Gregor Gysi und Bischof Gerhard Feige sprechen über Hass
Feindesliebe wäre zu groß
Image
„Ich hasse nicht zurück“, hat sich Gregor Gysi, Bundestagsabgeordneter der Linken, 1990 vorgenommen, als ihm erstmals in seinem Leben offener Hass entgegenschlug. Wie lässt sich Hass überwinden? Über diese Frage sprach er am 13. November mit dem Magdeburger Bischof Gerhard Feige.
Hass, Wut, Empörung: In kaum einem Lebensbereich werden so viele negative Emotionen wach wie im Straßenverkehr. | Foto: Fotolia |
„In der DDR kannte ich keinen Hass“, erzählte Gregor Gysi im Saal der Leipziger Propstei. Gerhard Feige dagegen ließ das Publikum wissen, er habe sich als Abiturient von der DDR-Jugend-Organisation besonders wegen deren Aufrufs zu „leidenschaftlichem Hass gegen Militarismus und Revanchismus“ distanziert. So sehr sich die beiden Diskussionspartner auch in ihrer biografischen Prägung unterscheiden, in ihren Plädoyers für ein friedfertiges, hassfreies Miteinander im Privaten wie im Politischen waren beide ganz nah beieinander.
Im entspannten Plauderton tauschten sie sich mit Moderator Frank Richter aus über persönliche Erfahrungen mit „Hass und Hetze“ – so der Titel der zugehörigen Veranstaltungsreihe im Leipziger Leibnizforum. Gregor Gysis Reaktionen auf den Hass, der ihm besonders in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR entgegenschlug, entspringen seinem Bedürfnis, überlegen und souverän zu bleiben. „Das möchte ich sein, ich gebe es ganz offen zu.“ Weglaufen kam für ihn nie in Frage, wenn er auf der Straße beleidigt oder bedroht wurde. „Das hätte mich gedemütigt. Ich zog es vor, meinen Weg fortzusetzen als sei nichts geschehen.“ Unvergessen ist ihm eine Veranstaltung aus dem Jahr 1990. In einem Saal aufgebrachter Gegner, von denen er eingangs sogar angespuckt wurde, fasste er den spontanen Entschluss „Ich hasse nicht zurück.“ Er redete, hörte zu und wurde nach knapp drei Stunden mit Applaus verabschiedet. Seither ruft er sich bei Gelegenheit von Zeit zu Zeit wieder in Erinnerung: „Du hast beschlossen, nicht zurückzuhassen.“
Bischof Feige kommt Hass vor allem in Briefen und E-Mails entgegen, in wachsendem Maße von Schreibern aus der eigenen Kirche. „Manches bringt mich innerlich zum Kochen und geht mir sogar nachts nach“, verriet er. Häufig verschaffe er sich Erleichterung, indem er eine „gesalzene“ Entgegnung formuliert – mündlich oder schriftlich, doch ohne sie jemals abzuschicken. Bevor er seine Antworten auf hasserfüllte Schreiben tatsächlich in die Post gebe, bitte er seine Referentin, sie zu entschärfen.
Sich aufrichten an Jesus und Nelson Mandela
Für beide Männer sind Vorbilder wichtig, um dem Hass beizukommen. Gregor Gysi richtet sich an der Persönlichkeit Nelson Mandelas auf, der ihm imponiert wie sonst niemand, auch wenn er überzeugt ist: „Solch einen Großmut wie er könnte ich nicht aufbringen.“ Auch die Feindesliebe, zu der Jesus auffordert, scheint ihm eine Nummer zu groß. Die andere Wange hinhalten überfordere ihn, nicht zurückhassen, das sei dagegen zu schaffen. Gerhard Feige hat in seiner Jugend Biografien von Priestern verschlungen, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren.„Wie es denen gelungen ist, nicht zurückzuhassen, hat mich enorm beeindruckt“, sagte er. Natürlich gebe es auch biblische Grundlagen für seinen Umgang mit Hass, die Bergpredigt etwa –„selig die Sanftmütigen...“ – und vor allem die Kreuzigung, die Jesus schweigend ertragen habe. Als Christ habe er eingeübt, damit täglich umzugehen und sei dabei zur Erkenntnis gelangt: „Das kann durchaus produktiv fürs Leben sein.“ Ob er selbst sich zur Feindesliebe fähig sieht, ließ er offen. „Wie definieren Sie Liebe? Vielleicht ist es mitunter bereits Liebe, den anderen nur zu ertragen ...?“, überlegte er.
„Wie gehen Sie mit Hassgefühlen um, die in Ihnen selbst hochkommen? Auch auf diese Frage von Frank Richter reagierte der Bischof zögerlich. Er empfinde zuweilen Verbitterung, Traurigkeit, Ohnmachtsgefühle, Empörung und Wut – hervorgerufen zum Beispiel durch die Fahrweise mancher Verkehrsteilnehmer – an richtigen Hass könne er sich hingegen nicht erinnern.
Gregor Gysi findet bei aufkeimenden Hassgefühlen analytisches Denken hilfreich. Zu verstehen, warum der andere so hasserfüllt redet und handelt, mache ihn selbst milder. Mitunter relativieren sich negative Gefühle, wenn er sich bewusst macht: „Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, gehen mir Autofahrer auf die Nerven, am Steuer eines Autos mag ich keine Radfahrer. Nüchtern mag ich keine Betrunkenen, doch wenn ich etwas getrunken habe...“ Manchmal helfe es ihm auch, sich abzulenken und einem anderen Thema zuzuwenden.
Der Moderator erinnerte beide Gesprächspartner an Situationen aus ihrem Leben. Ob er Hass empfand, als der Sänger Wolf Biermann die Linken 2014 bei einem Auftritt im Bundestag als „Drachenbrut“ und „letzten Rest“ bezeichnete, wollte er von Gysi wissen. Er könne Wolf Biermann nicht hassen, weil der ihm leidtue, entgegnete er. „Er wird die DDR nicht los. Seine Bedeutung hatte er durch die DDR, und seither findet er kein neues Thema.“
Den Bischof erinnerte Frank Richter an die Auseinandersetzungen in der Deutschen Bischofskonferenz über den Kommunionempfang für konfessionsverbindene Paare. Wäre es nicht ein Anlass zu hassen gewesen, dass im Frühjahr einige Bischöfe hinter dem Rücken der anderen die gemeinsamen Absprachen verletzten? „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, aber gehasst habe ich nicht“, antwortete Feige. „Das hat mich aber nicht persönlich, sondern der Sache wegen getroffen.“ Als Ökumenebeauftragter wollte er darauf hinweisen, welche Chance da verspielt zu werden drohte.
Von jeher seien Bischofskonferenzen auch „Treffen von Alphatieren, mit allen Spannungen, die das mit sich bringt.“ Es habe aber Zeiten gegeben, in denen man nach außen hin geschlossener aufgetreten sei. Was gegenwärtig in der Kirche ablaufe – der Umgang mit konfessionsverbindenden Paaren sei dabei nur ein Thema, empfinde er als beängstigend. „Ich möchte die Polarisierungen nicht mittragen“, betonte er. Gerade nach den Erfahrungen der DDR stehe er für einen „freimütigen Austausch der Argumente“.
Letztlich bleibe sein Blick auf Kirche und Gesellschaft aber von Hoffnung geprägt. Der anwachsende Hass könnte vielleicht auch die Liebe wieder stärker werden lassen, hofft er. Auch Gysi zeigte sich hoffnungsvoll. Es sei wichtig, dass Politiker, Kirchen, Verbände und Vereine zusammenwirken. Nur gemeinsam könne es gelingen, Menschen, die ihr Leben nur aus einer Opfer-Perspektive wahrnehmen, neues Selbstbewusstsein zu geben und ihnen zu helfen, sich vom Hass zu befreien und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ausgerechnet die Kirche ist für den Atheisten Gregor Gysi dabei ein Hoffnungszeichen: „Dass es die schon so ewig gibt, macht mir immer Mut...“
Für beide Männer sind Vorbilder wichtig, um dem Hass beizukommen. Gregor Gysi richtet sich an der Persönlichkeit Nelson Mandelas auf, der ihm imponiert wie sonst niemand, auch wenn er überzeugt ist: „Solch einen Großmut wie er könnte ich nicht aufbringen.“ Auch die Feindesliebe, zu der Jesus auffordert, scheint ihm eine Nummer zu groß. Die andere Wange hinhalten überfordere ihn, nicht zurückhassen, das sei dagegen zu schaffen. Gerhard Feige hat in seiner Jugend Biografien von Priestern verschlungen, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren.„Wie es denen gelungen ist, nicht zurückzuhassen, hat mich enorm beeindruckt“, sagte er. Natürlich gebe es auch biblische Grundlagen für seinen Umgang mit Hass, die Bergpredigt etwa –„selig die Sanftmütigen...“ – und vor allem die Kreuzigung, die Jesus schweigend ertragen habe. Als Christ habe er eingeübt, damit täglich umzugehen und sei dabei zur Erkenntnis gelangt: „Das kann durchaus produktiv fürs Leben sein.“ Ob er selbst sich zur Feindesliebe fähig sieht, ließ er offen. „Wie definieren Sie Liebe? Vielleicht ist es mitunter bereits Liebe, den anderen nur zu ertragen ...?“, überlegte er.
„Wie gehen Sie mit Hassgefühlen um, die in Ihnen selbst hochkommen? Auch auf diese Frage von Frank Richter reagierte der Bischof zögerlich. Er empfinde zuweilen Verbitterung, Traurigkeit, Ohnmachtsgefühle, Empörung und Wut – hervorgerufen zum Beispiel durch die Fahrweise mancher Verkehrsteilnehmer – an richtigen Hass könne er sich hingegen nicht erinnern.
Gregor Gysi findet bei aufkeimenden Hassgefühlen analytisches Denken hilfreich. Zu verstehen, warum der andere so hasserfüllt redet und handelt, mache ihn selbst milder. Mitunter relativieren sich negative Gefühle, wenn er sich bewusst macht: „Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, gehen mir Autofahrer auf die Nerven, am Steuer eines Autos mag ich keine Radfahrer. Nüchtern mag ich keine Betrunkenen, doch wenn ich etwas getrunken habe...“ Manchmal helfe es ihm auch, sich abzulenken und einem anderen Thema zuzuwenden.
Der Moderator erinnerte beide Gesprächspartner an Situationen aus ihrem Leben. Ob er Hass empfand, als der Sänger Wolf Biermann die Linken 2014 bei einem Auftritt im Bundestag als „Drachenbrut“ und „letzten Rest“ bezeichnete, wollte er von Gysi wissen. Er könne Wolf Biermann nicht hassen, weil der ihm leidtue, entgegnete er. „Er wird die DDR nicht los. Seine Bedeutung hatte er durch die DDR, und seither findet er kein neues Thema.“
Den Bischof erinnerte Frank Richter an die Auseinandersetzungen in der Deutschen Bischofskonferenz über den Kommunionempfang für konfessionsverbindene Paare. Wäre es nicht ein Anlass zu hassen gewesen, dass im Frühjahr einige Bischöfe hinter dem Rücken der anderen die gemeinsamen Absprachen verletzten? „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, aber gehasst habe ich nicht“, antwortete Feige. „Das hat mich aber nicht persönlich, sondern der Sache wegen getroffen.“ Als Ökumenebeauftragter wollte er darauf hinweisen, welche Chance da verspielt zu werden drohte.
Von jeher seien Bischofskonferenzen auch „Treffen von Alphatieren, mit allen Spannungen, die das mit sich bringt.“ Es habe aber Zeiten gegeben, in denen man nach außen hin geschlossener aufgetreten sei. Was gegenwärtig in der Kirche ablaufe – der Umgang mit konfessionsverbindenden Paaren sei dabei nur ein Thema, empfinde er als beängstigend. „Ich möchte die Polarisierungen nicht mittragen“, betonte er. Gerade nach den Erfahrungen der DDR stehe er für einen „freimütigen Austausch der Argumente“.
Letztlich bleibe sein Blick auf Kirche und Gesellschaft aber von Hoffnung geprägt. Der anwachsende Hass könnte vielleicht auch die Liebe wieder stärker werden lassen, hofft er. Auch Gysi zeigte sich hoffnungsvoll. Es sei wichtig, dass Politiker, Kirchen, Verbände und Vereine zusammenwirken. Nur gemeinsam könne es gelingen, Menschen, die ihr Leben nur aus einer Opfer-Perspektive wahrnehmen, neues Selbstbewusstsein zu geben und ihnen zu helfen, sich vom Hass zu befreien und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ausgerechnet die Kirche ist für den Atheisten Gregor Gysi dabei ein Hoffnungszeichen: „Dass es die schon so ewig gibt, macht mir immer Mut...“
Zur Sache: Hass und Hetze
„Friedensstifter oder Feuerteufel!? Zur Instrumentalisierung von Religionen“ heißt das Thema der nächsten Veranstaltung „Hass und Hetze“ des Leibnizforums der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen am 27. November um 19 Uhr in der Leipziger Stadtbibliothek. Referentin ist die Berliner Theologin Professor Anja Middelbeck-Varwick.
Den Abschluss der Reihe bildet am 5. Dezember um 19 Uhr im Saal der Propstei ein Vortrag der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt. Ihr Thema: „Standhaft bleiben! Was dem Hass entgegengesetzt werden kann ...“
Den Abschluss der Reihe bildet am 5. Dezember um 19 Uhr im Saal der Propstei ein Vortrag der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt. Ihr Thema: „Standhaft bleiben! Was dem Hass entgegengesetzt werden kann ...“
Von Dorothee Wanzek