Bericht des Weltklimarats

"Halbe Maßnahmen sind keine Option mehr"

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Das Zeitfenster schließt sich: Der Weltklimarat warnt, dass nur wenige Jahre bleiben, um die schlimmsten Folgen der Erderhitzung abzuwenden.

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Ein ausgetrockneter See in Bolivien: Die Klimakrise gefährdet die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen. Experten warnen, dass das Zeitfenster für eine lebenswerte Zukunft sich schließt. Foto: kna/CNS Photo/Glen Argan


Der Welt bleiben laut Klimaexperten nur noch wenige Jahre, um die schlimmsten Folgen der Klimaveränderung abzuwenden. Selbst wenn sich der globale Temperaturanstieg - derzeit 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau - auf 1,5 Grad begrenzen lasse, seien zahlreiche Gefahren über die nächsten zwei Jahrzehnte unabwendbar, heißt es in einem am Montag in Genf veröffentlichten Bericht des Weltklimarats IPCC. Dessen Vorsitzender Hoesung Lee nannte die Zahlen eine "drastische Warnung vor den Folgen der Untätigkeit". "Halbe Maßnahmen sind keine Option mehr", mahnte er.

Das 35-seitige Dokument soll politischen Verantwortungsträgern als Entscheidungshilfe dienen. Der Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe, sprach von eindeutigen Belegen, dass der Klimawandel das Wohlergehen des Menschen sowie die Gesundheit des Planeten bedrohe. Wenn die Welt weiter warte, werde man das letzte "Zeitfenster für eine lebenswerte Zukunft" verpassen, sagte Pörtner.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einem "Atlas des menschlichen Leidens". Der Verzicht auf Führung in der Klimakrise sei "kriminell", twitterte er. Die weltgrößten Umweltverschmutzer machten sich der "Brandstiftung in unserem einzigen Zuhause" schuldig.

Dem Bericht zufolge überschreiten häufigere Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen bereits die Toleranzschwellen bestimmter Pflanzen und Tiere, beispielsweise Korallen. Wetterextreme träten zeitgleich auf und verursachten eine Folgenkaskade, die immer schwieriger zu bewältigen sei. Nötig sei eine raschere Anpassung an den Klimawandel, zugleich aber auch eine schnellere und drastische Reduktion der Treibhausgas-Emission.

In manchen Weltregionen wird laut den Prognosen keine Anpassung an Klimafolgen mehr möglich sein, wenn die Erderwärmung 2 Grad übersteigt. Die derzeitigen Bemühungen gegen den Temperaturanstieg entsprächen bei weitem nicht dem, was nötig sei.

Gegenüber früheren Bewertungen des IPCC zeigt der aktuelle Bericht die Verknüpfung von Klima, Artenvielfalt und sozialen Faktoren. So wurden auch sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Aspekte eingebunden.


"Wir verlassen die Welt, wie wir sie kennen"

Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erklärte: "Wir verlassen die Welt, wie wir sie kennen." Die beobachteten Klimafolgen nähmen in allen Bereichen zu, so auch in Infrastruktur, Wirtschaft und Gesundheit. All dies geschehe "bereits heute, und zwar bei einer Erwärmung von nur 1,1 Grad", so die Mitautorin.

Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts, sagte, die Auswirkungen träten früher ein als erwartet; eine Erwärmung von 1,5 Grad werde "die Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen gefährden". Ohne globales Handeln werde es aber "keine sichere Landung unter 2 Grad" geben. Der Erhalt natürlicher Ökosysteme sei "unser Puffer für Klimaschocks".

Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor in Aachen betonte, die Klimaveränderung treffe vor allem "die von Armut und Marginalisierung besonders betroffenen Menschen im Globalen Süden". Durch verschleppten Klimaschutz würden "die Krisenspiralen auf der Welt" weiter angetrieben, etwa in den Bereichen Gesundheit, Frieden, Ernährung und Entwicklung.

Der entwicklungspolitische Dachverband Venro nahm die Hauptverursacher der Klimakrise in die Pflicht. Auch Deutschland müsse seine internationale Klimafinanzierung deutlich erhöhen.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam nannte den Bericht einen "Katalog von Schäden, Zerstörungen und wachsenden Ungerechtigkeiten". Dies sei ein Schlüsselfaktor in der Klimakrise. "In den knapp 100 Tagen seit der letzten UN-Weltklimakonferenz COP26 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung deutlich mehr Treibhausgase verursacht als die gesamte Bevölkerung Afrikas in einem ganzen Jahr", sagte Jan Kowalzig, Klimawandel-Referent bei Oxfam in Berlin.

Der aktuelle Report ist der zweite von drei Teilen des neuen IPCC-Sachstandsberichts. Der erste erschien im August und legte naturwissenschaftliche Einsichten zum Klimawandel dar. Der zweite nimmt die schon jetzt sichtbaren Folgen in den Blick. Der dritte Teil im April befasst sich mit politischen, wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten zur Minderung des Klimawandels.

kna