Notfallseelsorge im brandenburgischen Märkisch-Oderland
Erste Hilfe für die Seele
Das elfköpfige Team der Notfallseelsorge Märkisch-Oderland mit den Kinder-Notfall- teddys als Tröster und Talisman. Das Foto entstand auf dem Gelände der Freiwilligen Feuerwehr im Technologie- und Gründerzentrum in Strausberg. Foto: Marina Dodt |
Diesen Schrei der Jugendlichen wird er sein Leben lang nicht vergessen – ein Urschrei, in dem sich unerträglicher Schmerz und die Wucht der Verzweiflung Bahn brechen. Dennis Ferch erinnert sich noch genau an einen seiner ersten Einsätze, war dabei, als eine Mutter ihrer Tochter die Todesnachricht über den im Krankenhaus gerade gestorbenen Bruder übermitteln muss. Das hat sich eingebrannt, ihn aber auch in seinem Ehrenamt bestärkt. Eigentlich komme er aus einem vollkommen unchristlichen Elternhaus, fand aber in der evangelischen Gemeinde Bad Freienwalde zunehmend ein Zuhause und ließ sich 2010 taufen. Die Nächstenliebe, so sagt er, das war und ist bis heute der Anstoß und Motivation, auch für sein Engagement in der Notfallseelsorge, deren Team Märkisch-Oderland er seit 2019 leitet.
Notfallseelsorge ist Nächstenliebe
Erste Hilfe für die Seele, so benennt Teammitglied Markus Prumbs aus Müncheberg-Trebnitz das Kernanliegen der Notfallseelsorge. Wie Ferch ist er Sozialpädagoge, arbeitet in der Caritas-Erziehungs- und Familienberatungsstelle Neuenhagen. Gemeinsam mit Christfried Paegelow aus der evangelischen Gemeinde Seelow gehörte er vor gut 20 Jahren zu den Begründern der Notfallseelsorge in der Re-
gion, gibt er aus seiner langjährigen Kenntnis einen Einblick in den Alltag, Ablauf und die Fülle der Anlässe für Notfallseelsorge vor Ort: „Wir arbeiten mit Polizei, Notärzten oder Feuerwehren Hand in Hand, werden ausschließlich über die Leitstelle alarmiert, um zum Einsatzort zu kommen, den Betroffenen dort zur Seite zu stehen. So begleiten wir zum Beispiel unverletzte Unfallopfer, vermeintliche Unfallverursacher, überbringen Todesnachrichten mit der Polizei, betreuen Menschen nach Gewaltverbrechen wie zum Beispiel Überfällen, stehen Angehörigen von plötzlich Verstorbenen im häuslichen Bereich zur Seite, helfen Menschen mit Suizidabsicht, einen Weg zu finden, um im Leben zu bleiben oder betreuen Menschen, die einen Angehörigen durch einen erfolgten Suizid betrauern.“ Ordnen, Struktur reinbringen, ein Glas Wasser holen, gemeinsam aushalten und warten, bis der Betroffene zu reden beginnt, miteinander beten oder andere vertraute Rituale, all das gehört dabei zu den bewährten „Erste-Hilfe-Maßnahmen“.
Dennoch ist jeder Fall anders, dauern Betreuung und Begleitung manchmal mehrere Stunden, bis das System aus Familie oder Nachbarn sich selbst trägt. Brücken bauen die „Ersthelfer für die Seele“ im Bedarfsfall auch zu anderen Hilfeeinrichtungen der Gesundheits- und Sozialfürsorge. Das Bild der Emmausjünger sei ihm in all diesen Situationen zu einem Leitbild geworden, so empfindet es Prumbs, denn auch sie erfahren in ihrer Trauer Wegbegleitung, Trost und Gemeinschaft, bis sie darin Jesus in seiner Liebe zu den Menschen erkennen. Er ist der einzige Katholik im Team, doch diese Liebe zu den Menschen, die gelebte Mitmenschlichkeit verbinde untereinander, gibt Bereicherung und Bestärkung über alle konfessionellen und kirchlichen Bindungen hinweg.
Niemand darf dann alleine sein
Die stellvertretende Teamleiterin Katrin Fischer gehört keiner Kirche an. „Ich möchte den Betroffenen Kraft geben, um wieder auf die Füße zu kommen und die ersten Schritte zu gehen, um in ihrem Leben – nach dem Ereignis – wieder anzukommen. Das erfordert Geduld und die richtigen Worte, eine empathische Art und Nächstenliebe.“
Dasein, wo kein anderer ist, das ist ebenso das Credo von Gründungsmitglied Christfried Paegelow. Als langjähriger Rettungssanitäter erlebte er oft genug, wie Betroffene nach dem Einsatz sich selbst überlassen zurückblieben, versucht daher als Ehrenamtlicher, diese Leer- und Nahtstelle zu füllen. „Niemand soll und darf in einem solchen Moment größten menschlichen Leids alleine sein“, diese ganz persönliche Erfahrung brachte auch Krankenschwester Elke Wenzel zur Notfallseelsorge. Dabei würdigt sie das Team, in dem sie auch mal das Herz ausschütten und Kraft tanken kann. Denn der Anspruch, niemanden in seiner Not allein zu lassen, gilt auch für die Teammitglieder selbst. Um sich den emotional oft sehr belastenden Aufgaben dauerhaft stellen zu können, werden daher regelmäßige Aus- und Weiterbildungen, Supervision und weitere Möglichkeiten der eigenen Entlastung in Anspruch genommen.
Zu durchschnittlich 40 Einsätzen wurden die Notfallseelsorger aus dem Landkreis Märkisch-Oderland in den letzten Jahren gerufen. Die Tendenz ist mit 87 Einsätzen im Jahr 2021 steigend. Allein bis Anfang März 2022 sind bereits 45 Anforderungen der Notfallseelsorge erfolgt. Auch aus diesem Grund werden weitere Interessenten gesucht, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement die Arbeit der Notfallseelsorge und Krisenintervention darin unterstützen wollen, der aufschreienden Seele erste Hilfe und Halt zu geben.
Zur Sache: Notfallseelsorge
Notfallseelsorge ist psychosoziale und seelsorgerische Krisenintervention. Sie ist ein Angebot, um Betroffenen in akuten Notfällen und Krisensituationen menschlich und seelsorgerisch beizustehen und gilt allen Menschen, unabhängig von ihrer religiösen Bindung. Als kommunale Pflichtaufgabe ist sie zum Teil unterschiedlich strukturiert und wird vor allem von Kirchen oder Hilfsorganisationen gestellt, im Land Brandenburg zum Beispiel von der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.
Kontakt für alle, die Hilfe suchen oder Notfallseelsorger mithelfen wollen: www.notfallseelsorge.de dort unter Kontakt/Ortsebene
Von Marina Dodt