Payandeh bezieht Stellung zum Tag der Arbeit
„Gesellschaft besser für alle machen“
Zum Tag der Arbeit am 1. Mai: Wo liegen Gemeinsamkeiten zwischen Kirchen und Gewerkschaften? Was trennt sie? Und was muss für den gesellschaftlichen Zusammenhalt getan werden? Fragen an den neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Niedersachsen, Mehrdad Payandeh.
Seit dem 3. Februar ist Mehrdad Payandeh Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Niedersachsen, Bremen und Sachsen-Anhalt. Geboren wurde er 1960 im Iran. Schon früh engagierte er er sich erst für Schüler-, dann für Arbeitnehmerrechte. Freie Gewerkschaften wurden jedoch mit der sogenannten islamischen Revolution 1979 verboten. Payandeh blieb politisch aktiv und musste 1985 flüchten. „Die Luft wurde viel zu eng“, erinnert er sich.
Über die Türkei kam er nach Deutschland und wurde als politischer Flüchtling anerkannt. Vier Jahre arbeitete er als Lagerarbeiter bei Quelle in Nürnberg: „Eine prägende Zeit, harte Knochenarbeit, viele Kollegen einfach kaputt.“ Für Payandeh ein Zeichen, wie wichtig freie Gewerkschaften sind. Er studierte Volkswirtschaft und Wirtschaftswissenschaften. Seit 2008 arbeitet er beim DGB-Bundesvorstand, jetzt steht der Vater von zwei Söhnen an der Spitze eines DGB-Bezirks. Das sagt Payandeh zu:
Verhältnis zur Religion
Ich bin kein religiöser Mensch. Ich komme aus einem Land, in dem Menschen aus religiösen Gründen verfolgt werden. Aber in Deutschland sehe ich, wie viel Menschlichkeit und Barmherzigkeit die Kirchen an den Tag legen. Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen haben große Schnittmengen. Sie geben der Gesellschaft Orientierung, sie setzen sich ein für Gerechtigkeit, sozialen Zusammenhalt, Frieden, die Würde des Einzelnen.
Zusammenarbeit Kirchen
Auch in Niedersachsen brauchen wir eine große Koalition der Zivilgesellschaft für die Zukunft des Landes. Zu dieser Zukunft gehört eine funktionierende, gut ausgestattete Infrastruktur, die allen Menschen zugute kommt. Wir haben nichts davon, wenn drei Groschen Schulden gespart werden, um eine schwarze Null im Staatshaushalt zu erreichen, aber Straßen und Schulen marode sind. Die Kosten dafür trägt wieder die ganze Gesellschaft. Gerade mit den Kirchen können wir den Blick auf die lenken, die sonst abgehängt werden: Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, allein erziehende Frauen, arme Familien, Menschen, die schon länger keine Arbeit finden. Wir dürfen nicht gleichgültig ihnen gegenüber werden.
Bedeutung des Sonntags
Es ist auch unser Erfolg, dass die Arbeitszeiten am Sonntag streng reglementiert sind. Es gibt große Begehrlichkeiten aus dem Handel und der Industrie, mehr Ausnahmen zu schaffen oder am Sonntag sogar generell zu arbeiten. Diese Forderung geht in die völlig falsche Richtung. Wir brauchen einen Tag in der Woche, an dem es eine Auszeit für möglichst viele gibt. Das ist wie ein kleiner Urlaub. Stattdessen an einem anderen Tag frei zu haben, ist kein Ausgleich. Schließlich müssen dann andere aus der Familie oder dem Freundeskreis arbeiten. Für die Gesellschaft ist es nicht gut, immer nur Tempo 200 zu fahren – wir müssen auch mal zur Ruhe zu kommen.
Sozialer Zusammenhalt
Die Welt wird kleiner und schneller. Die Globalisierung und die Digitalisierung machen vielen Menschen Angst. Diese Furcht müssen wir ernst nehmen. Denn gerade im Namen der Globalisierung wurde und wird der Sozialstaat abgebaut – angeblich für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dieser vermeintliche Sachzwang wird als Keule gegen Menschen eingesetzt und lässt die Ungleichheit in diesem Land wachsen. Für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt müssen wir die Lebensbedingungen verbessern. Diese Möglichkeit haben wir. Denn es ist doch grotesk, dass unsere Gesellschaft so reich ist wie nie und trotzdem die Ungleichheit wächst.
Sonderrechte Kirchen
Diese Rechte sind aus meiner Sicht eine Art Freihandelszone. Solche Sonderrechte kann es eigentlich nur in Übergangssituationen geben. Im Übrigen haben die Kirchen solche Sonderrechte gar nicht nötig. Die Kirchen würden sehr davon profitieren, wenn sie ihre Arbeitsverhältnisse nach dem allgemeinen staatlichen Recht gestalten würden. Das trennt uns – und das bedauere ich sehr.
Neuer Feiertag
Als Gewerkschaften hätten wir uns einen weltlichen Feiertag gewünscht. Dann hätte es keine Konflikte zwischen Konfessionen und Religionsgemeinschaften gegeben. Das war völlig unnötig und ist von der Politik zu verantworten. Für uns wäre zum Beispiel auch der internationale Frauentag eine Alternative. Grundsätzlich aber freuen wir uns über einen zusätzlichen Feiertag. Das haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Niedersachsen verdient.
Bedeutung Betriebsräte
Arbeit ist ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Wir verbringen viel Zeit in unserem Betrieb. Wir meinen, unsere Betriebe dürfen keine demokratiefreie Zone sein. Genau dafür sorgen Gewerkschaften und Betriebsräte – für Mitbestimmung. Diese Interessenvertretung kommt den Belegschaften, aber auch dem ganzen Unternehmen zugute. Wenn es Betriebsräte nicht geben würde: Wer würde sonst die Sorgen der Kollegen aufgreifen, Anregungen zur Gesundheitsvorsorge und Unfallschutz vortragen? Und das sind nur zwei von vielen Beispielen. Im Übrigen: Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich Menschen zusammenschließen, um ihre Interessen zu vertreten, um diese Gesellschaft für alle besser zu machen. Auch das eint Kirchen und Gewerkschaften.
Neue Tarifpolitik
Probleme gibt es vor allem dort, wo Arbeitnehmer nicht durch Betriebsräte organisiert sind oder Gewerkschaften bekämpft werden. Die Tarifverträge werden umfänglicher. Es geht nicht mehr nur ausschließlich um Arbeitszeit oder Lohn, sondern um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Pflegezeiten für Angehörige: Wir müssen manchmal tariflich ausbügeln, was die Politik an anderer Stelle verursacht hat. Die Gesellschaft ist aufgeklärter geworden: Es ist nicht mehr so, dass nur der Mann arbeitet und die Frau steht am Herd und kümmert sich um die Kinder. Diese Veränderungen müssen wir mit unserer Tarifpolitik abbilden. Eine neue Herausforderung ist die Wohnungsnot. Das ist nicht mehr nur ein Problem von armen Menschen. Auch Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen haben Probleme in Städten eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Rüdiger Wala
Tag der Arbeit: Aktionen der Kirchen in Hannover und Hildesheim
Hannover/Hildesheim (wal). „Einer trage des anderen Last“: Die Situation der Pflege steht im Mittelpunkt des „Talks an der Weltkugel“ im Ökumenischen Kirchenzelt am 1. Mai (Foto). Bereits zum zehnten Mal sind evangelische und katholische Kirche unter einem gemeinsamen (Zelt-)Dach beim Fest für Demokratie präsent, das am Tag der Arbeit nach der Gewerkschaftskundgebung am Neuen Rathaus in Hannover gefeiert wird. Einer der Talkgäste ist Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok. Beginn der Gesprächsrunden ist um 12.30 Uhr. Unter dem Motto „Farbenfroh und vielfältig“ ist das Kirchenzelt ein Ort der Begegnung auf dem Festgelände zum 1. Mai. Außerdem gibt es Infos, Spiel- und Mitmachangebote.
In Hildesheim wird es um 10 Uhr auf dem Marktplatz eine ökumenische Andacht geben, an der unter anderem die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) beteiligt ist. Im Anschluss beginnt der Demonstrationszug. Auch auf der abschließenden Kundgebung um 12 Uhr, wiederum auf dem Markplatz, ist die KAB mit einem Redebeitrag vertreten. | Foto: Archiv