Odessas Bischof Szyrokoradiuk über den Ukrainekrieg und die Hoffnung auf Frieden

"Gott ist bei uns"

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Gedenkfeier mit Bischof Szyrokoradiuk
Nachweis

Foto: Bistum Odessa-Simferopol

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Stanislaw Szyrokoradiuk, der katholische Bischof von Odessa, bei einer Gedenkfeier

Seit mehr als zwei Jahren hält die Ukraine dem russischen Angriffskrieg stand. Nun droht die Front zu bröckeln, es fehlen Waffen, Munition, Soldaten. Und doch gibt Stanislaw Szyrokoradiuk, der katholische Bischof von Odessa, die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit nicht auf.

Wie es ihm geht? Stanislaw Szyrokoradiuk lächelt in die Videokamera und sagt: „Gut. Ich lebe ganz normal mein Leben.“ 2022, als die Russen ihren verbrecherischen Überfall auf die Ukraine begannen, ist der katholische Bischof von Odessa noch bei jedem Luftalarm in den Keller gerannt. Jetzt bleibt er oben. Er erzählt, die meisten Menschen in seiner Stadt würden kaum mehr reagieren, wenn die Sirenen heulen. Sie gehen dann weiter spazieren, kaufen ein, trinken Kaffee. Sie haben keine Angst mehr, dass eine russische Bombe sie zerfetzt. Denn sie wissen, dass die Luftabwehr in Odessa die meisten Angriffe abwehrt. Sie haben sich, so bitter das klingt, an den Krieg gewöhnt. Und sie hoffen noch immer, dass er irgendwann endet – mit einem ukrainischen Sieg.

Wer die Nachrichten verfolgt, kann diese Hoffnung erstaunlich finden. Denn sie klingen seit Wochen düster. Sie handeln davon, dass in den USA die Republikaner auf Geheiß Donald Trumps milliardenschwere Militärhilfen für die Ukraine blockieren; dass andere westliche Unterstützerländer Waffen und Munition zur Verteidigung zögerlich liefern; dass das überfallene Land zunehmend in die Defensive gerät; dass viele ukrainische Soldaten gefallen und andere erschöpft sind. 

Bischof Stanislaw sagt: „Ich sehe, wie viele sterben und wie viele Probleme es gibt.“ Er spricht oft mit Soldaten. Feiert Gottesdienste mit ihnen, nimmt ihnen die Beichte ab, schenkt ihnen Rosenkränze, beerdigt ihre von den Russen ermordeten Kameraden. Und spürt, welche Kraft sie antreibt, trotz der so schwierigen Lage: „Ich staune, wie viel Mut diese Soldaten und unser Volk haben – und wie sie immer weitermachen.“ 

„Wir kämpfen für unsere Familien, für unsere Heimat“

Er hat den Eindruck, dass „die Motivation der ukrainischen Soldaten hundertmal größer ist“ als die der Angreifer: „Die russischen Soldaten verstehen überhaupt nicht, warum sie in ein fremdes Land gehen und sterben sollen.“ Die Verteidiger aber wüssten: „Wir kämpfen für unsere Familien, für unsere Frauen und Kinder, für unsere Heimat.“ Diese Motivation, glaubt der Bischof, werde am Ende entscheidend sein.

Stanislaw Szyrokoradiuk
Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk. Foto: kna/Francesca Volpi 

Und dann ist da noch Gott. Der stärkste Quell der Hoffnung. Bischof Stanislaw sagt: „Wenn Gott uns nicht helfen würde, dann hätte die Ukraine niemals zwei Jahre dieser riesigen russischen Militärmaschine widerstehen können.“ Die Angreifer haben mehr Waffen, mehr Munition, mehr Soldaten. Und Russlands Diktator Wladimir Putin ist es egal, wie viele von ihnen sterben; er rekrutiert in seinem imperialistischen Wahn einfach immer neue Männer aus seinem riesigen Land. „Menschliches Leben spielt für Putin keine Rolle“, sagt Bischof Stanislaw. „Aber die Ukraine kann und wird auch weiter widerstehen.“

Die Soldaten, berichtet der Bischof, erzählten ihm oft von kleinen Wundern, die sie an der Front erleben. Von abgeschossenen feindlichen Flugzeugen und Schiffen, von abgewehrten Drohnenangriffen, von überlebtem Beschuss. Und davon, dass sie spüren, wie die Menschen für sie beten. Sie glaubten auch, dass irgendwann der Krieg ein Ende haben und dass ein gerechter Friede kommen wird. „Kein Friede um jeden Preis“, betont Szyrokoradiuk. Kein Friede also, bei dem die Ukraine sich dem Aggressor ergibt, mit all den furchtbaren Folgen, die das hätte. Sondern ein Friede, bei dem die Russen das Land wieder verlassen und für ihre Kriegsverbrechen bestraft werden. „Wir müssen unser Territorium zurückbekommen“, sagt der Bischof. „Nur dann kann es Frieden geben, sonst nicht. Putin darf keine anderen Bedingungen stellen.“ 

Aber wie soll das gehen? Ist das nicht eine Utopie? „Ich bin kein Prophet“, sagt Szyrokoradiuk. „Aber Gott weiß, was passieren wird. Gott ist bei uns. Und ich glaube an Gott.“ Jetzt, an Ostern, wird sein Glaube frisch gestärkt. Der Bischof von Odessa sieht Parallelen zwischen der Leidensgeschichte Jesu und der Leidensgeschichte der Ukrainer. „Unser Volk geht einen schwierigen Kreuzweg. Und dieser Kreuzweg dauert schon zwei Jahre“, sagt er. „Aber wie Christus den Kreuzweg gegangen ist bis zur Auferstehung, so wird auch die Ukraine auferstehen. Wir müssen diesen Kreuzweg ertragen – und wir dürfen dabei voller Hoffnung sein.“ Der Glaube, so der Bischof, leite die Menschen in der Ukraine: „Er zeigt uns: Es gibt nicht nur diese tragische Zeit, nein! Es wird auch eine andere Zeit kommen.“

In diesem Glauben feiern der Bischof und die Christen in Odessa nun Ostern. Fast so wie vor dem Krieg. Nur die Osternachtsmesse beginnt früher als gewohnt, weil ab 24 Uhr Ausgangssperre ist. Denn Odessa bleibt eine Stadt im Krieg. 

„Sie wollen wieder dort leben, trotz allem“

Aber Odessa ist eben auch eine Stadt, die vielen Menschen Hoffnung schenkt. Bischof Szyrokoradiuk erzählt, mehr als 120 000 Flüchtlinge wohnten hier – in Kurzentren und bei Privatfamilien. Die meisten Flüchtlinge stammten aus der Region Cherson, die lange schwer umkämpft war und noch immer an den Folgen der Sprengung des Kachowka-Staudamms leidet. 

Viele Dörfer in dieser Region sind voller Ruinen. Inmitten der Zerstörung aber bauen manche Menschen ihre Häuser wieder auf. Kirchenleute aus Odessa und von der Caritas helfen ihnen. Die Menschen, sagt der Bischof, glaubten an eine Zukunft in ihrer Heimat: „Sie wollen wieder dort leben, trotz allem.“

Andreas Lesch