal. Die Bildung fehlt. Außerdem hat Jenal den Eindruck, dass die Menschen sich abgehängt fühlen, seit sie Internetzugang haben. Was sie aus ihrer Kultur kennen und das, was sie durch ihre Handys aus der Welt mitbekommen, passt nicht zusammen. Jörg Nowak, Pressesprecher von Missio, der selbst in Papua-Neuguinea war, vergleicht den Hexenwahn mit dem Glauben an Verschwörungstheorien bei uns. Die Idee, einen Sündenbock zu finden, ist so verlockend, dass viele Menschen verdrängen, wie absurd die Erzählung ist, die sie glauben.

Schwester Lorena erzählt im Telefon-Interview, allein in den drei Wochen zuvor seien fünf Frauen ins Haus der Hoffnung gekommen, die als Hexe beschuldigt und gefoltert wurden. Zwei starben, drei überlebten. Weil sie den Frauen hilft, wird auch die Ordensfrau von Männern bedroht. Sie halten ihr Messer an den Hals. Zuletzt verletzten sie Jenals Mitstreiterin.

Wie schafft sie es, bei all dem Grauen an Gott zu glauben? „Glauben heißt für mich, an das Gute im Menschen glauben. Diese Männer, die mit den Messern vor mir stehen, die sind so arm und so hilflos“, sagt Jenal. „Die kommen einfach mit allem, was sie erfahren, nicht mehr mit. Die sind Kinder ihrer Zeit und ihrer Kultur.“ 

Doch nicht nur die Männer, die vergewaltigen und foltern, machen sich schuldig. Auch diejenigen, die Frauen als Hexe anklagen. Die, die am Feuer stehen und zuschauen, statt Hilfe zu rufen. Und wenn die Polizei nichts tut, bleiben die Täter in Freiheit – und die Wege von Opfer und Täter kreuzen sich vielleicht bald wieder. 

Mit Hilfe von Schwester Lorena schaffen es manche Frauen, in ihre Dörfer zurückzugehen und den Menschen zu verzeihen. Das verlangt viel Stärke, doch hat einen unglaublichen Effekt. Jenal erzählt von einer Frau, die das geschafft hat. Ihre Bedingung war, dass dort nie wieder eine Frau als Hexe bezichtigt wird. Heute hat diese Frau im Dorf einen ehrenvollen Spitznamen: Matrix. Sie ist die Mutter der Dorfgemeinschaft, und ihre Bedingung wurde erfüllt.

Es schimmern weitere Strahlen der Hoffnung aus dem Hochland: 30 bis 40 Lorenas leben in der Region. Und zwar nicht nur, weil der Name so schön klingt. Einheimische benennen ihre Kinder nach der Ordensfrau.

Was Jenal besonders bewegt ist, dass manche Frauen im Haus der Hoffnung Kinder bekommen. Sie waren schon bei der Folterung schwanger und bringen dann ein gesundes Kind zur Welt. Gerade seien wieder „zwei House-of-Hope-Babys geboren worden“, erzählt Jenal stolz. Eines von ihnen trägt ihren Namen Lorena.

Hinweis: Mehr Informationen, auch über eine Fotoausstellung, finden Sie unter www.missio-hilft.de/hexenwahn 

 

Luzia Arlinghaus