Europäisches Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit in Potsdam

Erforschte und gelebte Religion

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An der Universität Potsdam ist das Europäische Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit mit Rabbinerausbildung und Synagoge eröffnet worden. Rabbiner Homolka, Rektor einer der beiden Ausbildungseinrichtungen, spricht über die Bedeutung dieses Zentrums und seine Aufgaben.

Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam und Vorsitzender der Union Progressiver Juden in Deutschland, neben dem zukünftigen Tora-Schrein in der Synagoge im Hofgärtnerhaus.    Fotos: epd/Rolf Zoellner

 

In Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde in Potsdam das „Europäische Zentrum für Jüdische Gelehrsamkeit“ eröffnet. Der Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, erläutert im Interview die Ziele der neuen Einrichtung.
 
Rabbiner Homolka, das Europäische Zentrum Jüdischer Gelehrsamkeit wurde jetzt eingeweiht. Was genau ist bei dieser Weihe passiert?
 
Wir haben endlich die Rabbinerseminare, das Abraham Geiger Kolleg und das Zacharias Frankel College mit der School of Jewish Theology der Universität Potsdam räumlich zusammengeführt. Und zugleich eröffnen wir die erste Synagoge an einer deutschen Universität. Das vollendet den langen Prozess, der 1836 begann, als Abraham Geiger sagte, die Emanzipation des Judentums sei erst dann vollendet, wenn die Geistlichen-Ausbildung des Judentums mit der der christlichen Kirchen gleichgestellt sei. Er meinte damit ein Universitätsstudium in jüdischer Theologie. Das haben wir in Potsdam seit 2013 erreicht. Es hat weitere acht Jahre gedauert, bis wir auch den letzten Schritt zur Vollendung tun konnten: die Zusammenführung unter einem Dach.
 
Wie viele junge Leute haben denn jährlich Interesse an einem jüdischen Theologie-Studium? Und was wird man damit?
 
Wir haben erfreuliche Zahlen: Seit 2013 ist das Interesse größer als die Zahl der Studienplätze. Im Durchschnitt sind es um die 100 Studierende. Davon bereiten sich derzeit 31 auf das geistliche Amt vor. Die anderen Absolventen ergreifen ganz unterschiedliche Berufe: Einige sind mittlerweile als Journalisten tätig, andere bei Stiftungen, in Parlament und Ministerien, aber auch im kulturellen Bereich. Was jüdische Theologie gegenüber der Judaistik und den jüdischen Studien so faszinierend macht, ist der lebendige Zugang zu einer Religion, die nicht nur erforscht, sondern auch gelebt wird. Ausdruck dessen ist es, dass wir die erste Universitätssynagoge in ganz Deutschland haben.
 
Wie werden Sie die Synagoge denn künftig nutzen?
 
Wir haben regelmäßige Wochentagsgottesdienste am Montag und Donnerstag, die auch dem Erfahrungsgewinn der künftigen Rabbiner und Kantoren dienen. Gleichzeitig ist es ein Raum, der in die Stadt Potsdam hineinwirken soll. Ein Raum, der offen ist für die jüdische Gemeinschaft, in dem auch mal die örtlichen jüdischen Gemeinden ihre Gottesdienste abhalten können. Die Synagoge ist ja so gestaltet, dass sie von verschiedenen Strömungen genutzt werden kann. Wir wollen schon dieses Jahr die Juden Potsdams zum Sukkot-Fest bei uns einladen, damit sie Gelegenheit bekommen, sich das hier anzuschauen. Für die Zukunft hoffen wir auf einen guten und regen Kontakt. Aber die Synagoge soll auch Nichtjuden offenstehen, zum Beispiel den Studierenden der Universität als Raum der Stille dienen, wo man sich sammeln und auch mal ein Stoßgebet vor der mündlichen Prüfung abschicken kann ...
 
Potsdam hat eine neue Synagoge. Es ist das erste jüdische Gotteshaus in Brandenburgs Landeshauptstadt nach der Schoah. Neben der Synagoge befindet sich im Hofgärtnerhaus auch das Abraham-Geiger-Kolleg.

 

Sie haben ein liberales und ein konservatives Rabbinerseminar unter einem Dach. Wie geht das praktisch?
 
Bei den Protestanten gibt es ja auch Lutheraner und Reformierte. Das geht ja in Deutschland unter dem Dach der Evangelischen Kirche gut zusammen. Deshalb haben wir bei der Konzeption der School of Jewish Theology schon früh gesagt, dass die Ausbildung beiden Richtungen dienen soll. Aufgabe der Rabbinerseminare ist es dann, auf die je spezifischen Besonderheiten einzugehen. Dieses breite Spektrum dient auch unserer internationalen Orientierung. Statt einer Engführung der Ausbildung für eine ganz spezifische Praxis des Judentums streben wir eine möglichst große Flexibilität an: Die Absolventen sollen sich in mehreren Liturgien und Traditionen zu Hause fühlen. Wir legen auch großen Wert auf die hebräische Sprache. Darum finden Sie unsere bisher 44 Absolventen sowohl in deutschen Einheitsgemeinden, in liberalen Gemeinden der Union progressiver Juden in Deutschland, aber auch in ausländischen jüdischen Gemeinden mit ihren jeweiligen spezifischen Ausprägungen. Das ist unser Ziel.
 
Was hat denn die jüdische Theologie für die Gesamtgesellschaft zu bieten?
 
Die jüdische Theologie hat sich in den letzten Jahren erst formieren können. Wir haben 2021 die letzte unserer Professuren besetzt. Das war eine enorme Pionierleistung. Von Anfang an aber war das Zusammenleben verschiedener Religionen in unserer Gesellschaft für uns ein weiterer Schwerpunkt. Wir arbeiten beispielsweise an einer internationalen Enzyklopädie jüdisch-christlicher Beziehungen, die 2023 fertig gestellt sein wird. Außerdem sind wir im ständigen Austausch mit Muslimen, etwa den theologischen Zentren in Münster und Osnabrück. In der Aktion „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ arbeiten wir mit, um darauf aufmerksam zu machen, welche kulturellen Beiträge das Judentum geleistet hat. Im Herbst 2021 beginnt das Jubiläumsjahr „250 Jahre liberales Judentum“. Damit wollen wir zeigen, wie die Selbstfindung des Judentums seit der Aufklärung verlaufen ist. Wir sind sehr engagiert, zukünftige Entwicklungslinien der deutschen Gesellschaft mitzugestalten.
 
Der Staat setzt den Rahmen ja zum Beispiel in der Debatte um die Sterbehilfe. Wird die jüdische Theologie in solchen Fällen gefragt?
 
Ich hoffe, dass wir in diesen Diskursen noch mehr Beachtung finden. Die Beschäftigung mit dem Judentum hat oft den Fokus, wie es zu Jesu Zeiten war. Wir müssen zur Frage kommen: Was kann das Judentum als Weltreligion heute für die Lösung der ethischen und moralischen Dilemmata anbieten, die wir zu lösen haben?
 
Was würden Sie als Rabbiner jemandem sagen, der zu ihnen kommt und sie darauf anspricht, dass er in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen will?
 
Es gilt bei uns, ähnlich wie in der christlichen Theologie, dass Gott den Menschen das Leben gegeben hat. Deswegen kann auch nur er es den Menschen nehmen. Aktive Schritte, den Tod einzuleiten, sind im Judentum nicht erlaubt. Gleichzeitig gibt es aber auch durch die große Anzahl jüdischer Mediziner eine Praxis, in der in solch aussichtslosen Fällen der Arzt keine lebensverlängernden Schritte unternimmt.
 
Interview: Benjamin Lassiwe