Gebetsschule
Je kürzer, desto besser
Allzu oft wirken Fürbitten lieblos und uninspiriert. Dabei können sie so wertvoll sein – und zeigen, wie viel der Gottesdienst mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Der Liturgie-Experte Eduard Nagel erklärt, wie das gelingt.
Seit langer Zeit beschäftigt sich Eduard Nagel mit der Frage, wie Liturgie gelingen kann. Er war viele Jahre Hauptschriftleiter der Zeitschriften „Gottesdienst“ und „praxis gottesdienst“ und Mitarbeiter am Deutschen Liturgischen Institut in Trier. Zur Frage, wie gute Fürbitten aussehen sollten, hat er Leitsätze erarbeitet, die jeder Gemeinde helfen können.
Fürbitten verbinden Gottesdienst und Leben.
Am besten, sagt Nagel, stellen sich die Leute, die die Fürbitten vorbereiten, konkrete Menschen aus ihrer Gemeinde vor und fragen sich: „Was sind ihre Nöte? Was liegt ihnen jetzt am Herzen?“ Das führe dazu, dass ihre Anliegen in den Bitten auch wirklich vorkommen. Es sei immer besser, konkret zu sein als abstrakt, sagt Nagel – etwa indem man für die eigene Partnergemeinde bitte statt allgemein für die Armen in der Welt. Helfen könne es auch, so Nagel, Fürbittbücher in der Kirche auszulegen und Bitten daraus aufzunehmen. Fingerspitzengefühl sei dabei jedoch wichtig: Nicht jeder will, dass sein Anliegen öffentlich ausgesprochen wird – schon gar nicht mit Namen.
Fürbitten sind keine Moralappelle.
Nagel betont, Fürbitten sollten keine Gesellschaftskritik sein oder ausdrücken, was andere konkret zu tun haben. Schlecht sei etwa, Handlungsanweisungen zu formulieren wie „Gib, dass die Politiker endlich für die Flüchtlinge in Griechenland sorgen“ oder „Gib, dass die Lehrer Rücksicht nehmen auf den schwächsten Schüler“. Darum müssten wir nicht bitten, sagt Nagel: „Das kann nicht einfach Gott bewirken. Das sind Sachen, die Menschen regeln müssen.“
Fürbitten setzen soziales Tun voraus, sie sind kein Ersatz dafür.
Es helfe niemandem, diese Verantwortung wegzuschieben zu Gott, sagt Nagel: „Das ist nicht Gebet. Gebet ist, Gott etwas ans Herz zu legen.“ Wer diesen Leitgedanken vor Augen habe, glaubt Nagel, der formuliere richtig: „Wir können Gott nur hinhalten, was uns bedrängt und was wir uns für andere wünschen würden – und wir können dann nur warten, was er damit anfängt.“ Passend seien also Formulierungen wie „Schau auf die ...“ oder „Sieh dir die Not an, die ...“
Fürbitten müssen dem Glauben der Gemeinde entsprechen.
Fürbitten müssten realistisch sein, sagt Nagel. Wer eine Bitte formuliert, solle sich fragen: „Erwarte ich das wirklich von Gott? Traue ich Gott zu, dass er da was bewirken kann?“ Nur so könne das Gebet echt sein: „Unwahrhaftiges Beten zerstört den Glauben.“ So ist es wohl besser, Schutz und Segen für jemanden zu erbitten – als dass Gott ihn mal eben von seiner Krankheit heilt.
Fürbitten sollen kurz sein.
„Je kürzer und prägnanter, desto besser“, sagt Nagel. In jeder Bitte solle ein Gedanke ausgesprochen werden, eine Gruppe von Menschen mit ihrer konkreten Not in den Blick genommen werden: „So viel Zeit sollte sein. Aber lange Fürbitten
mit zwei, drei Nebensätzen sind sinnlos.“ Die könnten die Zuhörer kaum nachvollziehen. Jede Überfrachtung sei ein Hindernis für das Verständnis.
Stille ist unverzichtbar.
Nach jeder Fürbitte sollte Stille sein, so dass sich die Zuhörer das, was gesagt worden ist, zu eigen machen können, sagt Nagel: „Man muss das Wort nicht nur hören, man muss es auch schlucken.“ Wie lange die Stille sein muss, hänge von der jeweiligen Fürbitte ab: „Das ist, wie wenn man Nahrung zu sich nimmt: Es gibt solche, die kann man relativ schnell schlucken. Und andere, die man länger kauen muss.“
Ein Leitgedanke erleichtert das Formulieren und Verstehen.
Bei besonderen Anlässen wie einer Taufe oder Trauung ist der Leitgedanke klar. Bei einem normalen Sonntagsgottesdienst könne er sich aus dem Evangelium ergeben, sagt Nagel. Der Leitgedanke aus der Verkündigung könne auch der Leitgedanke für die Fürbitten sein. Dieser Gedanke prägt die Einleitung, die Bitten und den Abschluss – ohne alles auf ein Thema einzuengen.
Standards sind ein guter Rahmen.
In der Regel gelten die Fürbitten den Anliegen der Weltkirche und der Ortsgemeinde, den Regierenden, den Notleidenden, allen Menschen und dem Heil der Welt. Nagel sagt, in normalen Gottesdiensten sollten diese Anliegen so vorkommen; die Reihenfolge aber könne man ändern.
Kinder sollen selbst formulieren.
Unglücklich findet Nagel es, wenn Erwachsene schwierige Fürbitten formulieren und sie Kindern nur auf einem Zettel in die Hand drücken. Dann tragen die Kinder etwas vor, das sie vielleicht gar nicht verstehen. Besser sei es, mit den Kindern Fürbitten zu formulieren: „Dann werden sie echt. Dann sind es wirklich die Bitten des Kindes.“
Andreas Lesch