Weihnachtsbesuche bei der Familie zur Coronazeit

"Friedliches Skypen bringt mehr als ein eskalierender Besuch"

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Auch das kommende Weihnachtsfest wird durch Corona geprägt. Wie Familien dieses Thema während der Feiertage besprechen können, erklärt Familientherapeutin Gaby Hübner.


Zu Weihnachten wird die Pandemie auch in Familien wieder ein Thema sein. Foto: kna/Harald Oppitz

Die Vorfreude auf Weihnachten steigt. Doch wenn die Großfamilie zusammenkommt, kann es schon mal zu Konflikten kommen. In diesem Jahr könnte auch das Streitthema Corona mit unter dem Baum liegen. Wie Familien und Paare mit unterschiedlichen Meinungen zur Pandemie oder zum Impfen umgehen können, erklärt Familientherapeutin Gaby Hübner (58) im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Sie ist Vorsitzende des Bundesverbands katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater.

Frau Hübner, unterschiedliche Einstellungen zu Corona und zum Impfen bergen ein großes Konfliktpotenzial, auch für Familien. Ist das schon in Ihrer Beratungsarbeit angekommen?

Ja, schon mit den Anfängen der Pandemie. Da ging es darum, wie strikt die Hygiene-Regeln umzusetzen sind. Es gibt Elternteile, die das nicht so genau nehmen und andere, die die AHA-L-Regeln am liebsten auch zu Hause praktizieren wollen. Besonders getrenntlebende Eltern haben es schwer für die Kinder einen guten Weg zu finden. Das Impfen ist dann hinzugekommen. Es polarisiert bei Paaren wie kein anderes Thema.

Was genau berichten Ihnen Paare und Familien?

Es gibt eine große Bandbreite an Konflikten. Ein Partner will sich impfen lassen, der andere will das verhindern und droht, sich zu trennen. Vielleicht sogar, weil er sich Sorgen um die Gesundheit des anderen macht. Bisweilen sprechen religiöse Überzeugungen oder das eigene Freiheitsempfinden gegen eine Impfung. In der Folge gibt es bitteren Streit zu der Frage, ob die eigenen Kinder geimpft werden sollten. Daran sind schon Beziehungen zerbrochen. Manchmal ist eine Trennung der bessere Weg. Bei häuslicher Gewalt sollten Betroffene sich dringend Hilfe holen.

Welche Konflikte gibt es noch?

Ein Elternteil ist schwer krank und kann sich deswegen nicht impfen lassen. Es kontrolliert und bevormundet die anderen: Wo wart ihr? Mit wem habt Ihr Euch getroffen? Habt Ihr alle Abstandsregeln eingehalten? In einer solchen Situation müssen alle wieder Vertrauen lernen, vor allem der Erkrankte. Aber auch in langjährigen Freundschaften gibt es Zerwürfnisse, wenn das befreundete Pärchen plötzlich keinen Abstand hält, keine Masken trägt oder geheime Partys feiern will. Corona ist wie ein Brennglas, das ohnehin vorhandene unterschiedliche Weltanschauungen und Probleme noch verschärft.

Sind sich Paare, die sich lieben, gemeinsame Werte teilen, denn nicht auch bei so einem Thema eher ähnlich?

Das könnten wir vermuten, jedoch erleben wir, dass auch liebende Paare mit ähnlichen Werten bei der Frage nach der Impfung Unterschiede aufweisen können. Der Umgang mit Unterschiedlichkeit in einer Partnerschaft ist sozusagen ein Dauerbrenner. Beim Thema Impfen wird dieser Konflikt sehr emotional und auch existenziell.

Wie können Familien oder Partner damit umgehen, wenn sie unterschiedliche Einstellungen zu Corona haben?

Ein erster Schritt ist es, das einfach auszuhalten. Paare müssen mit ihren Meinungsverschiedenheiten umgehen, ohne sich zu bekämpfen und die Meinung des anderen als unwahr oder falsch hinzustellen. Wenn jemand sagt «In diesem Punkt bist Du mir so fremd, da weiß ich nicht, wie ich mit dir umgehen kann», ist das etwas ganz anderes, als zu sagen: «Ich habe die Wahrheit und ich allein habe das Recht.» Gewaltfreie Kommunikation könnte helfen.

Wie genau funktioniert gewaltfreie Kommunikation?

Es geht darum, gemeinsam den Konflikt anzuschauen, die eigenen Gefühle dazu zu äußern, Bedürfnisse zu benennen und konkrete Bitten zu äußern. Die Partner könnten das Gespräch auch auf eine andere Ebene heben und sich fragen: Welche Werte verbinden uns über Corona hinaus? Wofür lieben wir uns, was verbindet uns? Familien können auch einen Familienrat einholen, in dem jeder seine Meinung sagt, sich aber auch alle an Gesprächsregeln halten. Das alles ist mit Übung verbunden und dem Wunsch, dass es allen gut gehen möge. Es geht nicht darum zu gewinnen.

Kann sich das Problem an Weihnachten noch verschärfen, wenn es zu großen Familientreffen kommt?

Klar, das ist für manche Familien eine richtige Belastungsprobe. Wenn das Thema Corona zu sehr polarisiert, bringt friedliches Skypen vielleicht mehr als ein Besuch, der eskaliert. Online erübrigt sich eben der Streit über Abstandsregeln, Händedesinfizieren und Lüften. Ich rate Familien dazu, sich nicht zu überfordern. Da hilft es nichts, alles mit Vorfreude zuzudecken. Manche beschließen auch, das Thema beiseitezulassen. Sie reden dann über andere Sachen, die sie auch ausmachen, wie Arbeit, Freunde oder Hobbys.

Gewaltfreie Kommunikation zwischen Impfgegnern und -befürwortern in der eigenen Familie stelle ich mir nicht leicht vor...

Auch wenn man sich noch so sehr im Recht fühlt, kann ich allen nur raten: Treten Sie innerlich ein Stück zurück und begegnen sich weiter auf Augenhöhe. Der andere ist sicher mit gleicher Inbrunst überzeugt von seiner Meinung. Dann ist wieder die Frage: Was ist der Wert, an dem wir uns trotzdem verbinden können? In den Medien wird vieles noch weiter emotionalisiert und dramatisiert. Das heizt die Stimmung zusätzlich auf. Aber ich empfehle, sich immer wieder zu beruhigen und sachlich zu sprechen.

Wie können angesichts von 2G oder sogar 2G plus an vielen öffentlichen Orten Paare und Familien mit Ungeimpften in den Reihen ihren Alltag weiter zusammen gestalten?

Das ist richtig schwierig. Wenn kein gemeinsamer Restaurantbesuch mehr möglich ist, dann geht vielleicht ein Spaziergang oder Sport im Freien. Und bestimmt gibt es auch Dinge innerhalb der Wohnung, die Spaß machen: Können wir etwas spielen, musizieren, uns per Zoom mit Freunden treffen? Da gibt es kein Patentrezept.

Sie haben gesagt, auch vor Corona gab es schon Konflikte. Gibt es mit der Pandemie da nochmals eine neue Qualität?

Ja, auf jeden Fall. Die Situation ist natürlich nicht vergleichbar mit einem Krieg. Aber in der Erschütterung dessen, wie sicher wir uns gefühlt haben, weiß ich nicht, womit man Corona vergleichen kann. Das ist so noch nie dagewesen und braucht weltweit unser aller Solidarität.

Interview: kna/Gabriele Höfling