Zu Besuch bei Benedikt XVI.
"Ich bin ein alter Mann am Ende meines Lebens"
Wie geht es dem emeritierten Papst Benedikt XVI.? Ein Besuch im Vatikan.
Wer den ehemaligen Papst aus Bayern besuchen will, der muss hoch hinauf. Hinter dem Petersdom steigen die Vatikanischen Gärten terrassenförmig an. In Serpentinen windet sich die schmale Straße auf den Hügel, der dem Vatikan den Namen gab. Kurz vor dem höchsten Punkt biegt ein Hohlweg ab, der an einem schweren Eisentor endet.
Hier beginnt das kleine Reich, das zum Altersruhesitz des früheren Oberhaupts der katholischen Kirche geworden ist: das Kloster Mater Ecclesiae, ein kleiner Palazzo im römischen Stil mit modernem Ziegelanbau und Kapelle. Davor ein Ziergarten mit Lauben, Brunnen, gepflegten Buchsbaumhecken und Blumenrabatten.
Am Eingang wartet Erzbischof Georg Gänswein, in Doppelfunktion Präfekt des Päpstlichen Hauses von Papst Franziskus und treuer Privatsekretär von Benedikt XVI. Auch er ist hier zuhause. Der Zugang zum Papa Emeritus führt allein über "Don Georg", wie er im Vatikan genannt wird. Gänswein ist, wann immer es seine Termine als Präfekt zulassen, an der Seite seines langjährigen Mentors, der ihm zu einem zweiten Vater geworden ist.
Am 19. April, dem Tag der Papstwahl Ratzingers, hat er ihm den Treue-Eid geschworen. "Der gilt selbstverständlich ewig, bis zum letzten Moment", stellt Gänswein klar, wenn über seine persönliche Karriere spekuliert wird.
Schwestern mussten lernen, bayerisch zu kochen
Im Eingangsbereich des Hauses fällt der Blick auf ein reich verziertes Lebkuchenherz vom Münchner Oktoberfest. Besucher hatten es mitgebracht. "Eigentlich sollte das irgendwo in die Küche", erklärt der aus dem Schwarzwald stammende Erzbischof. "Aber unsere Schwestern meinten, es solle für alle sichtbar sein. Denn wo ein Herz die Gäste empfange, müsse man sich geborgen fühlen."
Mit den Schwestern meint er die italienischen Nonnen, die seit dem Einzug Benedikts in den Apostolischen Palast 2005 den päpstlichen Haushalt führen und ihm auch in den Ruhesitz gefolgt sind. Aus der Küche zieht der Duft süßer Mehlspeisen durchs Haus. "Am Anfang mussten die Schwestern lernen, auch bayerisch zu kochen", verrät Don Georg.
Das Haus steckt voller Erinnerungen an Ratzingers bayerische Heimat. Familienfotos, eine Kopie der Patrona Bavariae, ein Bild vom Geburtshaus in Marktl am Inn, ein Palmbuschen aus dem Chiemgau im Herrgottswinkel. Die Welt eines Mannes, der nach Lage der Dinge sein Heimatland nicht mehr wiedersehen wird und nur in Gedanken dorthin zurückkehren kann.
"Ich bin ein alter Mann am Ende meines Lebens", antwortet Benedikt XVI. auf die Frage nach seinem Befinden. Seine Worte sind nur ein Flüstern, seine Stimme schwach und brüchig. Er sitzt, Kopf und Schultern leicht vorgebeugt, in einem grauen Lehnstuhl. Doch seine Augen sind lebhaft und wach. Auch seinen Sinn für Selbstironie hat er nicht verloren: "Früher hatt' ich ein großes Mundwerk; jetzt funktioniert es nimmer", haucht er fast entschuldigend und lächelt.
Seine Tage folgen noch immer einem geregelten Ablauf. Der Morgen beginnt mit der Messe in der Klosterkapelle, gemeinsam mit der Hausgemeinschaft. Predigen kann der Papa emeritus inzwischen nicht mehr. Viel Zeit verbringt Benedikt in seinem Büro, dessen Wände ringsum mit überfüllten Bücherregalen verkleidet sind; darunter natürlich die gesammelten Werke des Theologen Josef Ratzinger. "Alle Stationen meines Lebens sind in diesen Büchern enthalten", sagt er. Ob er hier noch täglich arbeite? "Ja schon, das gehört sich." Auch wenn er keine lange Texte mehr schreiben könne.
Trotz Gebrechen immer diszipliniert
Allen Gebrechen zum Trotz ist er mit seinen bald 93 Jahren noch so diszipliniert wie in seinem ganzen Priesterleben. Der kleine Spaziergang in den Vatikanischen Gärten mit dem Gebet des Rosenkranzes gehört zum Alltag. Am späten Nachmittag lässt sich der Emeritus in Gänsweins Begleitung mit einem Golf-Cart zur Lourdes-Grotte bringen. Von hier aus genießt man einen Panoramablick über Petersdom, Ewige Stadt und Sabiner Berge.
Benedikt versinkt ins Gebet: für seinen Nachfolger Franziskus, für die Kirche, für die Welt mit all ihren Krisenherden. Noch immer ist der Emeritus bestens informiert. Abends sieht er zunächst die "Rundschau" im Bayerischen Fernsehen; es folgt gewöhnlich die "heute"-Sendung im ZDF. Später das "Telegiornale", die Hauptnachrichtensendung von RAI 1.
Größere Gruppen werden nicht mehr zum greisen Papst vorgelassen. Zu viele Personen irritieren ihn, da er schlecht hört. Gäste empfängt er am liebsten einzeln; besonders gern alte Freunde aus Deutschland. Viermal im Jahr kommt Bruder Georg (95) aus Regensburg zu Besuch. Ansonsten telefonieren die beiden täglich.
Ob er seinen Rücktritt je bereut habe? Die Antwort gibt Erzbischof Gänswein, der jene Tage im Februar 2013 an seiner Seite durchlebt hat: "Nein. Der Rücktritt war eine lange, reichlich durchbetete und durchlittene Entscheidung, die er nie bereut hat. Er ist mit sich völlig im Reinen."
kna