Tobias Kammerer gestaltet die Krypta der Basilika St. Clemens

Glaube in Licht, Raum und Farbe

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Was verbindet Kunst und Religion? Die Antwort des Malers und Bildhauers Tobias Kammerer: die Ästhetik. Schöne Werke, schöne Liturgie. Vor allem im Angesichts von Trauer, Belastung und Trost, wie jetzt bei der Gestaltung der Krypta der Basilika St. Clemens in Hannover.


Krankheit, Arbeitslosigkeit, Heimatverlust: Trauer
hat viele Gesichter ...

Ein Trauer- und Hoffnungsort soll sie werden, die neugestaltete Krypta unter der Basilika St. Clemens in Hannover. Trauer hat dabei viele Gesichter. Sie drückt den Verlust über einen liebgewordenen Menschen aus. Aber sie kann auch erlebt werden als Reaktion auf Flucht aus der Heimat, als Antwort auf eine eigene Erkrankung oder Mobbing – oder auch auf vermeintliches Versagen, wenn der Arbeitsplatz verloren geht.

Die so unterschiedlichen Wesen der Trauer sollen in der Krypta ausgedrückt werden können, ihren Platz finden. Auch um in neuer Hoffnung aufgefangen zu werden. Das ist der Leitgedanke der neuen Raumgestaltung der Krypta. Mit Altar und Ambo, mit Stelen und Kunstwerken, mit einem Altarbild, das mit Licht und Farbe auf Gottes Versprechen verweist, immer bei den Menschen zu sein – ein Zeichen der Auferstehung.
 


... In der Krypta von St. Clemens schafft Tobias Kammerer
einen Ort, an dem diese Erfahrungen abgelegt werden
können. | Fotos (3): Wala

Und es gibt einen Ort, an der Ballast von den Schultern geworfen werden kann. Eine Seitennische in der schmalen, lang gezogenen Krypta. Dort malt, eigentlich eher schreibt Tobias Kammerer mit ruhiger Hand und feinem Pinsel Wörter auf blauen Grund.

Hoffnungslosigkeit, Heimatverlust, Herzinfarkt. Gründe für Trauer. „Na ja, da wird einem schon etwas anders“, sagt er im Dialekt seiner Heimat Rottweil. Denn: „Wir tun so, als ob wir heute in einer Spaßgesellschaft leben.“ Da werden Erfahrungen von Verlust und Trauer oftmals überspielt oder einfach weggeschoben: „Mit oftmals fatalen Auswirkungen für die Psyche und die Seele.“ Deshalb brauche es solche Orte.

Kammerer ist Maler und Bildhauer – in der fünften Generation. Der Pinsel ist dem 49-Jährigen faktisch in die Wiege gelegt worden: „Schon als Junge hat mich mein Vater zum Mischen der Farben auch in Kirchen mitgenommen.“ Bereits mit 14 machte er eine Malerlehre in Wien, studierte dann an der Akademie der Künste in der Donaumetropole: erst freie Malerei, dann auch noch Bildhauerei. „Seit dieser Zeit bin ich als freier Künstler tätig.“ Mehr und mehr vor allem in zwei Orten: Kirchen und Kliniken. 25 freistehende Gotteshäuser hat der Katholik in den Jahren räumlich gestaltet, quer durch alle Konfessionen. Und auch quer durch viele Bedenken und Widerstände: „Lange Zeit konnten sich Denkmalschutzbehörden, Kirchenvorstände und Bauabteilungen nicht vorstellen, dass wir Kirchen wieder bunt machen können“, beschreibt er. Wobei er nicht auf rehistorisierende Malerei setzt, sondern auf zeitgenössische Antworten. So wie jetzt in der Krypta von St. Clemens.  Vor 300 Jahren erbaut wird sie jetzt nicht barockisiert, sondern Kammerer hat nach Ideen gesucht, die der Zeit entsprechen: „Wir glauben doch im Heute.“
Wie immer bei solchen Projekten hat der preisgekrönte Künstler den Raum im Modell nachgebaut. Oder wie er sagt: „In einer Puppenstube arrangiert, bis hin zu den Licht- und Raumwirkungen.“

Nach dem Modell kommt oftmals eine lange Zeit der Debatte – mit den Auftraggebern und allen anderen, die bei Kunst in der Kirche mitreden: „Als Künstler braucht man Sitzfleisch“, sagt Kammer – und lächelt. Gesprächsbereit sei er schon, sofern seine Linie noch erkennbar ist.

Dazu zählt beispielsweise seine Farb­ikonografie, gewissermaßen seine Handschrift. Sie kommt zutiefst aus seinem Glauben. So steht für die Gottesmutter Maria bei ihm klassisch die Farbe blau, wie der Hintergrund des Ortes in der Krypta, wo die Trauer abgeladen werden kann. Gott selbst ist für ihn nicht figürlich zu fassen, sein Bild ist ohne konkrete Form, ist Licht, ist lebensspendend: „Es heißt ja auch in der Offenbarung, dass es im himmlischen Jerusalem immer hell ist, ohne Sonne, ohne Mond – weil Gott selbst das Licht ist.“
Sein Glaube ist für ihn eine Verbindung von Kunst und Religion. Mehr noch: „Sie sind Geschwister.“ Ein wesentlicher Bezugspunkt ist die Ästhetik. Schöne Kunstwerke, schöne Farben , ein schöner Raum für eine schöne Liturgie: „Kunst ist eine wahre Kraft der Religion.“ Sie kann dabei helfen, dass Menschen aufbrechen – von der Trauer auf einen Weg der Hoffnung. In schön gestalteten Sakralräumen in Kliniken und Altenheimen, wie in der im Werden befindlichen Krypta von St. Clemens.
 


Wie wirken die Farben? Gespräch zwischen Tobias Kammerer
und seiner Assistentin Rebbeka Grunwald.

Kammerer gestaltet nicht nur Kirchen. Er macht Paramente, Schmuck, Skulpturen, Arbeiten für Friedhöfe, Radierungen, Glasfenster, Aquarelle. Doch in allen Arbeiten spiegelt sich seine vom Glauben geprägte Handschrift wider. Zeitgenössisch, hell, hoffend.

Vor allem nach einem Schicksalsschlag: 2011 stürzt er bei einer Kuppelausmalung acht Meter in die Tiefe. Eigentlich machen ihm die Ärzte nicht viel Hoffnung, dass er jemals wieder auf einem Gerüst stehen kann. Doch Kammerer beißt sich durch, eineinhalb Jahre lang. Er nimmt die Arbeit wieder auf. Denn die Architektur, die Raumgestaltung ist das, was sein Handwerk zu einer besonderen Kunst macht: „Für jeden Künstler ist es eine Erfüllung, wenn es in die Größe geht.“

Doch erst einmal hat er mit seiner Assis­tentin Rebekka Grundwald über Farben zu sprechen. Die 26-Jährige ist erst eine Woche bei Kammerer. Sie stammt aus Dresden und ist – recht exotisch für den Osten – katholisch. Studiert hat sie Theatermalerei: „Jetzt möchte ich lernen, wie man Kunst und Raum verbindet.“ Das hat nicht nur etwas mit dem Schritt aus den Beschränkungen der zwei Dimensionen einer Leinwand zu tun. Sondern mit Handwerk, mit Gefühl für Farben und Raum, mit Wirkung – auf die Trostsuchenden in der Krypta, aber auch auf den eigenen Glauben.

Rüdiger Wala