Jubiläumstagung „70 Jahre Christ in der Gegenwart“
Gott bei der Arbeit zuschauen
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Zur Jubiläumstagung „70 Jahre Christ in der Gegenwart“ hatte die in Freiburg erscheinende Wochenzeitschrift ihre Leser nach Dresden eingeladen. „Mut zur Religion in der modernen Gesellschaft“ hieß das Thema.
Redakteur Stephan Langer (Mitte) im Gespräch mit Schülern des St. Benno-Gymnasiums, Kongress-Referenten und dem Dresdner Akademie-Direktor Thomas Arnold (rechts, als Mitveranstalter). | Foto: Dorothee Wanzek |
Rund 400 Leser und Freunde der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ trafen sich am 6. September in Dresdens Internationalem Kongress-Zentrum. Die meisten kamen aus dem Westteil der Republik. Heinrich Timmerevers, den seine Bischofswahl vor zwei Jahren dauerhaft von West nach Ost verschlug, berichtete den Tagungsteilnehmern von einem Perspektivwechsel, den er seither vollzieht.
Er verschließe die Augen nicht vor der Wirklichkeit und nehme kirchliche Abbrüche und verbreitete Religionsferne durchaus wahr, habe sich aber dennoch entschlossen, eine Einschätzung des verstorbenen französischen Kardinals Jean-Marie Lustiger zu übernehmen: „Das Christentum steckt noch in den Kinderschuhen“, habe der einmal gesagt. „Es hat seine Zukunft noch vor sich.“
Unterwegs in seinem neuen Bistum, fragt Bischof Timmerevers deshalb nicht mehr „Wieviele Taufen, Trauungen... haben Sie in Ihrer Gemeinde noch?“, er fragt nach dem „schon“. Die Devise „Rückzug und Eigensicherung“ sei für die DDR-Grenztruppen zum Ende der SED-Diktatur stimmig gewesen, für Christen und Kirche aber nie.
Er verschließe die Augen nicht vor der Wirklichkeit und nehme kirchliche Abbrüche und verbreitete Religionsferne durchaus wahr, habe sich aber dennoch entschlossen, eine Einschätzung des verstorbenen französischen Kardinals Jean-Marie Lustiger zu übernehmen: „Das Christentum steckt noch in den Kinderschuhen“, habe der einmal gesagt. „Es hat seine Zukunft noch vor sich.“
Unterwegs in seinem neuen Bistum, fragt Bischof Timmerevers deshalb nicht mehr „Wieviele Taufen, Trauungen... haben Sie in Ihrer Gemeinde noch?“, er fragt nach dem „schon“. Die Devise „Rückzug und Eigensicherung“ sei für die DDR-Grenztruppen zum Ende der SED-Diktatur stimmig gewesen, für Christen und Kirche aber nie.
In der Zeitung nach den „Martins“ von heute Ausschau halten
Eine Ordensschwester aus dem Bistum Aachen, die ihn vor einer Weile bedauerte, weil er „in den Osten gehen musste“, überraschte er mit seiner abwehrenden Reaktion: „Es ist sehr schön hier“, ließ er sie wissen. „Das Schönste für den Bischof ist, dass er dem lieben Gott hier bei der Arbeit zuschauen kann.“ Dieses Wort sei ihm spontan „zugeflogen“, ohne dass er zuvor darüber nachgedacht hätte. Seither begleite es ihn. Als erstes falle ihm immer wieder auf, wie Gott an ihm selber arbeite.
Als Weihbischof in seiner katholisch geprägten Südoldenburger Heimat habe er beispielsweise am 11. November so viele Martinsspiele und -feiern miterlebt, dass sich nach Jahren bereits ein gewisser Überdruss eingestellt hatte. Als er sich auf seine erste Dresdner Martinsfeier vorbereitete – ein großes Fest für den gesamten Stadtteil Neustadt – sei ihm in der Martinslegende ein Detail aufgefallen, das er zuvor nie wahrgenommen hatte: Als Martin seinen Mantel teilte, war er noch nicht einmal getauft. Diese Erkenntnis habe ihn dazu gebracht, neu über seine ungetauften Mitmenschen nachzudenken, bekannte Heinrich Timmerevers. Martins Beweggrund sei sein Herz für die Menschen gewesen. Der Bischof fragt sich: Gilt das Wort aus dem ersten Johannesbrief „Wir wissen, dass wir vom Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“ nicht auch für Menschen wie Martin? – seither richtet er bei der Zeitungs-Schau sein Augenmerk nicht mehr vorrangig darauf, dass Kirche vorkommt, sondern wo über „die Martins“ berichtet wird. „Wenn ich hier leben will, muss ich meine Sortiermaschine im Kopf außer Gefecht setzen“, ist ihm klargeworden.
„Gott bei der Arbeit“ erlebe er in seinem Bistum auch in Altenpflegeheimen, Kindergärten und Schulen. Nicht nur von der Temperatur her strahlten diese Einrichtungen oft sogar mehr Wärme aus als die Gotteshäuser. Häufig lerne er in diesen Einrichtungen auch ungetaufte Mitarbeiter kennen, die vom Evangelium berührt seien und so selbst für andere zur „Begegnungsfläche mit dem gelebten Wort“ werden. Im Erkundungsprozess, den das Bistum durchlaufe, gehe es gerade darum: sich selbst als christliche Gemeinschaft und die Mitmenschen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen.
Eine Ordensschwester aus dem Bistum Aachen, die ihn vor einer Weile bedauerte, weil er „in den Osten gehen musste“, überraschte er mit seiner abwehrenden Reaktion: „Es ist sehr schön hier“, ließ er sie wissen. „Das Schönste für den Bischof ist, dass er dem lieben Gott hier bei der Arbeit zuschauen kann.“ Dieses Wort sei ihm spontan „zugeflogen“, ohne dass er zuvor darüber nachgedacht hätte. Seither begleite es ihn. Als erstes falle ihm immer wieder auf, wie Gott an ihm selber arbeite.
Als Weihbischof in seiner katholisch geprägten Südoldenburger Heimat habe er beispielsweise am 11. November so viele Martinsspiele und -feiern miterlebt, dass sich nach Jahren bereits ein gewisser Überdruss eingestellt hatte. Als er sich auf seine erste Dresdner Martinsfeier vorbereitete – ein großes Fest für den gesamten Stadtteil Neustadt – sei ihm in der Martinslegende ein Detail aufgefallen, das er zuvor nie wahrgenommen hatte: Als Martin seinen Mantel teilte, war er noch nicht einmal getauft. Diese Erkenntnis habe ihn dazu gebracht, neu über seine ungetauften Mitmenschen nachzudenken, bekannte Heinrich Timmerevers. Martins Beweggrund sei sein Herz für die Menschen gewesen. Der Bischof fragt sich: Gilt das Wort aus dem ersten Johannesbrief „Wir wissen, dass wir vom Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“ nicht auch für Menschen wie Martin? – seither richtet er bei der Zeitungs-Schau sein Augenmerk nicht mehr vorrangig darauf, dass Kirche vorkommt, sondern wo über „die Martins“ berichtet wird. „Wenn ich hier leben will, muss ich meine Sortiermaschine im Kopf außer Gefecht setzen“, ist ihm klargeworden.
„Gott bei der Arbeit“ erlebe er in seinem Bistum auch in Altenpflegeheimen, Kindergärten und Schulen. Nicht nur von der Temperatur her strahlten diese Einrichtungen oft sogar mehr Wärme aus als die Gotteshäuser. Häufig lerne er in diesen Einrichtungen auch ungetaufte Mitarbeiter kennen, die vom Evangelium berührt seien und so selbst für andere zur „Begegnungsfläche mit dem gelebten Wort“ werden. Im Erkundungsprozess, den das Bistum durchlaufe, gehe es gerade darum: sich selbst als christliche Gemeinschaft und die Mitmenschen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen.
Was westdeutsche Katholiken vom Osten lernen können
Auch in nichtkirchlichen Einrichtungen nehme er das Wirken Gottes wahr. So erfuhr er von zwei christlichen Gynäkologen, dass sie an ihrer Klinik Schwangerschaftsabbrüche verweigerten. Eine ungetaufte Kollegin habe den beiden kürzlich gedankt, weil ihr Beispiel sie bestärke und ermutige. Auch ihr widerstrebe es mittlerweile, Abtreibungen vorzunehmen.
Großen Repekt habe er für all die Katholiken in Sachsen und Ostthüringen, die nicht zur Jugendweihe gingen und dadurch Benachteiligungen erlitten, sagte der Bischof. „Das Bekenntnis dieser Christen ist Humus für die Fruchtbarkeit unserer Gemeinden“, zeigte er sich überzeugt. Trotz der Abbrüche, die es vielerorts gebe: dieser Humus sei da.
Am meisten freut sich Heinrich Timmerevers über die Berufungsgeschichten erwachsener Taufbewerber. Dabei spüre er, dass Gott selbst sich neue Wege zu den Menschen suche. Einer der Neugetauften der jüngsten Osternacht habe berichtet, dass er vor vielen Jahren – mehr oder weniger aus Langeweile – zu Weihnachten in die Kirche ging und fasziniert war von dem, was er während des Gottesdienstes erlebte. Beim nächsten Weihnachtsfest kam er wieder. Über Jahre blieb er dabei, nur zu Weihnachten in die Kirche zu gehen, bis er irgendwann verstand: „Da ist irgendetwas, das mich nicht mehr loslässt. Dem muss ich jetzt nachgehen“.
Sich im Osten Deutschlands inspirieren zu lassen, könne er den Katholiken in seiner alten Heimat nur empfehlen, betonte der Bischof und veranschaulichte die Situation mit einem Bild aus der Wohnzimmerfauna: Er sei in einem „katholischen Aquarium“ großgeworden, die Fische, das Wasser, die Pflanzen, das Becken – alles war dort katholisch. Nachdem das Becken einen Riss bekommen habe, fließe das katholische Wasser nun langsam ab. Wer als katholischer Fisch überleben wolle, müsse nun seine Atmung umstellen von Kiemen- auf Lungenatmung. Die Menschen im Osten hätten längst gelernt, katholisch zu atmen in einem Umfeld, das nicht katholisch ist.
Eingebettet war der Vortrag von Bischof Timmerevers in eine Reihe hochkarätiger wissenschaftlicher Vorträge, die sich mit Religion unter aktuellen Bedingungen beschäftigten. In einem Podium kamen mehrere Referenten ins Gespräch mit Absolventen und Schülern des Benno-Gymnasiums. Eine wesentliche Rolle für ihre religiöse Entwicklung spielten die dort etablierten freiwilligen Komm- und Siehkurse, schilderten die Jugendlichen. Dies seien Exerzitien, die über längere Zeit hinweg in den Schulalltag eingestreut werden, in einer Assisi-Fahrt münden und dabei viel Zeit für Stille und für Gespräche über wesentliche Lebensfragen einräumen.
„Mit diesem Kurs konnte ich meinen bereits verlorenen Bezug zu Gott wieder aufbauen“, sagte eine Abiturientin. „Wenn Kirche weiterhin eine Rolle spielen will im Leben junger Menschen, muss sie sie in solcher Weise fesseln und berühren“, ergänzte eine angehende Medizinstudentin.
Auch in nichtkirchlichen Einrichtungen nehme er das Wirken Gottes wahr. So erfuhr er von zwei christlichen Gynäkologen, dass sie an ihrer Klinik Schwangerschaftsabbrüche verweigerten. Eine ungetaufte Kollegin habe den beiden kürzlich gedankt, weil ihr Beispiel sie bestärke und ermutige. Auch ihr widerstrebe es mittlerweile, Abtreibungen vorzunehmen.
Großen Repekt habe er für all die Katholiken in Sachsen und Ostthüringen, die nicht zur Jugendweihe gingen und dadurch Benachteiligungen erlitten, sagte der Bischof. „Das Bekenntnis dieser Christen ist Humus für die Fruchtbarkeit unserer Gemeinden“, zeigte er sich überzeugt. Trotz der Abbrüche, die es vielerorts gebe: dieser Humus sei da.
Am meisten freut sich Heinrich Timmerevers über die Berufungsgeschichten erwachsener Taufbewerber. Dabei spüre er, dass Gott selbst sich neue Wege zu den Menschen suche. Einer der Neugetauften der jüngsten Osternacht habe berichtet, dass er vor vielen Jahren – mehr oder weniger aus Langeweile – zu Weihnachten in die Kirche ging und fasziniert war von dem, was er während des Gottesdienstes erlebte. Beim nächsten Weihnachtsfest kam er wieder. Über Jahre blieb er dabei, nur zu Weihnachten in die Kirche zu gehen, bis er irgendwann verstand: „Da ist irgendetwas, das mich nicht mehr loslässt. Dem muss ich jetzt nachgehen“.
Sich im Osten Deutschlands inspirieren zu lassen, könne er den Katholiken in seiner alten Heimat nur empfehlen, betonte der Bischof und veranschaulichte die Situation mit einem Bild aus der Wohnzimmerfauna: Er sei in einem „katholischen Aquarium“ großgeworden, die Fische, das Wasser, die Pflanzen, das Becken – alles war dort katholisch. Nachdem das Becken einen Riss bekommen habe, fließe das katholische Wasser nun langsam ab. Wer als katholischer Fisch überleben wolle, müsse nun seine Atmung umstellen von Kiemen- auf Lungenatmung. Die Menschen im Osten hätten längst gelernt, katholisch zu atmen in einem Umfeld, das nicht katholisch ist.
Eingebettet war der Vortrag von Bischof Timmerevers in eine Reihe hochkarätiger wissenschaftlicher Vorträge, die sich mit Religion unter aktuellen Bedingungen beschäftigten. In einem Podium kamen mehrere Referenten ins Gespräch mit Absolventen und Schülern des Benno-Gymnasiums. Eine wesentliche Rolle für ihre religiöse Entwicklung spielten die dort etablierten freiwilligen Komm- und Siehkurse, schilderten die Jugendlichen. Dies seien Exerzitien, die über längere Zeit hinweg in den Schulalltag eingestreut werden, in einer Assisi-Fahrt münden und dabei viel Zeit für Stille und für Gespräche über wesentliche Lebensfragen einräumen.
„Mit diesem Kurs konnte ich meinen bereits verlorenen Bezug zu Gott wieder aufbauen“, sagte eine Abiturientin. „Wenn Kirche weiterhin eine Rolle spielen will im Leben junger Menschen, muss sie sie in solcher Weise fesseln und berühren“, ergänzte eine angehende Medizinstudentin.
Von Dorothee Wanzek