Jubiläum des Mont Saint-Michel
Festtage in der Normandie
Foto: kna/Jean-Matthieu Gautier
Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Das gilt auch in der Normandie - und sogar an einem Ort, der sich eigentlich klösterlicher Abgeschiedenheit verschrieben hatte. Am Mont Saint-Michel, dem berühmten "Gottesberg" oder Michaelsberg an der Grenze zur Bretagne, werden dieser Tage 1000 Jahre begangen.
Tausend Jahre - das ist rund, wenn auch etwas beliebig. Denn die Geschichte der Klosterinsel, eines der größten und kostspieligsten Baukomplexe des europäischen Mittelalters, ist schon über 1.300 Jahre alt; und auch die Baugeschichte der Kirche bietet weit mehr als einen Ansatzpunkt. Gefeiert wird nun jedenfalls der Beginn der Bauarbeiten an der heutigen, romanischen Abteikirche im Jahr 1023 - die ihrerseits auf dem Fundament der umgebauten Vorgängerkirche aufsitzt.
Mit Blick auf die Frömmigkeitsgeschichte ist die Pilgerfahrt mit Festgottesdienst und Vesper am 10. September sicher der hübscheste Programmpunkt. Dann wird der heilige Autbertus (Saint-Aubert) an seinem Gedenktag aus seiner nahe gelegenen Bischofsstadt Avranches auf den Gottesberg gebracht. Ob er sich noch erinnern kann an die Anfänge des Klosters? Ganz bestimmt.
Denn im Jahr 708, so will es die Sage, erscheint der Erzengel Michael dem Autbertus dreimal im Traum und weist ihm den Ort für die Gründung eines Kirchleins auf dem ehemaligen Totenberg der Kelten, inmitten der Wälder von Scissy. Da der Bischof aber nicht reagiert, wird Michael (Saint-Michel) beim dritten Mal handgreiflich und prägt ihm seinen Wunsch buchstäblich ins Hirn. Und tatsächlich - so schön kann Katholizismus sein - hat Autberts Schädel-Reliquie ein stattliches Loch. Allerdings wies 2006 ein französischer Paläopathologe nach, dass die Ursache wohl eine Epidermoid-Zyste war, ein gutartiger, abgekapselter Tumor.
Reliquien aus Süditalien
Der Bischof jedenfalls, von den drückenden Argumenten überzeugt, schickt Geistliche zum Monte Gargano nach Süditalien, um von dort Reliquien zur Ausstattung der Kirche zu holen. Kurz darauf sucht die große Flut des Jahres 709 die Küste der Normandie heim. Bei ihrer Rückkehr finden die Emissäre anstelle von Wäldern nur noch das nackte, 300 Meter breite Eiland aus Granit in einem endlosen Meer aus Sand. Doch die Reliquien sind nun mal da; und so wird eine neue Kirche für anfangs zwölf Kanoniker errichtet.
Von Beginn an zog der Michaelsberg Pilger an - und bot auch Schutz gegen die Wikinger. Ein Dorf am Fuß des Klosters entstand, und die Abtei entwickelte sich zur meistbesuchten Wallfahrtsstätte Frankreichs nach dem Grab des heiligen Martin in Tours. Auf eine karolingische folgte ab 1023 die nun gefeierte romanische Kirche, von der heute nur noch der Mittelteil steht. Und Anfang des 13. Jahrhunderts schließlich gelang eines der größten architektonischen und logistischen Meisterwerke des Mittelalters: die dreigeschossigen gotischen Klostergebäude der "Merveille" (Wunder), 1228 gekrönt von einem Kreuzgang mit 227 Säulen.
Zweiter geistlicher Schwerpunkt der 1.000-Jahr-Feiern sind Ende September (28. bis 1. Oktober) die Festtage für den heiligen Michael, seines Zeichens Hüter am Himmelstor. Seit 2016 ist seine Bronzestatue auf der Turmspitze der Kirche im 155 Meter Höhe erneuert und neu vergoldet. Der metallene Michael ist hier mehr als Zier und Quasi-Hausherr; er dient auch als Blitzableiter. Das Programm der Festtage - Anmeldung bei der Klostergemeinschaft ist erforderlich - umfasst neben Gebetszeiten und Gottesdiensten auch einen Vortrag zum Thema Michael sowie einen Pilgerweg rund um die Abtei.
Drei Millionen Besucher in diesem Jahr erwartet
Die geistlich ausgerichteten 1.000-Jahr-Feiern, so viel steht fest, werden das Problem des Übertourismus am Mont Saint-Michel nicht weiter befeuern. Der weit größere Teil der Millionen Besucher pro Jahr dürfte nicht einmal wissen, was eine Abtei ist.
Nach der Corona-Zwangspause ist der Massentourismus mit aller Macht zurückgekommen; wie die Flut, die den Klosterberg inzwischen wieder umspült. 2,8 Millionen Besucher waren es 2022; dieses Jahr dürfte erstmals die Drei-Millionen-Marke gerissen werden. Das wären dann im Schnitt bald 10.000 an jedem einzelnen Tag im Jahr - auf 30 Einwohner der Gemeinde.
Immerhin: Seit 2012 sind die Parkplätze zweieinhalb Kilometer ins Hinterland verlagert, die störende "Blechlawine" von der Kulisse verschwunden. Besucher müssen eine gute Stunde für den Hin- und Rückweg einplanen, egal ob sie Pendelbus, Pferdekutsche oder Fußweg nehmen. So kann - abseits der Stoßzeiten - zumindest wieder ein bisschen mehr von jenem Eindruck zurückkehren, den die Pilger des Mittelalters hatten, wenn sie sich dem "Heiligen Berg" nach langer Wallfahrt näherten.