Das Weltengericht in der Bibel

Hier geht es um alles

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Auf dem „Thron seiner Herrlichkeit“ scheidet der Menschensohn die Guten von den Bösen. Das Evangelium vom Christkönigssonntag lässt fragen: Wo werden wir uns wiederfinden? Und was können wir tun, um zu den Guten zu gehören?

Das Weltgericht haben viele Maler als Schreckensszenario dargestellt (hier in einer armenisch-apostolischen Kirche in Isfahan)
Das Weltgericht haben viele Maler als Schreckensszenario dargestellt (hier in einer armenisch-apostolischen Kirche in Isfahan).

Von Ulrich Waschki

Papst Franziskus ist immer gut für deutliche Worte. Schon mehrfach hat er das Evangelium dieses Sonntags, die Weltgerichtsrede aus dem 25. Kapitel des Matthäusevangeliums, als Kern der christlichen Lehre hervorgehoben. Die Seligpreisungen und die Weltgerichtsrede – „mit diesen beiden Dingen habt ihr den Aktionsplan. Ihr braucht nichts anderes mehr zu lesen“, sagte er etwa beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro 2013. 

Es sind die sogenannten Werke der Barmherzigkeit, die in Jesu Gleichnis dieses Sonntags im Mittelpunkt stehen. Und der programmatische Satz: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Für Franziskus ist die Barmherzigkeit eine so zentrale Botschaft Jesu, dass er ihr sogar ein ganzes Jahr gewidmet hat. „Die Verkündigung Jesu nennt uns die Werke der Barmherzigkeit, damit wir prüfen können, ob wir als seine Jünger leben oder eben nicht“, schrieb er in seiner Botschaft zur Ankündigung des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“. „Wir können uns nicht den Worten des Herrn entziehen, auf deren Grundlage wir einst gerichtet werden.“ Hier geht es ums Ganze: Woran entscheidet sich christliches Leben? Wonach wird mich der Herr beurteilen, wenn ich einst vor ihm stehe? 

Dass es das Gericht braucht, ist sicher, sonst wäre alles sinnlos. „Ohne das Gericht gibt es keine Erlösung und keine Gerechtigkeit“, sagt der Bibelwissenschaftler Thomas Söding. Wenn am Ende des Lebens kein göttliches Gericht stünde, siegte das Böse, weil es in alle Ewigkeit ungesühnt bliebe. Die christliche Hoffnung ist eine andere. Im Lauf der Geschichte stellten sich viele Maler dieses Gericht eher als brutales Schreckensszenario vor. Aber: Jesu Gericht bringt Erlösung, Gerechtigkeit und Heilung. 

Mit seinem Gleichnis vom Weltgericht rückt Jesus die Prioritäten zurecht. Denn er erzählt ganz praktische Beispiele. Er spricht davon, Hungernde zu speisen, Nackte zu bekleiden. Er spricht nicht davon, fromme Texte auswendig zu kennen, den Katechismus zu zitieren. Nicht an der reinen Lehre, sondern an der Tat misst Jesus seine Jüngerinnen und Jünger.

Gott ist zu finden, wo man ihn nicht vermutet

Einen „entscheidenden Text“ nennt Thomas Söding die Weltgerichtsrede. Fünf solcher Reden Jesu gibt es im Matthäusevangelium. Die erste: die Bergpredigt mit den Seligpreisungen. Die letzte: das Gleichnis vom Weltgericht. Danach beginnt die Passion Jesu. Diese Rede ist also so etwas wie ein Vermächtnis. 

Die Werke der Barmherzigkeit sind nicht exklusiv christlich. „Sie sind ein ganz altes jüdisches Ethos“, sagt Söding. „Diese Werke stehen in keinem Gesetzbuch dieser Welt. Wenn sie aber nicht getan würden, wäre es um die Welt schlecht bestellt.“ 

Gute Werke sind genau das: gut. Und das in allen Religionen und Kulturen. Und doch geht es um mehr – und darin wird es unterscheidend christlich. „Diese Werke sind für Jesus ein Credo“, ein Glaubensbekenntnis, sagt Söding. Denn Jesus sagt, dass diese Werke nicht nur guttun, sondern retten. Ohne den Glauben an Jesus Christus gibt es diese Hoffnung nicht. „Der Menschensohn Jesus identifiziert sich mit den Armen, Leidenden und Ausgestoßenen.“ In ihnen begegne ich Jesus. „Die Wunden dieser Welt machen deutlich, wo Gott zu finden ist, obwohl man ihn dort am wenigsten vermutet.“ Wenn ich also an Jesus glaube und ihm nachfolgen will, habe ich mit den Werken der Barmherzigkeit die zentrale Richtschnur für mein Handeln. „Der Glaube allein, der nur sagt, was richtig ist, aber nichts tut, ist nichts wert“, sagt Söding. 

Das heißt jetzt nicht, dass alles andere egal wäre – Glaubenslehre, Frömmigkeit. Die Beziehung zu Jesus will gepflegt und gelebt werden. Dafür braucht es Gottesdienste und auch die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche. Und auch das Dogma, also die verbindlich formulierte Glaubenslehre, ist wichtig. „Die Wahrheit des Glaubens muss ich auch ausdrücken können“, sagt Söding. Aber in Jesu Werteskala stehen diese Dinge nicht ganz oben. Wenn es darauf ankommt, zählen nicht Dogmen, sondern Werke der Barmherzigkeit – die keineswegs nur von Christinnen und Christen getan werden. 

Ein Gleichnis, vor dem viele Angst haben

Der Maßstab Jesu ist anspruchsvoll, Scheitern programmiert. Thomas Söding ist vielen Menschen begegnet, „die Angst haben vor diesem Gleichnis“. Sie fürchten, verdammt zu werden, weil sie nicht so gut waren, wie sie gerne gewesen wären. Deswegen müsse man sich bewusstmachen, dass die Rede Jesu kein Dogma, sondern ein Gleichnis sei, das einen starken Kontrast schildert, um den Kern der Botschaft besser herauszuarbeiten: „Es ist keine Fotoreportage vom Tag X.“ 

Und so warnt Söding davor, die Menschen wie in der Gerichtsszene des Gleichnisses in „die einen“ und „die anderen“ aufzuteilen. „Ich habe doch oft zwei Seelen in mir“ – mal bin ich auf der guten, mal auf der schlechten Seite, mal Gerechter, mal „geringster Bruder“. Ein hilfreicher Gedanke, der vor Überforderung, aber auch vor Überheblichkeit schützt: „Immer wieder entdecke ich mich selbst bei den Hilflosen. Und es gibt einen, der sich dann meiner erbarmt – der Menschensohn.“ Und genauso sollen wir auch handeln. Das ist die Botschaft dieses letzten Sonntags des Kirchenjahres.