Schlosskapelle in Liebenburg im Braunschweiger Land
Im Theatersaal Gottes
Prächtige Barockkirchen? Die vermuten wir doch eher im Süden Deutschlands. Aber auch im nördlichen Bistum Hildesheim gibt es ein paar Ausnahmen: In Liebenburg im Braunschweiger Land finden wir die opulent ausgestattete Schlosskapelle. Eine Kirche für alle Sinne, die dem Betrachter ein bemerkenswertes Bildprogramm liefert.
Mehr Inszenierung geht kaum. Die Kirche als „Theatersaal Gottes“ war nie prächtiger ausgestattet als in der Barockzeit. Eine Fülle an Farben, Vergoldungen, Figuren, Symbolen, Legenden und biblischen Geschichten, lieblichen Engeln und Strahlenkränzen, raffinierte Hell-Dunkel-Effekte inklusive. Eine Kirche für die Sinne. Ein herausragendes Bildprogramm findet sich auch in der Schlosskapelle von Liebenburg, die so groß ist, dass sie das halbe Schlossgebäude einnimmt. Das ist bemerkenswert, denn das Jagdschloss, das Fürstbischof Clemens August zwischen 1754 und 1760 am nördlichen Harzrand im Braunschweiger Land erbauen ließ, sollte nicht nur als Amts- und Verwaltungssitz dienen, sondern auch der rund 250 Mitglieder umfassenden Jagdgesellschaft des bischöflichen Bauherrn Platz bieten. Da die Bauunterlagen verbrannt sind, weiß man nicht, wer das Schloss entworfen hat, es gibt aber Verweise auf den berühmten westfälischen Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun, der häufig für Clemens August tätig war. Die Schlosskapelle wurde in den 1980er Jahren umfassend restauriert. Noch heute feiern die Liebenburger hier regelmäßig Gottesdienst.
Vor 50 Jahren von einem Künstler gekauft
Schlossherr ist der bekannte Maler und Grafiker Gerd Winner. Vor beinah 50 Jahren kaufte er die barocke Schlossanlage, setzte sie instand und richtete in dem Schlosstrakt, der zwischenzeitlich als Gerichtsgebäude diente, sein Atelier ein. Hier arbeitet und lebt er mit seiner Familie Wand an Wand zur Schlosskirche. Gerd Winner hat auch das grafische Kupferrelief der Marientür und das schlichte vergoldete Kreuz über dem Eingangsportal der Kirche gestaltet, eine harmonische Synthese aus barocker und zeitgenössischer Formensprache. Im Innenraum setzte er mit seinen Arbeiten ebenfalls behutsam eigene künstlerische Akzente.
Die barocke Deckenmalerei von 1758 stammt von dem bayerischen Künstler Joseph Gregor Winck, einem erfahrenen Freskenmaler des Spätbarock. Er war zuvor bereits vom Hildesheimer Domkapitel beauftragt worden, den Rittersaal des Domes mit einem Deckengemälde auszuschmücken, das Werk ist allerdings im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Winck blieb in Hildesheim und heiratete die Schwester eines Domherren. Er erhielt auch andernorts Aufträge, etwa die Ausmalung der Jesuitenkirche zu Büren im Landkreis von Paderborn oder die des Festsaals in Schloss Schliestedt im Kreis Wolfenbüttel. Hinzu kamen Arbeiten für kleinere Kirchen in der Umgebung, etwa in Schellerten oder Mehrum. Die Kapelle von Liebenburg jedoch ist sein wichtigstes Werk.
„Es gibt keine vergleichbare Malerei hier im Norden“, betont der Kunsthistoriker Christian Scholl. „Die Malerei hier in der Schlosskapelle ist wie von einem anderen Stern. Das ist Barock pur.“ Allein die gemalte Scheinarchitektur des Hochaltars ist überwältigend, ein dreidimensionales Spiel für die Sinne. Die als Relief erscheinende Grisaille-Darstellung der Trinität lenkt den Blick himmelwärts zum Deckengemälde mit seinem anspruchsvollen Bildprogramm. Erzählt wird die Legende des Heiligen Clemens von Rom. Wegen seiner erfolgreichen Missionierung soll der frühe Nachfolger des Apostels Petrus von Kaiser Trajan gemeinsam mit anderen Christen in die Marmorsteinbrüche vor den Toren des antiken Chersones verbannt worden sein. Dort herrschte großer Wassermangel. Als Clemens die Menschen zum Gebet versammelte, schaute er das Lamm Gottes, das mit dem Fuß scharrte. Genau an dieser Stelle befand sich eine Quelle. Die Menschen waren überglücklich und ließen sich taufen. Als der Kaiser davon hörte, ließ er den Heiligen Clemens mit einem Anker um den Hals ins Meer stürzen. „Am Bug des Schiffes steht mit ausgebreiteten Armen, den Blick zum Himmel gewandt, Papst Clemens. Er scheint bereits den aus den Wolken herabfliegenden Engel mit dem für ihn bestimmten Siegeskranz zu erblicken und den Putto, der ihm die Märtyrerpalme überreichen will,“ beschreibt der Kunstwissenschaftler Johannes Zahlten das Deckengemälde.
Ein Schauspiel der Frömmigkeit
„Das ist das Tollste an dieser Decke: Wenn man vom Mittelgang aus in Richtung Orgel schaut, dann hat man den Eindruck, als rauschte das Schiff über den Kopf hinweg,“ bestätigt der Hildesheimer Kunsthistoriker Christian Scholl und verweist dabei auf die zahlreichen Details an den Wänden. Engel als Mittler zwischen Himmel und Erde, die Taube als Symbol des Heiligen Geistes, Blüten und Ranken, die das Deckenfresco rahmen, Gold und Stuck, wohin sich das Auge wendet, ein Schauspiel der Frömmigkeit, das sich auch auf der Kanzel und im Orgelprospekt fortsetzt.
„Der Raum soll schwingen, also müssen seine Formen fließend sein; alles Harte und strenge ist verpönt. Malerei wie Architektur arbeiten mit optischen Täuschungen, die der Einbildungskraft immer neue Nahrung bieten“, schreibt der Theologe Hubertus Halbfas. Im Barock verbinden sich christlicher Glaube und Lebensfreude auf besondere Weise.
„Leider hat der Bauherr Clemens August die Schlosskirche in voller Schönheit nie gesehen, er starb, bevor das Gebäude fertig war“, sagt Martina Winner. Gemeinsam mit ihrem Mann Gerd Winner engagiert sie sich für das „Gotteshaus und Künstlerhaus“ im Schloss Liebenburg. Im privaten Flügel des Schlosses hängt wie in einer Galerie eine Auswahl von Winners Arbeiten, ausgestellt sind auch die Bilder von Winners verstorbener erster Frau, der Künstlerin Ingema Reuter. Im Schlosspark öffnet sich ein beindruckender Blick in die umgebende Natur. Hier draußen stehen heute mehrere Stahlskulpturen von Gerd Winner, teils auch im Kontext der „Straße des Friedens“, einem Skulpturenweg, der durch verschiedene Regionen führt – in Niedersachsen etwa von Bad Gandersheim nach Lamspringe.
Die Schlosskapelle von Liebenburg ist während der Gottesdienstzeiten geöffnet. Gruppenbesichtigungen auf Anfrage unter gerd.winner@t-online.de
Karin Dzionara
Stilelemente
Daran erkennen Sie eine Kirche im Stil des Barock:
- Geschwungene Fassaden
- Ausgeprägte Plastizität
- Illusionistische Malereien
- Dekorative Stuckfiguren