Umgang mit Konflikten
Jesu Streittipps
Auch unter den ersten Christen gab es Streit. Etwa, wenn jemand meinte, ein anderer handle falsch. Was soll man dann tun? Jesus schlägt vier Schritte vor. Und die wende sie heute noch an, sagt die Beraterin Petra von der Osten.
Von Kerstin Ostendorf
Als Petra von der Osten das Evangelium dieses Sonntags las, war sie verblüfft. In der Beschreibung Jesu, was Brüder tun sollen, wenn sie miteinander streiten, erkennt sie viele Schritte, die sie in ihrer täglichen Arbeit macht. „Das, was Jesus dort nennt, entspricht immer noch den therapeutischen Regeln“, sagt die Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, die in einer Beratungsstelle des Erzbistums Paderborn in Dortmund arbeitet.
Täglich kommen Menschen zu ihr, die sich zerstritten haben und Hilfe brauchen: Ehepaare, Geschwister, Eltern mit ihren erwachsenen Kindern. „Wenn Menschen sich entscheiden, zu uns in die Beratungsstelle zu kommen, haben sie vieles schon ausprobiert“, sagt von der Osten. Sie hätten versucht, den Streit im Familienkreis beizulegen, miteinander zu sprechen, um so die Probleme auszuräumen.
Schritt 1: Vier-Augen-Gespräch
Denn das verlangt Jesus von den Streitenden: Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht. Solche Gespräche seien aber oft nicht einfach, sagt von der Osten. „Ich muss mit einer Offenheit ins Gespräch gehen, mit dem Wunsch zu hören: Was ist eigentlich los? Erzähl es mir, es interessiert mich. Lass mich in Kontakt kommen mit dir.“ Aber das sei schwierig. „Selbst mit bestem Willen wird diese Haltung oft über den Haufen geworfen, weil bei allen Beteiligten Verletzungen angetriggert werden.“ Dann reiche schon ein Stichwort, auf das der eine empfindlich reagiere, sich wehre und in den Angriff übergehe. „Und dann geht der Streit in die nächste Runde.“
Dabei gehe es oftmals nur scheinbar um äußerliche Dinge. „Es sieht so aus, als würde man sich um ein Haus oder ein Auto streiten, zugrunde liegen aber immer tiefe emotionale Verletzungen“, sagt die Beraterin. Unter Geschwistern sei es beispielsweise das Gefühl, von den Eltern ungleich behandelt worden zu sein, nicht wahrgenommen zu werden und der Eindruck, dass die eigenen Bedürfnisse nicht zählen. „Das fängt ganz klein an: Meine Schwester darf etwas, was ich nicht darf“, sagt von der Osten. Manchmal wird daraus etwas Großes, sagt von der Osten, etwa „Misstrauen und Härte, die das Beziehungsverhalten auch im Erwachsenenalter prägen“.
Schritt 2: Acht-Augen-Gespräch
Jesus sagt, in einem nächsten Schritt solle der eine sich zwei oder drei Zeugen suchen. „Aber man muss genau schauen, wer die beiden sind, die ich dazuhole“, sagt von der Osten. „Es gibt bei jedem Kampf Zuschauer, die die eine oder die andere Seite befeuern.“ Wenn Ehepartner in einem Streit jeweils ihre Mütter als Schlichter nähmen, könne man sich denken, dass das nicht besonders produktiv sei. „Dann weite ich den Konflikt nur aus und ziehe andere mit hinein“, sagt die Beraterin. Stattdessen könne es hilfreich sein, einzeln mit Freunden zu sprechen. „Da kann ich Dampf ablassen. Vielleicht bekomme ich auch zu hören, dass ich falsch gehandelt habe.“
In den Beratungen spürt von der Osten immer wieder, dass die beiden streitenden Parteien sie als Richterin sehen und jeweils Verständnis für ihre Position erwarten. „Aber ich als Beraterin kann mich nicht auf eine Seite schlagen“, sagt sie. „Wenn ich das täte, hätte ich den ersten Schritt getan, dass sich das Problem fortsetzt.“ Es gäbe dann einen Sieger – und der Verlierer würde den Beratungsprozess gleich abbrechen.
Schritt 3: Externe Beratung
Sie empfindet ihre Rolle eher als das, was Jesus als dritten Schritt vorschlägt: Hört der Bruder auch auf die Zeugen nicht, dann sag’ es der Gemeinde. „Die Gemeinde ist für mich der Beratungsraum“, sagt von der Osten. „Ich stehe stellvertretend für eine Öffentlichkeit und eine Kirche, die es sich leistet, mich auszubilden und zu bezahlen, damit ich fachlichen Rat in diesen geschützten Beratungsraum bringe.“ Sie hört zu, fragt nach und versucht herauszufinden, wo das eigentliche Problem liegt. Sie steuert das Gespräch zwischen den Streitenden und formuliert die Argumente neu, um sie vielleicht aus einer anderen Perspektive zu diskutieren. „Wir versuchen hier, das Problem zu verstehen und herauszufinden, was helfen könnte“, sagt von der Osten. „Gleichzeitig zeigen wir durch unsere Arbeit, wie eine Beziehung sein kann: verlässlich, zuhörend und gesprächsbereit.“
Schritt 4: Kontaktabbruch
Und dennoch kann es den Punkt in einer Beratung geben, an dem es nicht weitergeht. „Wenn jedes Gespräch mit dem Vater, der Schwester oder dem Partner scheitert, dann ist der Kontaktabbruch tatsächlich manchmal der einzige Weg“, sagt von der Osten. Auch Jesus sagt das: „Hört dein Bruder aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder Zöllner“, heißt es im Evangelium, also einer, mit dem man nicht spricht. „Das ist drastisch und fällt uns richtig schwer. Aber es gibt eben auch den Satz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sagt die Beraterin. „Ich soll liebevoll mit mir umgehen. Ich darf mir das Recht einräumen, nicht immer wieder kleingemacht, beleidigt oder gar geschlagen zu werden.“
Ein solcher Kontaktabbruch müsse auch nicht für immer sein. Petra von der Osten hat selbst schon erlebt, dass Menschen sich ändern. Sie erinnert sich an eine 70-Jährige, die in der Beratung erkannt hat, dass sie einen Anteil an den Problemen mit ihrer Tochter trägt. „Sie hat sich mit uns auf den Weg gemacht und hat in ihrem Alter noch einmal entdeckt, was ihr selber in Beziehungen gefehlt hat. Mit ihrer Tochter kann sie nun stückweise noch einmal neu anfangen.“ Mutter und Tochter hätten gelernt, gegenseitig wahrzunehmen, was die jeweils andere möchte. Petra von Osten sagt: „Jesus sagt ja auch, was zwei einmütig erbitten, werden sie vom himmlischen Vater erhalten. Und diese Einmütigkeit zwischen Mutter und Tochter – das ist ja wirklich schon himmlisch nach so viel Leid zuvor.“