Neue Pfarrei im Dresdner Norden

Geweiteter Blick auf die Kirche

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Aus den bisherigen Dresdner Pfarreien St. Franziskus Xaverius, St. Josef und St. Hubertus wird am Martinstag die neue Pfarrei St. Martin. Auf dem Weg zur Pfarreigründung wurden im Dresdner Norden die Kontakte zwischen Gemeinden und anderen kirchlichen Orten gestärkt und belebt.

Der Pfarreigründungsgottesdienst wird eine Brücke zwischen Pfarrkirche und Justizvollzugsanstalt schlagen. | Foto: Dorothee Wanzek
 
Als katholische Gefängnisseelsorgerin ist Angelika Lang viel in Deutschland herumgekommen, bevor sie vor einem Jahr nach Dresden kam. „Dass Gemeinden mein Engagement mit Wohlwollen betrachten, habe ich auch anderswo erlebt“, erzählt sie. Eine ganz neue Erfahrung ist es für sie aber, dass sich eine Gemeinde die Sorge um die Gefangenen selbst zu eigen macht und nach Wegen sucht, ihr im Gemeindeleben Raum zu geben.
Bei der Pfarreigründung am 11. November soll die Zusammengehörigkeit von katholischem Gemeindeleben und Gefängnisseelsorge augenfällig werden. Zeitgleich mit der heiligen Messe in der Pfarrkirche St. Martin wird auch im Gefängnis Gottesdienst gefeiert. Die von Kirchenmauern umschlossene Festgemeinde ist mit der hinter den Gefängnismauern durch die gleichen Texte und durch einen Austausch von Symbolen verbunden: Zwei Tage vor dem Fest werden die Gefangenen eine künstlerische Darstellung des ersehnten und begonnenen Miteinanders vollenden, die während der Messe mit Bischof Heinrich Timmerevers für alle sichtbar sein soll. Abgebildet ist darauf eine Brücke, die das Gotteshaus in der Dresdner Neustadt mit der Justizvollzugsanstalt verbindet. Im Gefängnis wird eine Kerze aus der Pfarrei brennen.
 
Eine Brücke zwischen Gemeinde und Gefängnis
In der jüngsten Karfreitagsliturgie sei die Brücke ins Gefängnis bereits sehr lebendig gewesen, erinnert sich Steffi Barth, Pfarrgemeinderatsvorsitzende der bisherigen Pfarrei St. Franziskus Xaverius in Dresden-Neustadt. Während der Liturgie erzählte ein ehemaliger Gefangener eindrücklich von der Wandlung, die sein Leben durch den Glauben erfuhr. Bei einem Bankraub hatte er einen Polizisten erschossen. Im Gefängnis fielen ihm irgendwann die Worte seiner Oma wieder ein. Die hatte ihm immer gesagt: „Junge, wenn‘ s gar nicht mehr geht, fang einfach an zu beten!“ ... „Kreuzweg und Auferstehung schienen in diesem Gottesdienst in außergewöhnlicher Weise gegenwärtig“, empfand Steffi Barth. Sie erzählt von dem Freigänger, der in Begleitung zweier Beamter eine Zeitlang an den Seniorentreffs der Gemeinde teilnahm. Mit einem Mitgefangenen zusammen hat er zum letztjährigen Martinsfest in der Gefängnis-Werkstatt 100 Martinsgänse ausgesägt und sie der Gemeinde geschenkt. Auf einen Dankesbrief der Kinder antwortete er seinerseits mit einer selbstgemalten Karte. Darauf erläuterte er, wie bedeutsam dieses Geschenk für ihn selbst geworden war. Eine Frau aus der Gemeinde verstärkt mittlerweile das ehrenamtliche Gefängnisseelsorge-Team, das Angelika Lang aufgebaut hat.
Wie sich das Zusammenspiel von Pfarrei und Gefängnisseelsorge künftig gestalten wird, weiß heute noch niemand ganz genau. Auch bisher entwickelten sich die Kontakte zu den kirchlichen Orten nicht nach einem strikten Plan. Je nach Engagement der Beteiligten sind sie unterschiedlich intensiv, manchmal beschränken sich die Beziehungen auch auf geografisch näherliegende Teilgemeinden.
Mehrmals im Laufe der vergangenen Jahre haben die Pfarrgemeinderäte und die Steuerungsgruppe der pastoralen Verantwortungsgemeinschaft alle kirchlichen Orte besucht: das Exerzitienhaus Hoheneichen, die Caritas-Beratungsstellen, die Initiative Christen für Europa (ICE), den St. Benno- und den St. Klara-Kindergarten, die Malteser, der In-Via-Mädchen-Treff Lucy, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die Gefängnisseelsorge, das St.-Marien-Krankenhaus; in gewisser Weise sei auch jeder Religionslehrer ein mobiler kirchlicher Ort, stellten die Kundschafter irgendwann fest ...
Manche Orte bekamen auch von anderen katholischen Gruppen Besuch. Besonders die Kinder und Jugendlichen waren da sehr aktiv. Dabei gerieten auch Orte, die nicht offiziell in katholischer Trägerschaft sind, in den Blick, ein katholischer Pizzabäcker zum Beispiel. Unter anderem trifft sich dort jetzt ein theologischer Stammtisch. Die „Bunte Kirche Neustadt“ kam aufgrund guter ökumenischer Kontakte als neuer Ort der katholischen Kirche hinzu. Verschiedene Gemeindemitglieder hatten sich ehrenamtlich in der christlichen Kontaktstelle engagiert. Als die evangelische Trägerschaft dort zu Ende ging, konnten die Katholiken der Verantwortungsgemeinschaft deshalb gut an die vorherige Arbeit anknüpfen. Das katholische Gemeindehaus in Pieschen öffnete sich als kirchlicher Ort weit über die Gotttsdienstgemeinde hinaus. Seit einem guten Jahr stellt die Gemeinde das Haus jeden Samstag der Pieschener Tafel zur Verfügung, mitsamt rund  30 ehrenamtlichen Helfern aus der Gemeinde stehen. Auch Pfarrer Thaddäus Posielek ist samstags vor Ort. Zu mehreren Familien, die oft schon mehr als eine Stunde vor Beginn der Ausgabezeit eintreffen, haben sich freundschaftliche Kontakte entwickelt. Die Idee zu einem Gottesdienst mit Tiersegnung, der kürzlich stattfand, kam dem Pfarrer gemeinsam mit diesen neuen Freunden.
Zwischen Gottesdienstorten, Gemeindegruppen und kirchlichen Orten beginnen sich Vernetzungen zu entwickeln. ICE-Mitarbeiter kümmern sich beispielsweise darum, dass Gaben aus den Erntedank-Gottesdiensten bedürftigen Flüchtlingen in Nachbarschaft des ICE-Bildungszentrums zugute kommen. ICE-Freiwillige aus mehreren  Nationen haben in verschiedenen Einsätzen die Bunte Kirche unterstützt. Die dortigen Mitarbeiter ihrerseits schaffen Verbindungen unter den rund zwanzig christlichen Gemeinschaften, die in der Neustadt aktiv sind, von der katholischen Kirche über die Mennoniten bis hin zur Urgemeinde.
„Als zusätzlichen Aufwand habe ich es nie empfunden, Kontakte  zu den kirchlichen Orten aufzubauen“, sagt Gemeindefererentin Rebekka-Chiara Hengge. Meistens seien Treffen, die ohnehin stattgefunden hätten, einfach an einen anderen Treffpunkt verlegt und für weitere Teilnehmer geöffnet worden. Sie habe jeden der kirchlichen Orte als Schatz entdeckt. ICE-Leiter Gebhard Ruess sieht den Aufwand zwar ein wenig größer, doch der Ertrag dafür sei „unermesslich.“ „Mein Bild der Gemeinde hat sich geweitet“, sagt er und verweist auf Kontakte zu Menschen mit vielfältigeren Lebens- und Glaubenserfahrungen, die den Horizont weiten, neue Impulse und neue Motivation geben. Trotz der gewachsenen Räume sei der Kontakt sehr persönlich. „Orte, von denen ich bisher nur wusste, dass dort gute Arbeit gemacht wird, sind für mich jetzt mit Gesichtern verbunden“, bestätigt Steffi Barth. „Mir ist bewusst geworden, dass die kichlichen Orte schon viel intensiver als wir Gemeinden auf Menschen zugehen, die nicht kirchlich gebunden sind und mit ihnenzusammenarbeiten“, hat Martin Geibel, Pfarrgemeinderatsvorsitzender von St. Hubertus, festgestellt. Die Frage, wie die Katholiken für die nicht getauften Bewohner des Pfarreigebiets da sein und Verantwortung übernehmen können, werde auch zukünftig eine große Herausforderung bleiben, ist er sich mit den anderen Mitgliedern der Steuerungsgruppe einig.
 
Gemeinsam „Salz“ sein im Dresdner Norden
Im geistlichen Zusammenwachsen sehen sich alle erst ganz am Anfang. Der weitere Weg wird von der Bereitschaft abhängen, mit der sich jeder Einzelne in der Pfarrei dafür einsetzt. Für Gebhard Ruess geht es nun darum, dass wir „das Wissen darum, unter 175 000 Einwohnern zwischen Radeburg und Pillnitz gemeinsam Salz zu sein, in unsere tägliche Arbeit integrieren.“
 
Von Dorothee Wanzek
 
Meinung: Neuem eine Chance geben
Wie wohl überall im Bistum gibt es auch in der kurz vor der Gründung stehenden Dresdner Pfarrei St. Martin Katholiken, die besorgt auf die gegenwärtigen Veränderungen schauen. Auch hier haben sich Katholiken im Laufe des Erkundungsprozesses verletzt oder traurig zurückgezogen.
Es gibt aber auch diejenigen, die in Betracht gezogen haben, dass in den Veränderungen eine Chance stecken könnte. „Vielleicht liegt in dem, was wir Christen gerade erleben, ein Wink Gottes, möglicherweise ist mit der aktuellen Situation für uns sogar ein neuer Auftrag verbunden?!“, erwägen manche.
„Ich habe im Erkundungsprozess nichts verloren, sondern viel Schönes hinzugewonnen“, haben mir Christen der neuen Pfarrei erzählt. Den Skeptikern, den Traurigen und den Zornigen würde ich wünschen, dass sie sich von diesen Erlebnissen zum Nachdenken anregen und zu eigenen Entdeckungen ermutigen lassen.
 
Von Dorothee Wanzek

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