Anstoß 16/20
Gottvertrauen
Die kleine Raupe im Text von Rudolf Otto Wiemer (1905–98) schafft es, Halleluja! Sie kommt wohlbehalten ans Ziel, und ich freue mich darüber. Was gibt ihr Lebensmut? Verdrängt sie tödliche Gefahren? Hat sie Glück? Oder eine innere Ahnung, „wird schon werden“?
In bewegten Zeiten wie diesen liegen Strecken auf unbekannten, neuen Wegen vor uns. Wer hätte gedacht, dass ein Virus die Weltengemeinschaft zum Innehalten zwingt!
Mir kommt ein Satz aus der Bibel in den Sinn. Er steht im Hebräerbrief (11,1). Der Verfasser ermutigt damals verfolgte Christen im Glauben zu einer festen Zuversicht. An ihr sollen sie sich festhalten und aufrichten. Im Vertrauen, dass Gott in unvorstellbaren Belastungsproben treu zur Seite steht. „Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht.“ Im Glauben stütze ich mich nicht allein auf meinen Verstand, sondern öffne mich für ein „Zutagetreten von Tatsachen“. Im Gottvertrauen öffnen sich Wege.
Die Bibel verweigert sich nicht der Realität, im Gegenteil: Sie schaut hin, nennt Konflikte, beschreibt eine Welt voller Unruhe, Bedrohungen, Angst und Krieg. Wir sind nicht im Paradies. Wie alle Menschen müssen auch Gläubige in dieser Welt voller Bedrängnisse ihre Position finden: Für andere einzustehen, mit Tatkraft, Zuwendung, Worten. Nicht aus moralischem Anspruch, sondern aus der Verbundenheit mit den Menschen – ganz im Sinne des Auferstanden, der als Gottesliebe die Nächstenliebe verkörpert. In dieser Liebesverbindung werden wir zu einer Haltung ermutigt, die über Angst und Sorge hinausgeht. Zur Zuversicht, die angetrieben vom Ausblick auf „herrliches Grün“ erspürt: „Man müsste hinüber“. Gut möglich, dass es bald mit ersten Schritten losgeht. Ob Bärenraupen ahnen, dass sie einmal Schmetterlinge werden?
Lissy Eichert, Berlin