Probleme durch die Pandemie
Jugendliche brauchen Hilfe
Wer über die Gefahren der Corona-Pandemie spricht, denkt meistens an alte und vorerkrankte Menschen. Die massiven psychischen Auswirkungen der Krise auf junge Menschen werden oft übersehen. Die Caritas fordert, das müsse sich ändern.
Von Andreas Lesch
Jennifer Catsam erlebt jeden Tag, was Jugendliche plagt: Einsamkeit, depressive Verstimmungen, selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, Suizidgedanken. Viele Probleme, die schon da waren, hätten sich in der Corona-Zeit verstärkt, sagt sie; und bereits bewältigte Probleme seien wieder aufgetaucht. Catsam ist Teamleiterin der Online-Suizidpräventionsberatung [U25] der Caritas Nürnberg. Sie sagt: „Corona hat massive Auswirkungen auf junge Menschen gehabt. Wir werden diese Auswirkungen noch jahrelang spüren.“
Für Jugendliche waren die anderthalb Corona-Jahre gefühlt eine viel längere Zeit als für Erwachsene. Vieles, was für ihre Entwicklung wichtig ist, ging nicht mehr: mit Freunden abhängen, sich zum ersten Mal verlieben, sich im Sport auspowern. Und viele Momente, die sie verpasst haben, werden nie nachgeholt werden: Klassenfahrten und Abipartys, Chorauftritte und Sportwettbewerbe. Dazu kamen das anstrengende Homeschooling und Angst um die Großeltern. „Jungen Menschen ist in der Corona-Zeit ganz viel Kontrolle und Selbstwirksamkeit genommen worden“, sagt Catsam.
Wer verzweifelt ist, kann sich anonym per Mail an das [U25]-Team wenden – und bekommt eine Antwort. „Allein diese Gedanken zu teilen, kann unglaublich entlastend sein“, sagt Catsam. Auch jetzt, da der Alltag sich nach und nach normalisiert, ist die Krise für einige Jugendliche keineswegs vorbei. „Viele junge Menschen können nicht so einfach einen Haken hinter die Corona-Zeit machen“, sagt Catsam. „Sie haben Ängste – vor Kontakt, vor so vielen Terminen, vor Menschen. Denen ist jetzt alles zu viel.“
Wichtig sei, so die Caritas-Teamleiterin, dass die Jugendlichen jetzt die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, um ihren Weg zu finden. Doch genau da hakt es. „Der Mangel bei Hilfsangeboten hat sich durch Corona verschärft“, beobachtet sie. Auch die neue Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sieht dieses Problem. „Im Moment fehlt es bei Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit und sozialpädagogischer Begleitung an allen Ecken und Enden“, sagt sie. Viele junge Menschen drohten „aus dem Hilfesystem herauszufallen oder sind bereits verloren gegangen“.
Kinder und Jugendliche müssen sich erwünscht fühlen
Welskop-Deffaa fordert, der Ausbau qualifizierter Beratung müsse gefördert werden. Auch brauche es mehr Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Junge Menschen mit Lernrückständen müssten individuell gefördert werden. Sie betont: „Wir brauchen eine soziale Infrastrukturpolitik, die das Leben der Menschen, auch der jungen Menschen, verlässlich absichert. Und wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die das Soziale nicht als Reparaturaufgabe ansieht, sondern als Investition in die Zukunft.“
Die Caritas-Chefin sagt: „Es ist von zentraler Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche erfahren: Wir sind erwünscht. Kinder und Jugendliche, denen diese Erfahrung fehlt, verlieren ihren Zukunftsmut. Der ungeheure Schatz, der in der Kreativität der Jugend liegt, geht damit der Gesellschaft verloren.“ Welskop-Deffaa fragt: „Welche Gesellschaft könnte sich das leisten – erst recht im Lichte des demografischen Wandels?“