Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln
Heße belastet, Woelki entlastet
Das lang erwartete Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln belastet unter anderem den Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Gegen den Kölner Erzbischof Kardinal Woelki gibt es hingegen keine Vorwürfe. Die Untersuchung stützt sich laut Gutachtern aber auf eine "desaströse Aktenlage".
Nach monatelanger Debatte ist am Donnerstag ein Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln vorgestellt worden. Es belastet unter anderem den Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54), den Kölner Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) sowie den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff (81). Ihnen sowie den bereits verstorbenen Erzbischöfen Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017) attestiert die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger in ihrer am Donnerstag in Köln präsentierten Untersuchung jeweils zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen - gemessen am staatlichen und kirchlichen Recht sowie am kirchlichen Selbstverständnis.
Den amtierenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki (64) treffen laut der Untersuchung keine Vorwürfe. Belastet wird dagegen auch der Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher (69), der in zwei Fällen unzutreffende Rechtsauskünfte gegeben haben soll.
Gercke hat - laut Aktenlage - 75 Pflichtverletzungen von acht lebenden und verstorbenen Verantwortlichen von 1975 bis 2018 ausgemacht. Acht Pflichtverletzungen von Erzbischof Joseph Höffner habe es gegeben, 24 von Erzbischof Meisner - ein Drittel aller Pflichtverletzungen. 13 Pflichtverletzungen seien bei dem ehemaligen Generalvikar Norbert Feldhoff festgestellt worden und acht bei Weihbischof Dominik Schwaderlapp. Schwer beschuldigt wurde auch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße: Er habe elf Pflichtverletzungen begangen.
Gehrcke und die Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner, bescheinigten den Verantwortlichen eine große Rechtsunkenntnis und eine desaströse Aktenlage. Wenn Vorschriften geheim seien, sei Rechtsunkenntnis die logische Folge. Der Schutz der Institution Kirche habe im Vordergrund gestanden. Bei Verfehlungen von Laien habe es dagegen kein Fehlverhalten gegeben; es habe rasche Kündigungen gegeben.
Das Gutachten hatte Kardinal Woelki erst im Oktober vergangenen Jahres in Auftrag gegeben. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum - ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Woelki es für mangelhaft hält. Kritiker warfen ihm deshalb mangelnden Aufklärungswillen vor.
Für das aktuelle Gutachten wurden nach Angaben der Kanzlei der Zeitraum zwischen 1975 und 2018 untersucht. Es gab Übergriffe und Grenzverletzungen von insgesamt 202 Beschuldigten, davon knapp zwei Drittel Kleriker. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 314, darunter 178 männliche und 119 weibliche. Bei 17 Opfern gab es keine Angabe zum Geschlecht.
Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann nahmen als Gäste an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannten sie den Inhalt des Gutachtens bislang nicht. Woelki will sich am 23. März zu den Konsequenzen äußern.
Das komplette Gutachten soll gegen 13 Uhr auf der Internetseite des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Ab dem 25. März sollen Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte Möglichkeit zur Lektüre des WSW-Gutachtens bekommen.
kna