Hartmut Kirschner berät Patienten in suizidalen Krisen

Ermutigung zum Leben

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Menschen verzweifeln aus verschiedensten Gründen am Leben. Damit sie es dennoch nicht freiwillig beenden, berät Hartmut Kirschner seit fünf Jahren Patienten in suizidalen Krisen.

Hinweisstein auf der sächsischen Boselspitze, da sich etliche Menschen durch den Sprung in die Tiefe das Leben nahmen.    Foto: imago images/Sylvio Dittrich

 

Das Wort Ruhestand scheint für Dr. Hartmut Kirschner ein Fremdwort. „Ich bin noch immer viel beschäftigt“, sagt er. Trotz seiner inzwischen 82 Lebensjahre ist der sächsische Arzt noch immer für seine Mitmenschen im Einsatz. Der Mann hat eine Mission. Während überall in Europa die Debatte um Sterbehilfe an Fahrt aufnimmt, setzt er sich für lebensmüde Menschen ein. Seit gut fünf Jahren bietet der Facharzt für Psychotherapie in Kooperation mit der Caritas Dresden jeden Dienstag in Radeberg eine kostenlose Sprechstunde für Menschen in schweren Lebenskrisen an. Geht es nach Kirschner, sollte die Kirche überall im Lande möglichst rasch ähnliche Angebote aufbauen.
„Ich hatte bisher 450 Langzeitkontakte und über 600 Kurzkontakte. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, eine solche ehrenamtliche Sprechstunde mit spirituellem Hintergrund auch an anderen Orten anzubieten.“ Dafür könnte man pensionierte Ärzte, Psychologen, Theologen und Sozialarbeiter einsetzen. Hintergrund seiner Idee ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang 2020. Darin hatte Karlsruhe das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt und die Hilfe zur Selbsttötung, zum Entsetzen beider Kirchen, zu einem Grundrecht erklärt; sogar für junge und gesunde Menschen. Als Reaktion auf das Urteil hat sich neben der Deutschen Bischofskonferenz zuletzt auch der Deutsche Ärztetag für Maßnahmen zur Verbesserung der Suizidprävention stark gemacht.
Kirschner ist evangelischer Christ, der mit seiner katholischen Frau „in einer konfessionsverbindenden Ehe lebt“, wie er sagt. Mit seinem Engagement sieht er sich in bester Tradition zu Papst Franziskus. Dieser hatte die Kirche 2016 mit einem Feldlazarett verglichen und die Gläubigen aufgerufen, wieder mehr an die Ränder zu gehen. Genau das tut Kirschner. Rund 80 Prozent seiner Klienten haben keinen christlichen Hintergrund.

Anlaufpunkt für alle Altersgruppen
Kirschner ist gelernter Internist. Erst später ließ er sich zum Facharzt für Psychotherapie weiterbilden. Er hatte festgestellt, dass vielen körperlichen Leiden psychische Ursachen zugrunde liegen. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Hausärztin, hat er in Radeberg lange Jahre eine Gemeinschaftspraxis betrieben. Mit 77 ging er in den Ruhestand. Als er dann jedoch im Ärzteblatt las, dass sich in Deutschland jährlich rund 10 000 Menschen das Leben nehmen, ließ ihn das nicht ruhen. 2017 richtete er seine Krisensprechstunde ein und hat seither Zulauf aus allen Altersgruppen. Seine jüngste Patientin war 17, der Älteste 85 Jahre.

Dr. Hartmut Kirschner    Foto: Privat

Die Motive, warum Menschen verzweifeln, seien vielfältig. Oft steckt ein Verlust hinter der seelischen Not. Der Verlust der körperlichen Gesundheit, der Verlust von Angehörigen. Der Verlust des Arbeitsplatzes. „Oder es gibt Probleme in der Partnerschaft oder der Familie. Wieder andere leiden an einer noch unbehandelten Suchterkrankung oder haben eine Angststörung. Das kann so weit gehen, dass sich die Menschen nicht einmal mehr trauen, in die Kaufhalle zu gehen“.
Hinter etlichen Suizidgedanken verberge sich zudem eine Depression. Gemeinsam mit seinen Patienten versucht Kirschner dann „einen Lösungsweg zu finden, der nicht Suizid ist. Ich ermutige die Leute. Wenn die Menschen einverstanden sind, dann bete ich für sie.“ Zudem macht er seine Patienten auf Entspannungstechniken oder Medikamente aufmerksam. „Wenn ich merke, dass jemand dafür offen ist, weise ich auf die Möglichkeit einer Psychotherapie hin.“

Lebensrettende Erstversorgung
Kirschner ist im Suizidnetzwerk Dresden eingebunden. Als Facharzt weiß er, dass eine einmalige Krisenintervention allein noch keine Heilung bringt. Wie wichtig jedoch die Nothilfe auch bei psychischen Krisen ist, erklärt Kirschner mit einem Bild. „Wenn ein Verletzter auf der Straße liegt, dann zieht man ihn zunächst einmal von der Straße runter, damit er nicht noch überfahren wird.“ Auf dem Gehweg könne man den Patienten dann weiter versorgen und Hilfe holen. „Für den zu Rettenden ist die erste Hilfe ein ganz wichtiger Beitrag, dass er weiterlebt.“

Unter dem Motto „(K)ein Licht am Ende des Tunnels in suizidalen Lebenskrisen“ bietet Dr. Hartmut Kirschner (Facharzt für Psychotherapie i.R.) kostenlose, vertrauliche und zeitnahe Beratung in Radeberg (Kopernikusstraße 6) an. Seine Sprechstunde ist dienstags von 10 bis 12 und von 15 bis 17 Uhr. Kontakt: 0 35 28 / 44 22 48

Von Andreas Kaiser