Jahresserie Klösterreise – Von den Orden lernen
Keusch sein bedeutet, frei zu sein
Foto: Adobestock/annacovic
Armut – Keuschheit – Gehorsam: Die drei Räte gab Jesus im Evangelium denen, die „vollkommen sein“ wollten. Im dritten Jahrhundert zogen sich Christen aus den städtischen Gemeinden in die Wüste zurück, um Gott zu suchen und nur für ihn da zu sein. Aus dieser Bewegung entwickelten sich im Laufe der Zeit Klöster und Orden. Und Ordensleben ist geprägt von diesen evangelischen Räten.
Keuschheit – der Begriff wird häufig synonym verwendet für Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit, Ehelosigkeit. Jeder dieser Begriffe beschreibt den freiwilligen Verzicht auf gelebte Sexualität, in einem tieferen Sinn geht es aber um die unbedingte Liebe zu Gott und den Nächsten.
Die eigenen Wünsche zurücknehmen
„Keuschheit“, erläutert Pater Alexander Holzbach, „meint mehr als sexuelle Enthaltsamkeit. Keuschheit bedeutet, frei zu sein für die Nachfolge Christi. Der Begriff umschreibt die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen, eigene Wünsche zurückzustellen, um Gott und den Nächsten mit dem ganzen Leben gerecht werden zu wollen. Paulus hat in diesem Zusammenhang das Wort vom ,ungeteilten Herzen‘ verwendet.“ Ein positiver Wert, der als Ideal schön klinge, unterstreicht er, aber: „Das glückt nicht immer“, räumt der 69-Jährige ein.
Keuschheit – die „Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen“: „Wir Ordensleute entscheiden uns bewusst dafür, keine Familie, keine Kinder zu haben. Das tun heute viele Menschen aus unterschiedlichsten Gründen. Bei Ordenschristen hat das etwas mit dem Auferstehungsglauben zu tun. Wir denken nicht, dass wir in unseren Kindern oder in den Herzen anderer weiterleben, sondern hoffen auf den Himmel“, sagt Pater Holzbach. Ihm sei, erzählt er, als junger Pater noch nicht voll bewusst gewesen, was der evangelische Rat der Keuschheit in all seinen Facetten, in all seiner Konsequenz bedeute, „das ist mir erst im Laufe der Zeit aufgegangen“. Seit mehr als 40 Jahren ist er Pallottiner-Pater und Priester. „Und ich bin es immer noch gerne“, betont Alexander Holzbach. Krisen, sagt er, habe es gegeben. „Aber ich hatte sozusagen Glück. Ich habe nie die große Liebe entdeckt und deswegen nie die Versuchung durchlebt, die Gemeinschaft zu verlassen.“
In Krisen helfen Gespräche mit Vertrauten
Doch Holzbach weiß auch: Das geht nicht allen Ordensleuten so. „Um Hilfe zu bekommen, muss man sich jemandem anvertrauen.“ Welche Hilfe, welche Unterstützung brauchen diejenigen, die Krisen erleben, die mit der Keuschheit hadern? „Da gibt es verschiedene Ebenen. Im kleinen, vertrauten Kreis darüber sprechen, das passiert oft. Nicht jedoch in einem großen Kreis, etwa beim Abendessen.“ Das Gespräch mit einem geistlichen Begleiter sei wichtig, führe aber manchmal auch nicht weiter, so seine Beobachtung.
Wem eine Vertrauensperson nicht weiterhelfen könne, dem werde professionelle Hilfe vermittelt – zum Beispiel im Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach. Dort können sich vor allem Priester und Ordensleute körperlich, psychisch und geistlich-spirituell stärken. „Aber auch das gelingt nicht immer“, berichtet der Limburger Hausobere. Dauerhaft mit der Keuschheit zu hadern, führt zu großen Zweifeln und mindert die Lebensqualität, weiß Holzbach: „Es folgt oft Verbitterung! Da ist ein Austritt aus der Ordensgemeinschaft sinnvoller, wenn jemand zu dem Schluss kommt: ,Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich für mich einen anderen Lebensweg gewählt‘.“
Keine Familie zu haben – was das bedeutet, das erlebten seine Mitbrüder mit voller Wucht oft erst im Alter, beobachtet der Rektor des Limburger Missionshauses der Pallottiner. Besonders dann, wenn sie Besuch von Angehörigen bekommen. „Viele blühen auf, wenn Kinder dabei sind.“ Sie erlebten bei ihren Verwandten, wie sehr es sie verändere, wie sehr es sie erfülle, Großvater, Großmutter zu sein. Aber sie bekämen auch Tränen in die Augen, wenn ihnen dadurch bewusst werde: „Ich werde niemals Opa sein, nie Enkel haben.“
„Versuchungen gibt es in jedem Leben“
Manche Menschen, sagt Pater Alexander Holzbach, entscheiden sich für ein Leben in einer Ordensgemeinschaft, weil sie meinen, dort gut aufgenommen zu sein. „Das ist ein Irrtum. Das Leben in Gemeinschaft ersetzt zwar in gewisser Weise die Familie, ist gut gegen das Allein-sein, aber auch anstrengend. Man hat sich ja die Mitbrüder nicht ausgesucht und muss mit ihnen leben, so wie sie sind.“
Fällt es Ordensfrauen leichter als Ordensmännern, keusch zu leben? „Ich weiß darauf keine Antwort“, sagt Pater Holzbach. „Ich denke aber, es ist für Männer wie Frauen gleichermaßen eine Herausforderung. Versuchungen“, fügt er hinzu, „gibt es in jedem Leben.“ Was wäre, wenn der evangelische Rat der Keuschheit ganz wegfiele? „Dann würde ein Orden aufhören, ein Orden zu sein. Und unsere Kirche hätte keine Klöster mehr“, sagt der Pater und fügt nachdenklich hinzu: „Ich bin sehr gespannt, ob sich in Zukunft noch Getaufte in diese Lebensform berufen wissen.“