Mit 45 Jahren noch einmal die Schulbank drücken

„Es lohnt sich, mutig zu sein!“

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Maria Scheideck ist 45 Jahre alt. Die gelernte Reiseverkehrskauffrau ist seit 2003 raus aus ihrem Beruf – Auslandsaufenthalt und Familienzeit. Nun drückt sie wieder die Schulbank und geht in die Abschlussklasse der Fachschule Sozialpädagogik an der Elisabeth-von-Rantzau-Schule in Hildesheim. Ihr Ziel: Erzieherin.


Maria Scheideck wagt mit 45 einen beruflichen Neuanfang inklusive Ausbildung.

„Mir fehlen die Kinder in meiner Kita“, sagt Maria Scheideck. Sie ist verheiratet, hat drei Töchter und bereitet sich in der Elizabeth-von-Rantzau-Schule auf die Abschlussprüfung im Sommer vor. Sie freut sich darauf, dann als Erzieherin tätig sein zu können. Erste Erfahrungen mit der Erziehertätigkeit hat sie im Silicon Valley gemacht. 2004 wanderte sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter dorthin aus. Während ihr Mann bei einer großen Firma als Softwareentwickler arbeitete, hatte sie keine Arbeitserlaubnis. Sie kümmerte sich um den Haushalt und ihre Tochter.

„Aber das war mir nicht genug, das hat mich nicht ausgefüllt“, erzählt sie. So hat sie damit begonnen, sich ehrenamtlich im Kindergarten ihrer Tochter zu engagieren. „Das hat mir großen Spaß gemacht. Nach der Geburt unserer zweiten Tochter habe ich das Engagement sogar noch ausgebaut und einen Singkreis für Kinder und ihre Mütter aufgebaut. Gesungen wurde auf Deutsch, denn im Silicon Valley gibt es viele deutschsprachige Familien.“

2010 kam dann ein Anruf aus Hildesheim. Eine große Firma machte ihrem Mann ein Angebot für ein dreijähriges Projekt. „Das war zeitlich begrenzt und wir wollten anschließend wieder zurück in die USA“, erinnert sich Maria Scheideck. Dann kam für ihren Mann das Angebot, nach dem zeitlich begrenzten Projekt in eine unbefristete Festanstellung zu wechseln. „Dabei wollte ich unbedingt wieder zurück nach Kalifornien. Mir ist es anfangs schwergefallen, wieder ganz hier in Deutschland zu bleiben. Aber wer so wie wir viel umgezogen ist, weiß auch, dass es rund zwei Jahre dauert, um an einem neuen Ort Fuß zu fassen und wieder ein soziales Umfeld aufzubauen.“

Im Endeffekt hat der gesunde Menschenverstand gesiegt und die Familie hat sich für das abgesicherte deutsche Sozialwesen entschieden.

„Als diese Entscheidung gefallen war, habe ich mir gesagt, jetzt kommt meine Zeit, jetzt musst du was für dich tun!“ In ihren alten Beruf in der Reisebranche wollte Maria Scheideck nicht zurück. Sie schrieb sich bei der Fernuniversität Hagen ein: Psychologie. „Das Studieren hat mir viel Spaß gemacht und es ließ sich auch gut organisieren, zumal die beiden Kinder vormittags in der Schule, beziehungsweise in der Kita waren. Da hatte ich Zeit zum Lernen.“
Doch dann war sie mit ihrer dritten Tochter schwanger. „Ich merkte schnell, dass ich da an meine Grenzen stieß. Ein Kleinstkind, Familie und Studium, das ließ sich nicht mehr unter einen Hut bringen. Es wurde alles zuviel. Ich musste kürzer treten. Mir fehlte hier das soziale Hilfsnetz. In den USA war das anders, da gab es viel mehr Nachbarschaftshilfe.“

Maria Scheideck hängte das Studium an den Nagel und konzentrierte sich ganz und gar auf die Familie.„Die hatte einfach Vorrang.  Das war für mich keine Frage.“ Aber nur Familie, da fehlte ihr doch was. Sie begann – wie schon im Sillicon Valley – sich ehrenamtlich in der Kita ihrer Jüngsten, einem Familienzentrum der AWO, zu engagieren. „Ich habe dort Müttertreffen ini­tiiert und geleitet. Die waren allerdings auch offen für Väter“, erzählt sie lachend. Dann hörte Scheideck vom Programm QuiK-Kräfte in Niedersachsen. Ein Programm, was die Qualitätssicherung in Kindertagesstätten verbessern soll – über Quereinsteiger in den Erzieher-Beruf.
Bei Maria Scheideck war das Interese geweckt. Bei ihrer Kita-Leitung hat sie nachgehakt, ob auch Berufsfremde da mitmachen können. Sie hat sich beworben, mit Erfolg. Ein Jahr lang konnte sie so im Bereich Sprachförderung besonders mit Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund arbeiten. In dieser Zeit fragte eine Kollegin, ob sie sich nicht vorstellen könne, eine Ausbildung zur Erzieherin zu machen. „Über 40 und noch eine neue Ausbildung“, fragte sich damals die Mutter von drei Töchtern.

Zwei Wochen lang überlegte Maria Scheideck und begann mit 43 Jahren die Ausbildung zur Sozialassistentin an der Elisabeth-von-Rantzau-Schule. „Ich hatte ja nichts zu verlieren. Wenn es nicht klappen würde, hätte ich mich wieder in meine Komfortzone zurückziehen können – um neue Erfahrungen reicher.“

Für sie war die Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin auf ein Jahr verkürzt: „Da ich Quereinsteigerin bin und bereits das Abitur und eine abgeschlossene Berufsausbildung habe. Regulär dauert sie zwei Jahre.“
Die Ausbildung bedeutete auch für die Familie eine Umstellung. „Es war für meine Kinder anfangs ungewohnt, dass auch Mama wieder die Schulbank drückt. Dabei hatte ich ja nur zwei Tage in der Woche Unterricht in der Schule und drei Tage arbeitete ich als Praktikantin in einer Kita“, so Scheideck. Denn wichtig an der Ausbildung ist in der Elisabeth-von-Rantzau-Schule die Mischung aus Theorie und Praxis.

2019 bestand Maria Scheideck ihre Prüfung zur Sozialassistentin. Bereits jetzt hätte sie in einer Kita arbeiten können – aber immer nur als zweite Kraft in einer Gruppe. „Jetzt hatte ich die einmalige Chance, noch weiterzumachen um hier die zweijährige Sozialpädagogische Fachschule zu besuchen. Am Ende dieser zwei Jahre steht dann tatsächlich mein Traum: Erzieherin. Ich habe mir gesagt, jetzt ist die Familie eingespielt mit der Situation Mama geht zur Schule, muss lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten. Mir war immer wichtig, dass ich keinen Alleingang mache. Die Familie ist mit im Boot und hat mir auch immer den Rücken gestärkt. Sonst hätte ich das auch nicht gemacht“, sagt Scheideck rückblickend. Nicht mal mehr ein halbes Jahr, dann macht sie ihren Abschluss, erreicht zeitgleich wie ihre älteste Tochte die Fachhochschulreife. Und dann?

„Ja dann bin ich staatlich anerkannte Erzieherin und dürfte in einer Kita eine Gruppe verantwortlich leiten und sogar neue Erzieher und Erzieherinnen ausbilden“, freut sie sich, denn ihr Abschluss ist vergleichbar mit der Meisterprüfung in anderen Lehrberufen.

Maria Scheideck freut sich, dass die Ausbildung bald vorbei ist. „Dann habe ich endlich mal wieder freie Wochenenden ohne Lernen, wieder mehr Zeit für die Familie. Dass ich diesen Schritt gegangen bin und das alles geschafft habe, macht mich ein bisschen stolz – und ich fühle mich sehr gut dabei.“

Die ersten Bewerbungen hat sie bereits geschrieben. Demnächst kommen Vorstellungsgespräche. Für Scheideck ist klar: „Ich möchte jetzt mit der praktischen Arbeit anfangen. Als Arbeitsplatz kann ich mir gut eine Krippe oder Kita vorstellen. Und ich traue mir zu, die Leitung einer eigenen Gruppe zu übernehmen“, freut sie sich. Von ihrer Qualifizierung her könnte sie an der Elisabeth-von-Rantzau-Schule  nun auch noch die Fachakademie für Sozialmanagement der Caritas besuchen und Sozialwirtin für Management und Leitung werden, also die Befähigung erhalten, eine Kita zu leiten. Doch das kommt für die zukünftige Erzieherin zurzeit nicht in Frage. Sie will endlich mit den Kindern arbeiten. „Es ist jetzt während des Lockdowns schon schwer genug, auf die Mädchen und Jungen zu verzichten.“

Maria Scheideck ist sich sicher, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. „Auch wenn es nicht einfach für mich war, den ersten Schritt zu gehen. Aber es lohnt sich, mutig zu sein. Für mich, das habe ich von Anfang an gespürt, ist der Beruf einer Erzieherin, pädagogisch mit Kindern zu arbeiten, eine Berufung.“

Die Chancen als Mitviezigerin eingestellt zu werden, stuft sie als sehr gut ein, denn zum einen werden Erzieherinnen in Deutschland gesucht. Und zum anderen: „Im Gegensatz zu vielen jüngeren Kolleginnen ist bei mir die Familienplanung abgeschlossen. Das gibt beim Arbeitgeber auch eine gewisse Planungssicherheit“, betont Scheideck. Ein Argument, was nicht von der Hand zu weisen ist.

Edmund Deppe