Predigtreihe im Tag des Herrn

Jesus erwarten und Hosanna rufen

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Angesichts der Coronakrise veröffentlicht der Tag des Herrn die schriftliche Sonntagspredigt. Am Palmsonntag schreibt Pfarrer Matthias Patzelt aus Brandenburg an der Havel über Jesu Einzug in das persönliche Jerusalem im eigenen Herzen.

Auch die Pfarrkirche Heilige Dreifaltigkeit in Brandenburg an der Havel symbolisierte am Palmsonntag 2019 die Heilige Stadt und war mit Palmen geschmückt.    Foto: Michael Ernst
 
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Was heute sowohl im evangelischen als auch im katholischen Gesangbuch den Reigen der Adventslieder eröffnet, wurde im 17. Jahrhundert auf den Einzug Jesu in Jerusalem hin gedichtet: „Es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich.“ Doch die Tore bleiben an diesem Palmsonntag geschlossen. Die Palmen fallen weg: Ostern unter Palmen geht nicht; denn alle Reisen mussten storniert werden. Und die Palmen zu Beginn der Karwoche können wir uns sparen, weil es einen feierlichen Einzug in die von unseren Kirchen dargestellte Heilige Stadt nicht geben wird.
 
Heilige Woche als bloße Routine
Vielleicht ist die ganze Feier der Heiligen Woche für uns auch zu berechenbar geworden. Jedes Jahr das Gleiche, man weiß ja, was kommt: am Gründonnerstag die Fußwaschung, am Karfreitag die Kreuzverehrung und am Karsamstag hat man sowieso genug zu tun ... Aber im geistlichen Leben ist nichts schlimmer als das: Wenn wir wie Routiniers diese Tage begehen, Ostern feiern, die alte Geschichte hören – aber doch unbeteiligt bleiben. Die Frauen auf ihrem Weg zum Grab, die Jünger unterwegs nach Emmaus waren absolut beteiligt, aber sie wussten auch nicht, was kommt. Für sie hatte der Karsamstag auch nach drei Tagen noch nicht aufgehört. Sie waren betäubt, enttäuscht: „Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde.“ Und nun war alles aus. Sie hatten keine Vorstellung, wie es jetzt weitergehen kann. Auch für sie waren die Türen verschlossen.
Pfarrer Matthias Patzelt aus der Pfarrei Heilige Dreifaltigkeit in Brandenburg an der Havel.    Foto: Privat

Aber was machen wir jetzt in diesen Tagen? Natürlich sind unsere Bistümer und Pfarrgemeinden einfallsreich: offene Kirchen zum stillen Gebet, Sonntagsmesse über Videostream, Handreichungen für den Hausgottesdienst ... Wer will, ist gut versorgt. Aber die eigentliche Prozession nach Jerusalem, der Einzug mit Jesus in die Liturgie der Heiligen Woche ist trotzdem nicht möglich. Das Hosanna der Leute, die Jesus in die Heilige Stadt begleitet haben, bleibt 2020 stumm.
Allerdings gibt es im Matthäusevangelium, das uns durch dieses Lesejahr begleitet, noch ein zweites Hosanna: Gleich nach seinem Einzug in Jerusalem kommt Jesus in den Tempel. Und er sorgt für Ordnung (was viele Anwesende anders empfunden haben). Und mitten in den Trubel der umherfliegenden Tische und der die Flucht ergreifenden Händler kommen nicht nur Lahme und Blinde, die Jesus heilt, sondern auch Kinder und sie rufen „Hosanna dem Sohne Davids.“ Jesus verteidigt sie gegen die sich beklagenden Hohepriester und Schriftgelehrten mit einem Psalmwort: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob.“ (Ps 8,3) Für ihn sind es gerade die Unmündigen, denen der Vater die Offenbarung zuteil werden lässt (Mt 11,25), die niemand hindern darf, zu ihm zu kommen (Mt 19,14).
Wenn wir heutzutage Hosanna singen in der heiligen Messe, im Sanctus eines jeden eucharistischen Hochgebetes, so brauchen wir uns nicht nur mit den jubelnden Erwachsenen am Stadttor zu identifizieren, die die Palmsonntagsprozession feiern, sondern insbesondere auch mit den Kindern, die schon im Tempel sind und Gott loben. Die Neugetauften aller Altersklassen wurden in der frühen Kirche einfach als Kinder bezeichnet. Wir sind Kinder, die im Haus des Vaters einfach da sein dürfen.
Und wo ist Jerusalem? Wo will Jesus einziehen? Viele von Ihnen konnten am dritten Fastensonntag das letzte Mal zur Kirche kommen. Sieben Tage später waren alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt. Und gerade in dieser letzten heiligen Messe hörten Sie, wie der Herr der Frau am Jakobsbrunnen prophezeit hatte: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet, ... zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit.“ (Joh 4,21.23). Jesus will überall einziehen, damit der Vater auch überall im Geist und in der Wahrheit angebetet wird.
Vielleicht kann ich mir 2020 bewusst werden, dass in dieser ungewohnten Feier der Heiligen Woche nicht ich mich irgendwohin bewegen muss, sondern der Herr genau bei mir einziehen will, damit ich als Kind im Haus des Vaters lebe und im Geist und in der Wahrheit beten kann, wo immer ich gerade bin.
Und nichts davon darf mir gewöhnlich werden und berechenbar. Sein Kommen ist immer neu. Wo und wie ich ihn treffe, bestimmt er. Aber erwarten kann ich ihn und Hosanna rufen.

 

In diesem Jahr wird man kaum große Palmsonntagsprozessionen sehen, aber man kann auch allein in die Heilige Woche aufbrechen.    Foto: imago images/epd

 

Gott ist nicht an Sakramente gebunden
Und selbst wenn es mir verwehrt ist, das Sanctus in der heiligen Messe mitzusingen, steht ihm mein Jerusalem, mein Herz, mein Leben offen. Die Kirche wusste immer: Das Heil ist an die Sakramente gebunden, aber Gott ist nicht an die Sakramente gebunden. Wo mir die liturgische Feier nicht möglich ist, kann ich dennoch Gemeinschaft mit Christus haben, geistig kommunizieren, wie es auch in der letzten Strophe des alten Adventsliedes geschieht: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach, zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein. Dein Heilger Geist uns führ und leit, den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.“