Christian Busemann auf dem Franziskusweg nach Assisi
Eine Reise in die Vergangenheit
Als Kind hat Christian Busemann seinen Vater verloren. 40 Jahre später pilgerte er auf dessen Spuren nach Assisi. Er fand seine Freunde, den heiligen Franziskus und den Frieden mit sich selbst.
Manchmal wiegen Erinnerungen schwerer als als das Gepäck, dass man mit sich rumschleppt. Ein Rucksack zum Beispiel, 15 Kilo auf dem Rücken, unterwegs auf dem Franziskusweg, das Ziel Assisi noch in weiter Ferne. Dann läuft was schief, ein umgestürzter Baum liegt mitten auf dem verschlammten Pfad in der Toskana, irgendwie muss es doch dran vorbei gehen, und dann verlierst du das Gleichgewicht und liegst im Dreck und fluchst und fragst dich, was zum Teufel du hier zu suchen hast.
Christian Busemann sucht Spuren seines Vaters, den er nie richtig gehabt hat. Gestorben ist der in einer Januarnacht 1977 an einem Herzinfarkt. Da ist Christian gerade vier und sitzt mit seinem Bruder im Schlafanzug auf der Treppe. Keiner sagt, was passiert ist. Jetzt nicht und später nicht. Manchmal heißt es „Papa hat Hexenschuss und liegt im Bett, stör ihn nicht“. „Was konsequent totgeschwiegen wird, ist es irgendwann auch. Ein Vater findet nicht statt“, notiert Christian Busemann Jahrzehnte nach dem Erlebnis.
Da ist er schon ein paar Tage unterwegs, zu Fuß von Florenz nach Assisi. Weil manchmal ein paar Zufälle zusammenkommen, die man nicht erfinden kann, die das Leben eben so parat hält. Für sechs Wochen bleibt das Hamburger Medienbüro geschlossen, die drei Kinder sind gewohnt, dass Papa unterwegs ist, die Frau wird am zehnten Hochzeitstag allein sein.
Jetzt also Assisi. Warum eigentlich? Weil es der Lieblingsort des Vaters gewesen ist, weil er dort Freunde fürs Leben gefunden hat, als er in jungen Jahren nach einem Streit mit den Eltern von zuhause ausgebüxt und mit dem Fahrrad dorthin gefahren ist und später mit der Vespa und noch später mit dem Auto. „Assisi war für deinen Vater ein Kraftort“, erfährt Christian Busemann kurz vor dem Aufbruch von der Tante. Und dass er unbedingt ins Kloster San Damiano gehen muss. „Da hat er sich das Jesus-Kreuz so gerne angeschaut. Stundenlang.“
Sein Leben lang hat Christian Busemann darunter gelitten, dass er seinen Vater, ein Landarzt aus Leidenschaft, nie wirklich kennengelernt hat, dass der in einen Nebel des Schweigens abgetaucht war. Überwältigende Trauer der Mutter? Schutz des kleinen Jungen? „Egal. Ich habe immer darunter gelitten“, sagt Busemann. Als in der Schule die anderen Kinder von den väterlichen Berufen erzählen, wird ihm schlagartig bewusst, dass er keinen Vater hat. Noch als Student erzählt er von ihm in der Gegenwartsform. „Ein unverarbeiteter Verlust quält Seele und Körper“, sagt eine Therapeutin, als aus dem kleinen dicken Jungen, dem nie etwas gelingen wollte, längst ein erfolgreicher Journalist geworden ist, der neue Fernsehsendungen entwickelt oder für Moderatoren das Drehbuch schreibt.
Christian Busemann macht sich auf den Weg. Immer dabei: Vaters Kette mit dem Franziskus-Anhänger. Und die Hoffnung, dass er in Assisi Spuren findet, vielleicht sogar Menschen, die ihn als Freunde begleitet haben, die von ihm erzählen könnten. „Für mich war es ein ganz persönlicher Weg“, sagt Busemann. „Auch wenn ich unterwegs immer mal wieder mit anderen Pilgern unterwegs war, bin ich ganz allein nach Assisi eingezogen. Das war so bewegend, ich habe mich meiner Tränen nicht geschämt.“
Nach 500 Kilometern ist der Pilger Christian Busemann am Ziel angekommen. Auch in der Stadt des heiligen Franziskus. Vor allem aber an dem Ort, den er mit seinem Vater immer verbinden wird. Es gibt sogar noch den alten Francesco, der sich lebhaft an die vergangenen Zeiten erinnert. Und nach langem Suchen das Grab des besten Freundes, Antonello. „Als ich auf dem Friedhof ein Gebet sprechen konnte, war ich nicht nur am Ziel meiner Reise. Ich habe auch meinen Frieden gefunden.“
Stefan Branahl