CO2-Kompensation für den Klimaschutz
Klima-Kollekte: Alle müssen mitmachen
Die Klima-Kollekte ist der kirchliche CO2-Kompensationsfonds. Bei ihr kann jeder Einzelne seine Emissionen kompensieren. Gibt das den Menschen nicht das Gefühl, sie könnten sich freikaufen? Ein Interview mit Sina Brod, der Geschäftsführerin der Klima-Kollekte.
Die Klima-Kollekte gibt es jetzt seit zehn Jahren. Wie sehr hat sich in dieser Zeit das Klimabewusstsein der Menschen verändert?
Mein Eindruck ist, dass es stark gewachsen ist. Viele Privatpersonen kompensieren mittlerweile ihre CO2-Emissionen über uns, sie machen schon ein Viertel unserer Spendeneinnahmen aus. Das war in unseren Gründungsjahren nicht so. Manche kompensieren gezielt Flugreisen. Andere spenden, weil sie keine Möglichkeit haben, ihre Ölheizung zu ersetzen. Und wieder andere kompensieren sogar ihren kompletten CO2-Ausstoß des ganzen Jahres. Das sind im Deutschland im Schnitt zehn Tonnen pro Person. Macht 250 Euro für die Kompensation.
Die Idee, seine individuellen CO2-Emissionen zu kompensieren, nimmt die Einzelnen bei der Bewältigung der Klimakrise stark in die Verantwortung. Ist das sinnvoll?
Im ersten und zweiten Schritt sollte man versuchen, CO2-Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren. Als dritter Schritt ist eine Kompensation dann absolut sinnvoll. Sie ist eine gut handhabbare Möglichkeit, unvermeidbare Emissionen durch die Unterstützung unserer Klimaschutzprojekte im globalen Süden auszugleichen. Diese Projekte sparen nicht nur CO2 ein, sondern sie bekämpfen auch Armut. Eine Kompensation ist deshalb auch ein Beitrag zu klimagerechtem Handeln – vor dem Hintergrund, dass wir im globalen Norden ja zu viel CO2 ausstoßen.
Führende Klimaforscher wie der US-Amerikaner Michael E. Mann finden den Blick auf den individuellen CO2-Fußabdruck aber problematisch. Sie kritisieren, er führe dazu, dass von der entscheidenden Verantwortung der Politik und großer Konzerne in der Klimakrise abgelenkt wird. Wie sehen Sie das?
Alle müssen mitmachen beim Klimaschutz. Es stimmt, die Politik und die Unternehmen müssen stärker Verantwortung übernehmen. Die Politik muss speziell die Emissionen im Verkehrs- und Energiesektor weiter senken und den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker vorantreiben. Sie kann den Klimaschutz nicht immer auf die Bürger abwälzen. Nur, wenn die Politik konsequenter handelt, können wir es überhaupt schaffen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Aber?
Aber die Einzelnen müssen eben auch ihren Beitrag leisten. Möglichkeiten dafür gibt es jeden Tag. Nur ein Beispiel: Die vielen Online-Paket-Bestellungen in der Corona-Zeit haben einen starken CO2-Ausstoß erzeugt. Hier kann jeder überlegen, ob er nicht auch weniger bestellen kann – und ob er manches wirklich zurücksenden muss.
Sollte die Politik das Verhalten der Menschen stärker lenken – und durch einen deutlich höheren CO2-Preis klimafreundliches Verhalten belohnen und klimafeindliches Verhalten bestrafen?
Was die Politik vorgibt, ist maßgeblich. Es ist wichtig, dass die Politik die einzelnen Akteure auf dem Weg zu einem stärker klimaschützenden Verhalten fördert und ihnen dafür Vorteile verschafft. Entscheidend ist, dass eine CO2-Abgabe sozial gerecht umgesetzt wird. Dass also einkommensschwache Haushalte aus den zusätzlichen Einnahmen auch Mittel vom Staat zurückbekommen – damit sie durch die Abgabe nicht noch stärker benachteiligt werden als ohnehin schon.
Bei der Klima-Kollekte kompensieren Menschen ihre Emissionen freiwillig. Ist das moralisch in Ordnung: durch die Kompensation sein Gewissen zu beruhigen und dann weiter in den Urlaub fliegen, als gäbe es keine Klimakrise?
Das muss jede und jeder für sich selbst entscheiden, was für sie oder ihn in Ordnung ist. Das kann nicht die Klima-Kollekte entscheiden.
Suggeriert die Möglichkeit der Kompensation den Menschen nicht aber, dass sie weiterleben können wie bisher?
Nein, das denke ich nicht. Wenn Menschen bei uns ihre Emissionen kompensieren, ist ihnen ja schon mal bewusst, dass sie einen CO2-Ausstoß haben. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Wie klimafreundlich sie leben wollen, ist dann die nächste Frage. Klar ist in jedem Fall, dass die Kompensation von Emissionen nicht das erste Mittel der Wahl ist und schon gar keine Lösung für unser Klimaproblem bietet. Sie kann nur eine Übergangslösung sein. Aber sie wird uns nicht langfristig helfen, den Klimawandel zu stoppen.
Sie wird uns auch nicht davon befreien, künftig auf vieles zu verzichten und unseren Lebensstil grundlegend zu verändern, oder?
Das stimmt, aber wenn diese Veränderung gelingen soll, muss es halt auch bessere Alternativen geben. Wenn beispielsweise das Bahnnetz in Deutschland besser ausgebaut wäre, würden weniger Menschen mit dem Pkw fahren und viele würden auch auf Flüge verzichten. Der Erfolg der Bahn auf der neuen Schnellstrecke zwischen Berlin und München beweist das. Durch solche Angebote ist die Bahn im Vergleich zum Flugzeug nicht nur klimafreundlicher, sondern auch zeitsparender und entspannter. Sie führen dazu, dass sich automatisch mehr Menschen klimafreundlicher verhalten – und wir die Kompensation gar nicht mehr so oft brauchen.
Mehr als Nichtchristen? Ich fände es vermessen, das so zu sagen. Jeder Mensch sollte eine Verpflichtung sehen, die Schöpfung zu bewahren und die Erde zu schützen, so dass die nachfolgenden Generationen noch gut darauf leben können. Wenn Christinnen und Christen ihre Emissionen kompensieren, wäre es allerdings wünschenswert, dass sie besonders auf die Klimagerechtigkeit und Solidarität der Anbieter achten.
Wie meinen Sie das?
Anders als die Projekte anderer Kompensationsanbieter helfen unsere Klimaschutzprojekte nicht nur, die Schöpfung zu bewahren, sondern sie verbessern auch die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
In Indien bekommen Familien in ihren Hütten durch unsere Unterstützung kleine Solarlampen. Sie sind dadurch nicht mehr auf Kerosinlampen angewiesen, die zum einen gesundheitsschädlich sind und zum anderen sehr schwach. Durch die neuen Lampen sparen sie also nicht nur CO2. Die Kinder haben auch die Möglichkeit, abends noch mal das Handy aufzuladen oder ein Buch für die Schule zu lesen. Und die Frauen können abends Näharbeiten durchführen, weil sie jetzt auch in der Dunkelheit Licht in der Hütte haben. Dadurch können sie mehr Einkommen generieren und ihre Familie besser ernähren.
Was unterscheidet die Klima-Kollekte noch von anderen, nichtchristlichen Kompensationsanbietern wie Atmosfair?
Anders als andere Anbieter fördern wir mit unseren Einnahmen gezielt Bildungsarbeit zum Klimaschutz. Gemeinden können bei uns für ihre Veranstaltungen Instrumente ausleihen wie die interaktive Klimawaage, mit der jeder ermitteln kann, wie viele CO2-Emissionen er durch seine Mobilität verursacht. Außerdem legen wir besonderen Wert darauf, dass unsere Projekte lokal verankert sind.
Das heißt?
Unsere Partnerorganisationen, die schon viele Jahre mit unseren Gesellschafterhäusern wie Misereor oder Brot für die Welt kooperieren, schlagen ein Projekt vor, weil sie vor Ort einen Bedarf identifiziert haben, etwa: Energieeffiziente Herde werden benötigt. Wir unterstützen dieses Projekt dann. Wir richten uns also stark danach, was vor Ort gebraucht wird – statt wie andere von Deutschland aus mit eigenen Projekten ins Land zu gehen.
Die Klima-Kollekte
Die Klima-Kollekte ist der kirchliche CO2-Kompensationsfonds. Zu ihren Gesellschafterhäusern gehören Misereor, das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, der Deutsche Caritasverband, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Brot für die Welt. Seit der Gründung im Jahr 2011 hat die Klima-Kollekte mit Hilfe ihrer Unterstützer eine CO2-Einsparung von über 225 000 Tonnen CO2 erreicht.
Wie könnten Sie mehr Menschen überzeugen, bei Ihnen zu kompensieren – und auch für Nichtchristen attraktiver werden?
Wir sind schon auf dem Weg, attraktiver zu werden für andere. Vor acht, neun Jahren haben uns fast keine privatwirtschaftlichen Unternehmen angefragt. Mittlerweile bekommen wir viele Anfragen – von Biobäckereien, von Banken, auch von Start-ups. Aber klar ist da noch Luft nach oben, auch bei kirchlichen Institutionen. Einige Bistümer kompensieren ihre Emissionen immerhin schon vollumfänglich über uns, etwa das Bistum Limburg oder das Bistum Trier. Das Bistum Augsburg ist in diesem Jahr dazugekommen und kompensiert die energiebedingten Emissionen seiner Liegenschaften. Das ist ein gutes Modell für Bistümer, die vielleicht ad hoc keine Mittel zur Verfügung haben, um ihre Liegenschaften energetisch zu sanieren – und trotzdem deren Emissionen kompensieren wollen.
Wie erklären Sie sich, dass in der Kirche noch so viel Luft nach oben ist? Sie müsste doch mit gutem Beispiel vorangehen.
Ja, sollte sie. Aber wenn ein Bistum all seine Emissionen kompensieren will, dann ist das natürlich auch nicht ganz günstig. Das tut dann finanziell schon weh. Und diesen Schmerz muss sich ein Bistum natürlich auch leisten können – und leisten wollen.
Werfen wir einen Blick nach vorn: Wie lange werden wir CO2-Kompensationen noch brauchen?
Mein Wunsch wäre, dass Organisationen wie die Klima-Kollekte irgendwann überflüssig werden, weil nichts mehr zu kompensieren ist. Aber das wird auf jeden Fall noch bis Ende des Jahrhunderts dauern.
So lange?
Ja. Zum einen geht es mit dem Klimaschutz in Deutschland bisher viel zu langsam voran. Zum anderen sind wir ja schon wegen unserer Infrastruktur gar nicht in der Lage, auf netto null Emissionen zu kommen. Selbst wenn wir als Einzelne uns massiv mäßigen und stark CO2-reduziert leben würden, kämen wir wahrscheinlich nicht unter fünf Tonnen CO2-Ausstoß pro Person und Jahr. Weil die öffentliche Infrastruktur, die wir alle nutzen, schon so viele Emissionen verursacht: etwa Straßen, öffentlicher Nahverkehr, Schulen. Es ist also fraglich, ob wir überhaupt ganz von der Kompensation wegkommen.
Interview: Andreas Lesch