Glaubenshygienische Anregungen
Endlich katholisch werden
Dr. Gotthard Fuchs, Alltagsmystiker, Theologe, katholischer Priester und spiritueller Mensch, ist deutlich in seiner Sprache und klar in seinen Empfehlungen. Hier gibt er in Zeiten der Kirchen- und Gotteskrise fünf „glaubenshygienische Anregungen“. Sein Appell: Lasst uns endlich katholisch werden!
„Klar, heilige Wut muss raus, Enttäuschung und Verletzung gehören unbedingt auf den Tisch, und erst recht Verbrechen wie der elende Missbrauch müssen aufgedeckt werden. Aber alle, die von ,der‘ Kirche sprechen, ohne ihre eigene Geschichte mit ihr aufzuarbeiten, ähneln doch nur den unreifen Zeitgenossen, die sich auf dem Verschiebebahnhof der eigenen Erwartungen herumtreiben und nicht wirklich selbst in den Ring steigen.“
Von Dr. Gotthard Fuchs
Wer sich ernsthaft noch mit Kirchlichem beschäftigt, ist inzwischen verhaltensauffällig. Selbst in der Kirche gibt es immer mehr, die sich distanziert fühlen. In meinem persönlichen und seelsorglichen Umfeld nimmt auch unter den Jahre- und Jahrzehntelang Engagierten die Frage schmerzhaft zu, ob man nicht austreten solle – und zwar um des Glaubens willen. Manche haben es schon getan.
Viel dramatischer noch als der statistische Mitgliederschwund ist dieses Auseinanderdriften von innerer Glaubenssehnsucht und kirchlicher Realität. Und dabei boomt der Sinnmarkt massiv, und Spiritualität ist gefragter denn je. Umso wichtiger ist es deshalb, sich darüber Klarheit zu verschaffen, worum es (mir) wirklich geht. Aufrechnen oder Schönreden hilft nicht, Wegschieben auf andere oder Herumgrübeln in Selbstanklagen auch nicht. Nur tieferer Glaube und also klare Analyse helfen weiter. Direkter gesagt: Es gilt den österlichen Ursprung von Kirche wieder zu entdecken und ihren Stellenwert im eigenen Lebensentwurf und im Blick auf die Welt. Warum Christsein und wofür? Was ist der Kick am Evangelium? Was macht, in allem Elend, die Größe von Kirche aus? Programmatisch und im Salopp formuliert: Wenn es die Kirche nicht gäbe, müsste man sie erfinden – aber in welcher Gestalt und aus welcher Motivation? Was würde (mir und Ihnen) fehlen, wenn die Kirche fehlt? Viele beschäftigen sich ernsthaft und selbstkritisch mit diesen Fragen; wer freilich schon Rezepte anböte, würde sich verdächtig machen.
Die folgenden Anregungen nenne ich glaubenshygienisch. Denn wer sich über Kirchliches nur aufregt und irgendwelche Leute darin angreift, verschwendet meines Erachtens seine Energie. Klar, heilige Wut muss raus, Enttäuschung und Verletzung gehören unbedingt auf den Tisch (den möglichst runden), und erst recht Verbrechen wie der elende Missbrauch müssen aufgedeckt werden. Aber alle, die von „der“ Kirche sprechen, ohne ihre eigene Geschichte mit ihr aufzuarbeiten, ähneln doch nur den unreifen Zeitgenossen, die sich auf dem Verschiebebahnhof der eigenen Erwartungen herumtreiben und nicht wirklich selbst in den Ring steigen. Warum bin ich frustriert? Was regt mich auf? Worauf zielen meine Hoffnungen? Wofür will ich mich engagieren oder eben nicht? Frust und Lust – sie wollen auch beim Thema „Kirche“ sortiert sein. Und vor allem: Was meine ich überhaupt, wenn ich „Kirche“ denke und sage und lebe? Doch nicht das Gebäude, nicht das Pfarrbüro und den Apparat, nicht die Organisation und Institution. Das alles mag seinen Sinn haben, aber entscheidend ist die Gemeinschaft mit denen, die von Jesus berührt sind und mit Ihm unterwegs. Christen sind Menschen, die eine Vor-Liebe für Jesus haben und alles in Verbundenheit mit Ihm sehen und tun wollen: „mit Ihm und durch Ihn und in Ihm“. Was folgt konkreter daraus?
Erstens: „Es braucht eine gottgemäße Trauer“
Ein Erstes: Veränderungen, je einschneidender sie sind, lösen bekanntlich Gefühle aus, und die sind ernst zu nehmen: Erleichterung vielleicht und Befreiung oder Angst und Ohnmacht – immer vorausgesetzt, dass es mehr ist als ein müdes Lächeln oder gar ein zynischer Blick. Ohne wirkliche Trauerarbeit wird man depressiv oder redet alles abwehrend bloß schön, und beides trägt auf Dauer nicht: Es braucht „gottgemäße Trauer“ (2 Korinther 7,10). Das aber schließt die Aufarbeitung eigener Versäumnisse und auch Schuld ein. Wir könnten auch von Reuearbeit und Buße reden? Wo waren wir, als Kirche zu selbstgefällig und inzüchtig war, zu folgsam und phantasielos , zu großmäulig und besserwisserisch, und vor allem zu moralinsauer? Und natürlich der Klerikalismus mit seinem Zweiklassensystem. Es könnte ja sein, dass der lebendige (!) Gott uns die rote Karte zeigt – mit der frohen Botschaft „bitte so nicht weiter“.
Zweitens: „Aufbruch zu einer Kirche, die Platz macht“
Das hieße befreiend und zweitens: Aufbruch zu einer Kirche, die Platz macht und nicht länger sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Ihr einziges Thema ist „Gott und die Welt“, das göttliche Erbarmen und unsere menschliche Neigung zur Selbstzerstörung. Zugespitzt gesagt: Es geht um (je-)den Menschen, nicht um den Christen; es geht um Mutter Erde, nicht um die Kirche(n). „Denn er (Jesus Christus) hat sich in seiner Menschwerdung mit jedem (!) Menschen gewissermaßen vereinigt (!)“ – formulierte großartig schon das Zweite Vatikanische Konzil (Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, 22). Was Christenmenschen im Weihnachts- und Ostergeheimnis feiern, „gilt nicht nur für die Christgläubigen, sondern für alle Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar (!) wirkt.“ Sie sind ja Gottes Geschöpfe und sein Ebenbild, in ihnen wirkt mindestens als Sehnsucht diese „letzte Berufung“. „So müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen (!) die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise (!) verbunden zu sein.“ Es ist an der Zeit, wirklich an Gott zu denken und endlich katholisch zu werden – Gott ist kein Gott der Kirche, sondern der Welt und jedes Menschen. Katholisch heißt ja im Sinne des Credo gerade allumfassend, ganzheitlich und nicht konfessionalistisch verklüngelt.
Im not-wendenden Abschied von bisherigen Kirchengestalten (die ihren Sinn hatten, aber verbraucht erscheinen und sich nun als zu eng erweisen) will und kann neu der Glanz der Osterbotschaft zur Geltung kommen. Unermüdlich ist Papst Franziskus dabei, diese Schöpfungsweite und Auferweckungskraft des Evangeliums unters Volk zu bringen. Wird das bei uns in Deutschland wirklich aufgenommen und an der Basis durchbuchstabiert? Gibt es genug Anstrengungen, diesen konziliaren Perspektivwechsel ins kirchliche Denken und Handeln zu übersetzen? Bestimmt er die Tagesordnung unserer Konferenzen und die Prioritäten der Pastoral?
Drittens: Glauben ist nicht länger Sache der Gewohnheit
Zum Besonderen der gegenwärtigen Kirchenstunde gehört drittens, dass Christ- und Kirche-Sein nicht mehr selbstverständlich ist. Wer sich heute in Zustimmung und Kritik mit Kirche(n) beschäftigt und sogar bindet, hat Gründe.
Es ist eine Sache der Wahl wie bei erwachsen(d)er Liebe. Und es hat dann auch mit Erwählung zu tun. Glauben und gar Kirchlich-Sein ist nicht länger Sache der Tradition und Gewohnheit. Es gewinnt seinen Abenteuer- Charakter wieder zurück, es hat mit Attraktivität und Wagnis zu tun. Zwar wurde und wird immer gesagt, dass es sich beim Evangelium um eine freudige Sache handle, aber allzu oft ist dieser Lustaspekt am Glauben verlorengegangen oder an der Realität des Kirchlichen gescheitert. Dass es ein Glück, christlich glauben zu dürfen, kommt neu in den Blick – und ist glaubenshygienisch ganz wesentlich. Statt sich weiterhin über „die“ Kirche nur aufzuregen, könnte es psycho-und theo-therapeutisch viel lohnender sein, nach dem Stellenwert des Erfreulichen im Seelenhalt zu fragen und an einer Kirche zu arbeiten, die nicht nur interessant ist, sondern sogar attraktiv.
Viertens: Dasein als Gottes ständige Schöpfung begreifen
Ein vierter Hinweis zur Glaubenshygiene ist im bisher Gesagten längst schon mitpräsent: das dankbare Staunen, dass wir die Welt und unser Dasein als Gottes ständige Schöpfung begreifen, absolut nicht selbstverständlich. In allem, was ist, ist es schon der lebendige Gott, der uns erwartet und zur kreatorischen Partnerschaft einlädt, mitarbeitend und mitleidend an der Wandlung der Verhältnisse zu dem, was sie schon sind und sein sollen. Und das erste Stück Welt, das solch schöpferischer Veränderung bedarf, bin immer ich selbst – und das sind wir als Kirche im mitgeschöpflichen Dienst am Gelingen des Ganzen. Die Kirche der Zukunft wird deshalb viel mehr eine kontemplative und betende Kirche sein. Aufregend ist ja, wie viele Menschen Meditation beziehungsweise Kontemplation üben und pilgernd unterwegs sind. Was früher primär Ordensleute machten, wird nun zum Gütezeichen des Menschen, der sich aufmacht, das Beten zu lernen.
„Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer der etwas erfahren und sich entschieden hat, oder er wird nicht mehr sein“, wie Karl Rahner vor über 50 Jahren schon formulierte. Noch kurz ein letzter Impuls: Kirche(n) und Christen seien fortan besonders durch zwei Haltungen geprägt, die natürlich zusammengehören: Sie sind gottdurchlässig und gastfreundlich. So bringt es der Theologe Christoph Theobald auf den Punkt, der in Paris Dogmatik unterrichtet.
Fünftens: „Gottdurchlässig und gastfreundlich“ werden
Er spricht von Heiligkeit, unterstreichen wir die Haltung des Gebets und der Orientierung am Geheimnis dessen, dem die christliche Vorliebe gilt: Jesus der Chris-tus, als dieser Mensch derart empfänglich für Gott, dass an ihm das Gesicht Gottes ebenso erkennbar wird wie das Gesicht des wahren Menschen. Gerade weil er ganz im Geheimnis Gottes lebt, kann er radikal offen sein für die Mitmenschen und die Dinge. Derart heilig und gottdurchlässig, kann er die Angst um sich selbst verlieren und sich verausgaben „für euch und für alle“. Kirche und Christen bräuchten demnach nicht länger um sich und ihre Zukunft besorgt sein. Sie bezeugen vielmehr jene absichtslose Liebe Gottes, von der in Wahrheit jeder Mensch schon weiß. Wer sehnte sich denn nicht nach unbedingter Liebe und Akzeptanz? Weiß im Grunde nicht jede(r), dass das Leben nur einen Sinn hat: lieben zu lernen – und sich lieben zu lassen?