Religionsfreiheit in der Ukraine ist in Gefahr

Kirchen unter Beschuss

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Blick in den durch eine russische Rakete zerstörten Altarraum der Verklärungskathedrale in Odessa
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Foto: imago/Ukrinform

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Zerstört: die Verklärungskathedrale in Odessa nach einem russischen Raketenangriff im Juli 

Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind mittlerweile 450 Gotteshäuser zerstört worden. In Gefahr sind aber nicht nur Gebäude: Auf dem Spiel steht die Religionsfreiheit der christlichen Kirchen in dem Land.

An einem Abend Ende August kamen russische Soldaten zur katholischen Kapelle in der Hafenstadt Skadowsk. Sie brachen die Tür auf und schlugen Fenster ein. „Zum Glück waren keine Menschen dort, denn sonst wären sie alle als Terroristen gefangen genommen worden“, sagte Stanislaw Szyrokoradiuk, römisch-katholischer Bischof von Odessa. Die Kleinstadt Skadowsk gehört zu seiner Diözese. Sie liegt südlich von Cherson und wurde im März 2022 von der russischen Armee eingenommen. Die Soldaten riegelten die Kapelle ab. Nach Angaben des Bischofs steht der örtliche Priester auf einer Fahndungsliste und werde als Drogenboss bezeichnet. Er sei aber in Sicherheit, weil er nach Polen gegangen sei, so Szyrokoradiuk.

Die Geschichte um die Kapelle in Skadowsk ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr die Religionsfreiheit in der Ukraine unter Druck gerät. Durch den russischen Angriffskrieg sind bisher 450 Kirchen zerstört worden. Das geht aus einem aktuellen Länderbericht hervor, den die beiden katholischen Hilfswerke Renovabis und missio Aachen veröffentlicht haben. Weitaus öfter als katholische würden aber orthodoxe Gotteshäuser zerstört, heißt es in dem Bericht. Das widerlege die russische Propaganda, wonach es dem Präsidenten Wladimir Putin um die „Rettung der orthodoxen Zivilisation“ gehe, schreiben die Theologin Regina Elsner von der Universität Münster und die Religionswissenschaftlerin Iryna Fenno aus Kiew.

Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk in seinem Büro in Odessa
Erlebt die Zerstörung von Gotteshäusern: Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk. Foto: kna/Francesca Volpi

Im Juli etwa wurde bei einem Angriff auf die Hafenstadt Odessa unter anderem die orthodoxe Verklärungskathedrale schwer beschädigt, als sie von einer Rakete getroffen wurde. Ein Wachmann wurde dabei verletzt. Die Decke der Kirche stürzte teilweise ein, durch den Beschuss brach ein Feuer aus und das Löschwasser sorgte für weitere Schäden. Erst 2010 hatte der Moskauer Patriarch Kyrill I. die Kathedrale eingeweiht. 

Dem Bericht der Hilfswerke zufolge haben sich die schon vor 2022 festgestellten Verletzungen der Religionsfreiheit in den russisch besetzten Gebieten massiv verschärft. „Geistliche und Gläubige werden durch die russischen Besatzer schikaniert, verfolgt und im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen getötet“, so Elsner und Fenno. Grundsätzlich würden religiöse Aktivisten, Gläubige und Freiwillige, die ihre Unterstützung für das Besatzungsregime nicht zum Ausdruck bringen, besonders hart verfolgt. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), die sich 2018 neu gründete, darf in den besetzten Regionen nicht mehr arbeiten. Und auch die ehemals mit Russland verbundene Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) gerät unter Druck: Das Moskauer Patriarchat übernahm ihre Diözesen in dem Gebiet und trennte sie von der Kiewer Metropolie.

2022 trennte sich die UOK zwar von der Russischen Orthodoxen Kirche und dem Moskauer Patriarchat, da Kyrill I. und seine Kirchenleitung den Angriff auf die Ukraine uneingeschränkt unterstützen. Doch manches an ihrem Status und an ihrer Bindung zu Moskau bleibt unklar. Das gilt auch für die konkurrierende OKU. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren vor allem im Westen des Landes Anhänger gefunden. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hat sie als eigenständige orthodoxe Kirche anerkannt – viele andere orthodoxe Kirchen lehnen sie allerdings ab. Zwischen diesen beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine – der UOK und der OKU – gibt es lehrmäßig keinen Unterschied. Doch bekriegen sie sich und erkennen sich gegenseitig nicht an. 

Ukraine verhängt Sanktionen gegen Priester

Laut dem Bericht der Hilfswerke spielt nun massiv die Politik mit hinein: Die ukrainische Regierung verdächtigt die UOK der Kollaboration mit den russischen Angreifern. Daher beschloss der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine Ende 2022 Änderungen, die es religiösen Organisationen, die mit Russland verbunden sind, unmöglich machen sollten, in der Ukraine weiterhin tätig zu sein. Daraufhin wurden Sanktionen gegen zehn Personen verhängt, die mit der Russischen Orthodoxen Kirche in Verbindung stehen – darunter die meisten Bischöfe in den besetzten Gebieten und auf der Krim. Die russische Kriegspropaganda wirft in diesem Zusammenhang Kiew die Verletzung der Religionsfreiheit vor.

In den vergangenen Monaten entzündete sich der Konflikt vor allem am Kiewer Höhlenkloster: Die UOK beansprucht es weiterhin für sich, die neue OKU möchte dagegen ihren Anspruch auf das Erbe der Kiewer Tradition durchsetzen. Die ukrainische Spionageabwehr nahm Geistliche der UOK ins Visier und entzog der Kirche weite Teile des Höhlenklosters. Außerdem gibt es Berichte über Versuche, den Wechsel von Pfarreien der UOK zur OKU zu erzwingen.

Dennoch geben die beiden Autorinnen des Berichts, Elsner und Fenno, die Hoffnung nicht auf: Sie setzen auf Dialoginitiativen zwischen den beiden konkurrierenden orthodoxen Kirchen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Allukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen. Er versammelt seit 1996 Akteure aller Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Dialog. Solche Foren sollen die Beziehungen zwischen den Religionen und Konfessionen fördern und helfen, „gemeinsame Interessen gegenüber dem Staat zum Ausdruck zu bringen“, heißt es in dem Bericht. Die russische Staatskirche wolle solche Dialoge verhindern, sie seien aber wichtig für ein friedliches Zusammenleben in der Ukraine, schreiben die Autorinnen. Denn die Einhaltung internationaler Rechtsstandards und die Begrenzung öffentlicher Stigmatisierung einzelner Religionsgemeinschaften bedürfe besonderer Aufmerksamkeit. Trotz Krieg und Konflikten – man spricht also noch miteinander. 

kna/vbp