Anstoß 49/2020

Erzähle

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„Heeh, Wind! Erzähle! Erzähl!“ – bettelnde Kinderstimmen am Beginn eines Hörspiels, bis der Wind endlich eine Geschichte erzählt.


Nicht nur Kinder lieben Geschichten. Geschichten erzählen und hören wollen, gehört wohl zum Wesen der Menschen. Seit Menschengedenken bilden sich Erzählgemeinschaften, angefangen an abendlichen Lagerfeuern bis hin zur Stiftung von kulturellen und religiösen Gemeinschaften, die sich alle auf ihre Anfangserzählungen, ihre Geschichte(n) berufen.

Auch der christliche Glaube verbreitete sich zunächst in den „Geschichten“, die die Jüngerinnen und Jünger Jesu weiter erzählten … bis es nötig wurde, sie aufzuschreiben, weil die Augenzeugen nicht mehr da waren und um den Ursprung zu bewahren.

Geschichte(n) erzählen hilft, Erinnerungen lebendig zu halten und Wesentliches zu bewahren. Gerade haben mich die Lebensgeschichten von Menschen berührt, die in den vergangenen Monaten an COVID19 gestorben sind. Zeitredakteure haben sie erzählt, damit die Zahlen ein Gesicht bekommen. Es sind Geschichten geworden, „von Menschen, die man gern kennengelernt hätte“, so sagen sie.

Geschichten erzählen – die Adventszeit lädt dazu ein, wie keine andere Zeit des Jahres. Neben den Geschichten, die sich um diese Zeit ranken, hören wir aus der Bibel die alten Hoffnungsgeschichten des Volkes Israel: Das Volk, das im Dunkel geht, sieht ein helles Licht. Hoffnung schöpfen und Mut fassen – auch dazu werden Geschichten erzählt. Sie zeigen, dass es möglich war, schwierige Zeiten durchzustehen. Eine Erfahrung, die wir auch heute gut brauchen können. Nicht zu vergessen unsere eigenen Geschichten von Hoffnung und Durchhalten, von unverhofften Auswegen, von Durststrecken und vom Getragen-Sein.

Die Corona-Situation verweist uns auf unsere unmittelbaren Lebensgemeinschaften zurück. Ein Grund mehr, diesen Advent ganz bewusst zum Erzählen zu nutzen, gute Erinnerungen zu teilen, uns „die Wärme und die Farben des Sommers“ lebendig werden zu lassen, wie die Maus Frederick, die viele Kinder gut kennen. Und uns von dem zu erzählen, was uns trägt und hält: die großen Erzählungen unseres Glaubens und die eigenen kleinen Glaubensgeschichten.

Angela Degenhardt, 
Sangerhausen