Missbrauchsgutachten belastet Benedikt XVI.

Einige Fragen bleiben noch immer offen

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Das Gutachten lässt kaum ein gutes Haar an Benedikt XVI.. Es zeichnet ein düsteres Bild des emeritierten Papstes - aber kein nachtschwarzes.

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Was hat er gewusst? Was nicht? Das Münchner Missbrauchsgutachten belastet den emeritierten Papst Benedikt XVI., den früheren Münchner Kardinal Joseph Ratzinger. Foto: kna/Ernst Herb


Für den Kirchenrechtler Thomas Schüller steht das Urteil über Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger schon kurze Zeit nach der Pressekonferenz von drei Münchner Juristen fest. Als historische Zäsur sieht er das jüngste Missbrauchsgutachten. Mit seiner Stellungnahme habe Ratzinger sein Lebenswerk zerstört und "die letzte Chance verspielt, reinen Tisch zu machen mit seiner Verantwortung als Erzbischof von München und Freising für seine Vertuschung von Sexualstraftaten", sagte Schüller der "Rheinischen Post".

Ein zweiter Blick auf das knapp 2.000 Seiten starke Gutachten, das eine 82-seitige Stellungnahme des ehemaligen Münchner Erzbischofs und späteren Papstes enthält, ergibt ein düsteres, aber nicht komplett nachtschwarzes Bild vom Versagen des Mannes, der in diesem Gutachten faktisch der Hauptangeklagte war.

In seiner relativ kurzen Zeit als Münchner Erzbischof (1977 bis Anfang 1982) halten die Gutachter ihn in vier von fünf aktenkundigen Fällen für schuldig, Aufsichtspflichten in fataler Weise verletzt zu haben gegenüber Klerikern, die sich an Minderjährigen in mehr oder weniger schwerer Form vergingen. In einem fünften Fall gelang es dem Ex-Papst, die lediglich auf Hörensagen gestützten Vorwürfe gegen ihn zu entkräften.

Im größten und empörendsten Fall unter den im Gutachten akribisch nacherzählten Kriminalgeschichten kommt Ratzinger - zumindest unter strafrechtlichen Vorzeichen - halbwegs glimpflich weg: Zwar widerspricht seine Behauptung, er sei bei der entscheidenden Ordinariats-Sitzung am 15. Januar 1980, in der die Aufnahme des früheren und späteren Missbrauchstäters Peter H. beschlossen wurde, nicht dabei gewesen, den Protokollnotizen dieser Sitzung.

Doch inwiefern diese verlässlich sind und wie konkret dort über die Vorgeschichte von Peter H. gesprochen wurde, konnten auch die Gutachter nicht mit Sicherheit klären. Einer von ihnen bescheinigte der katholischen Kirche generell eine "phantasievolle" Art der Protokollführung, gerade beim Thema Missbrauch. 

Zum Verdacht, er habe etwas gewusst und dann falsch entschieden, äußert sich Ratzinger auf 82 Seiten - die meisten davon nehmen allerdings die Fragen der Anwälte ein, er selbst kommt mit seinen Antworten auf maximal 30 Seiten. Dabei stellt er den Vorwürfen sein in immer neuen Wendungen sinngemäß wiederholtes "Nein, ich war bei der Sitzung nicht dabei" und "Nein, ich hatte keine Kenntnis von den Missbrauchstaten des Herrn H." entgegen.

Vor Gericht wäre es ein Freispruch aus Mangel an Beweisen

Zu beiden Sätzen kommen jedoch die Gutachter zu der Auffassung, sie entsprächen mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht der Wahrheit. In einem Gutachten klingt das wie ein Schuldspruch, vor Gericht wäre es ein Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Ferner tritt durch seine von den Gutachtern überprüften und abgewogenen Einlassungen klar zutage, dass er sich - anders als sein damaliger Generalvikar Gerhard Gruber und sein Nachfolger Friedrich Wetter - im Fall H. weder vorsätzlich noch faktisch einer wirklichen "Beihilfe" zum sexuellen Missbrauch schuldig gemacht hat.

Zu diesem "halben Freispruch" des auf der moralischen Anklagebank sitzenden Ex-Papstes kommt ein weiterer, der auch international auf großes Interesse stoßen dürfte: Die Gutachter kommen zu der Erkenntnis, dass Benedikt XVI. als Papst offenbar nicht an der spektakulären Aktion Münchner Kirchenverantwortlicher beteiligt war, die ihn im Jahr 2010 durch Presseerklärungen und die alleinige Verantwortungsübernahme Grubers aus der Schusslinie investigativer Journalisten nahmen.

Eine solche persönliche Einbindung des damals amtierenden Papstes in ein von Rom aus gesteuertes Vertuschungsmanöver war, wie es im Gutachten heißt, zunächst "gutachterlich vermutet" worden, sie gilt aber nun als widerlegt. Unterm Strich bleibt an Benedikt XVI dennoch kaum ein gutes Haar: Er ist nun der ehemalige Papst, der vor mehr als 40 Jahren als Erzbischof unverantwortliche Milde gegenüber Missbrauchstätern walten ließ - und sich zudem damals nicht um die Opfer kümmerte. Und er steht im dringenden Verdacht, über eine Sitzungsteilnahme und über sein Wissen um einen Täter gelogen zu haben. Was er später als Glaubenspräfekt und als Papst unternommen hat, um Hunderte Missbrauchstäter aus dem Priesterstand zu entfernen, kann dies in den Augen seiner Kritiker nicht aufwiegen.

Benedikt XVI. selbst äußerte sich nach der Vorstellung nicht zu dem neuen Gutachten. Er wolle es in den kommenden Tagen studieren und prüfen, teilte sein Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein.mit. Zudem drücke er, "wie er es bereits mehrmals in den Jahren seines Pontifikats getan hat, seine Scham und sein Bedauern aus über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch".

kna