Kann ein guter Gott den Tod wollen?
Gott und der Tod
Vielleicht ist er die größte Herausforderung des Glaubens: der Tod. Kann ein guter Gott das wollen? Das Buch der Weisheit ist sich sicher: „Gott hat den Tod nicht gemacht. Er hat keine Freude am Untergang der Lebenden.“
„Es ist ein Skandal, dass Menschen sterben müssen“, sagt Christoph Baumgart. „Es erniedrigt unser Ego, dass wir genauso vergehen wie Steine oder Blätter.“ Für den Osnabrücker Pfarrer gehört der Tod zum Alltagsgeschäft. „Je älter ein Mensch ist, je normaler der Tod, desto leichter nehmen die Hinterbliebenen das an“, sagt er. „Sie sagen dann: Gut so!“
Aber was, wenn es überhaupt nicht gut ist? Wenn junge Menschen sterben, Eltern von kleinen Kindern, wenn 50-Jährige der Krebs dahinrafft oder jemand kurz vor dem Ruhestand einfach umkippt? Ein Gedicht des Schweizer Priesters und Dichters Kurt Marti beginnt so:
„dem herrn unserem gott hat es ganz und gar nicht gefallen daß gustav e. lips durch einen verkehrsunfall starb“
„Gott, dem Herrn, hat es gefallen ...“ Das steht in mancher Todesanzeige. Kurt Marti dreht die Sache um: Gott gefällt es nicht!
erstens war er zu jung zweitens seiner frau ein zärtlicher mann drittens zwei kindern ein lustiger vater viertens den freunden ein guter freund fünftens erfüllt von vielen ideen
was soll jetzt ohne ihn werden? was ist seine frau ohne ihn? wer spielt mit den kindern? wer ersetzt einen freund? wer hat die neuen ideen?
„Jüdische Tradition ist es ja eigentlich, alles auf Gott zurückzuführen“, sagt Christoph Baumgart. „Das Leben, der Tod, das Gute, das Schlechte – alles kommt von Gott.“ So wie der biblische Dulder Ijob es sagt: Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen. Andere tun sich mit dieser Auffassung schwerer. Kurt Marti zum Beispiel:
dem herrn unserem gott hat es ganz und gar nicht gefallen daß einige von euch dachten es habe ihm solches gefallen
Mit diesen Gedichtzeilen ist der 2017 im hohen Alter von 96 Jahren verstorbene Dichter der Lesung aus dem Buch der Weisheit ziemlich nah. „Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen“, so die um das Jahr 50 vor Christus herum verfasst biblische Schrift.
„Der biblische Weise will die bittere Erfahrung des Todes erklären“, sagt Christoph Baumgart. „Er ist nicht nur vom jüdischen Glauben geprägt, sondern auch von der griechischen Philosophie, von dem Dualismus, der allem innewohnt.“ Dualismus: Es gibt immer zwei Seiten. Gut und Böse. Leben und Tod. Das gesamte Sein ist keine Einheit, sondern eine Zweiheit. Deshalb bringt der Weise den Teufel als Gegenpol Gottes ins Spiel. Und entlastet damit Gott, der den Tod doch wohl nicht wollen kann.
Baumgart steht dem ganzen Ansatz, erklären zu wollen, skeptisch gegenüber. „Gerade bei einem tragischen Tod gibt es nichts zu erklären, nichts zu verstehen, keinen höheren Zweck“, sagt er. „Das einzige, was wir machen können, ist diese Situation Gott hinzuhalten, es auszuhalten. Mehr geht nicht.“ Oder man macht es wie Kurt Marti:
im namen dessen der tote erweckte, im namen des toten der auferstand: wir protestieren gegen den tod von gustav e. lips
Protest ist eine Möglichkeit. Christoph Baumgart hat noch eine gefunden, und das nicht nur als Pfarrer, der mit Trauernden zu tun hat, sondern als Mensch, als Christ. In den vergangenen Jahren hat er zwei gute Freunde verloren, beide Priester. Der eine, Hans-Jürgen Obermeyer, ist im Urlaub bei einer Wanderung im Himalaya verschollen und wurde vor zwei Jahren amtlich für tot erklärt. Der andere, Rainer Lührmann, starb im Frühjahr an Krebs, nach einer halbjährigen schweren Leidenszeit. „Daran habe ich schon zu knacken“, sagt Baumgart. „Aber es bricht nicht alles auseinander, auch in dem ganzen Durcheinander hat der Glaube immer noch Kraft.“
Und welche Kraft ist es? Die des Ijob, der alles erduldet? Die des Frommen, der Gottes Willen hinter allem sieht? Die des Kurt Marti, der offen rebelliert?
Es sind zwei Gedanken, die Baumgart umtreiben: der eine eher theologisch, der andere eher spirituell. „Man könnte ja meinen“, sagt er, „dass da ein Fehler in der Schöpfung vorliegt, dass es ein Konstruktionsproblem ist, dass alles auf dem Tod aufbaut. Das hätte Gott auch anders machen können.“ Andererseits ist schon naturwissenschaftlich klar: ohne Tod keine Evolution, kein Fortschritt, keine Entwicklung, kein Wachstum. „Deshalb könnte ja auch sein“, sagt Baumgart, „dass der Tod gerade kein Fehler ist. Sondern, dass alles von Natur aus nach Erlösung strebt. Die Welt, wie sie ist, ist in sich nicht sinnvoll. Wir können nicht alles selber schaffen. Die Grenzen der Natur und des Menschen sind gewollt, weil Gott es ist, der uns erlöst.“ Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden – aber ohne Untergang keine Erlösung, ohne Tod kein Leben.
Das ist der komplizierte Gedanke. Der andere beruht mehr auf Erfahrung. „Gerade bei tragischen Todesfällen“, sagt der Pfarrer, „komme ich immer mehr dazu, in den Toten Jesus zu sehen. Der hatte auch einen tragischen Tod. Er ging in diesen tragischen Tod, ohne zu wissen, dass er aufersteht. Er war verzweifelt. Genauso wie wir heute.“
Dass diese Ähnlichkeit nicht rein geistig zu verstehen ist, erzählt er gleich mit. „Vor vielen Jahren wurde ich als Kaplan in Papenburg zu einer Familie gerufen. Deren behinderter Sohn lag tot im Bett. Als ich ihn ansah, dachte ich: Der sieht aus wie Jesus.“ Und ähnlich war es, als sein Freund Rainer Lührmann auf dem Totenbett lag, vollkommen ausgezehrt vom Krebs, am Ende jeder Kraft. „Ich habe ihn angesehen und gedacht: Der sieht aus wie der Jesus auf dem Kreuz in Lage.“
Dieses Kreuz aus dem 14. Jahrhundert wird seit Generationen von Pilgern getragen. Der leidende, ausgemergelte Jesus hängt tief an den Armen durch, man kann die Rippen zählen, ein Bild des Jammers. „Karl Rahner hat sinngemäß gesagt: Was nützt mir ein Gott, der genauso hilflos leidet wie ich?, aber ich finde es tröstlich, in denen, die sinnlos leiden und mitten aus dem Leben gerissen werden, Jesus zu sehen. Und zu versuchen, ihren Tod anzunehmen, so wie Jesus am Ende seinen Tod angenommen hat.“
Von Susanne Haverkamp