Bund Neudeutschland hält Jahreskongress in Dresden ab

Kraft aus der Erinnerung

Image

Unter dem Motto „Erinnerung Macht Zukunft“ hielt der Bund Neudeutschland in der Osterwoche seinen Jahreskongress ab. Zum Auftakt gingen ostdeutsche Zeitzeugen verschiedener Epochen dem Potenzial von Erinnerungen nach.


Eine Ausstellung über den katholischen Beitrag zur deutsch-polnischen Versöhnung stieß während des Kongresses vor der Frauenkirche auf Interesse.| Fotos: Dorothee Wanzek



Wie ein Mensch Erlebnisse aus der Vergangenheit heute deutet, hat Einfluss auf seine Zukunftsvisionen, die seinem aktuellen Handeln Triebkraft geben. In einem Podiumsgespräch zum Auftakt des diesjährigen Kongresses von Bund Neudeutschland (ND) in Dresden sprachen prominente Zeitzeugen der Zerstörung Dresdens, der Friedlichen Revolution und der PEGIDA-Demonstrationen über ihre Erinnerungen.
Wie der Einzelne historische Geschehnisse bewertet, prägt sein Selbstbewusstsein und seine Identifikation mit Staat und Gesellschaft, wurde dabei deutlich.  Kann man bei den Ereignissen von 1989 tatsächlich von einer Revolution sprechen oder handelte es sich eher um eine Implosion des nicht mehr lebensfähigen DDR-Systems? Entsprachen der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes  und der Austausch der wesentlichen Funktionseliten durch Fachkräfte aus der Bundesrepublik dem Willen der Bürger oder war dies etwas Aufoktroyiertes?

Lutz Rathenow und Frank Richter im Gespräch mit dem Journalisten Klaus Prömpers (von rechts).

Erinnerung an 1989 motivierend für Versöhnung und Engagement
Frank Richter, der als Kaplan der Hofkirche im Oktober 1989 entscheidend dazu beitrug, dass die Konfrontation zwischen Staatsmacht und Demonstranten in Dresden friedlich verlief, war sich mit dem Bürgerrechtler Lutz Rathenow weitgehend einig: Auch wenn es eine Vielzahl von begünstigenden Einflussfaktoren gab, wesentlich für den friedlichen Regimewechsel waren die Aktivitäten der Bürger in großen Städten wie Plauen, Leipzig und Dresden. In der Erinnerung daran stecke Potenzial, das heute und künftig für Versöhnungsprozesse genutzt werden könne und zur demokratischen Mitgestaltung der Gesellschaft motiviere.
Einig waren sich beide auch: Die Wiedervereinigung entsprach in der vollzogenen Weise dem in der Wahl manifestierten Mehrheitswillen der Bevölkerung und verlief erstaunlich komplikationsarm. Sinnvolle Alternativen hätte es auch aus heutiger Sicht nicht gegeben. Nichtsdestotrotz könne ein so gravierender Regimewechsel unmöglich fehler- und problemlos verlaufen. Es sei Aufgabe heutiger Politik, sich den  erkannten Problemen zuzuwenden und nach Lösungen zu suchen. 
Kontroverse Deutungen der Vergangenheit hören und aushalten
Dass es Landsleute gibt, die zu anderen Deutungen der politischen Ereignisse von 1989 und 1990 kommen und sich in Folge dessen selbst in einer Opferrolle sehen, ihren Platz zum Teil sogar außerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung definieren, nehmen Frank Richter und Lutz Rathenow besorgt zur Kenntnis.
Kontroverse Deutungen und Positionen anzuhören und auszuhalten sei aber Bestandteil demokratischer Kultur, meint Frank Richter, derzeit parteiloser Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters von Meißen. Zugleich sei es wichtig, die eigenen Sichtweisen selbstbewusst immer wieder ins Gespräch zu bringen, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu betonen.
Auch Religion und geistiges Orientierungswissen seien entscheidend, damit Menschen sich mit ihrer Gesellschaft identifizieren und sich solidarisch verhalten, machte er deutlich. Das sozialistische Weltanschauungskonstrukt  habe ein Vakuum hinterlassen, das zuerst vom Neoliberalismus genutzt wurde mit der Botschaft: „Auch wenn alles unsicher wird. Du selbst bist dir geblieben. Nutze deine Ellenbogen!“ Gefolgt sei der Nationalismus, der Menschen auf der Suche nach Anerkennung, Wertschätzung und Zusammengehörigkeit signalisiere: „Ihr seid schon etwas wert, nur weil ihr Deutsche seid!“ Kirchen und anderen Weltanschauungsträgern sei es bisher zu wenig gelungen, in einer Sprache auf ihre Angebote hinzuweisen, die für die Menschen auch verständlich sei.

Kongressteilnehmer im Kongress-Zentrum, dem Dresdner St.-Benno-Gymnasium.

Viel beachtete Ausstellung zur Versöhnung mit Polen
Über sein angestammtes Milieu hinauszublicken und sich stärker als bisher zu öffnen, war auch ein Anliegen, das der aus der katholischen Jugendbewegung der 1920er Jahre hervorgegangene Bund Neudeutschland mit seinem Kongress in Dresden verband. Der bisherige Schwerpunkt liegt für die rund 4 000 Mitglieder laut Auskunft von ND-Geschäftsführer Franziskus Siepmann im bürgerlich-konservativen Milieu Südwestdeutschlands. In den neuen Bundesländern gebe es nur wenige Mitglieder.
In Dresden habe man erstmalig bewusst eine Reihe von Veranstaltungen ins Programm aufgenommen, zu denen alle Bürger eingeladen waren und dabei eng mit der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen und anderen Partnern zusammengearbeitet. Zu arbeitnehmerfreundlichen Uhrzeiten gab es unter anderem Podiumsdiskussionen zu Themen wie Verdrängung und Traumatisierung, DDR-Vertragsarbeiter oder soziale Folgen gesellschaftlicher Revolutionen.
Auf besonders große Aufmerksamkeit stieß dabei – nicht zuletzt wegen der zentralen Lage unmittelbar vor der Frauenkirche – eine von Justitia et Pax und dem Maximilien-Kolbe-Werk konzipierte Ausstellung über die Rolle der katholischen Kirche bei der deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Rund um die Uhr blieben immer wieder Passanten vor der Ausstellungs-Installation stehen und nahmen sich Zeit, die erläuternden Texte zu lesen. „Versöhnung und Überwindung von Gewalt und Unterdrückung sind Kernthemen unseres Verbandes“, hatte ein Vertreter der Programm-Kommission zur Eröffnung des Kongresses erläutert.

Von Dorothee Wanzek

Dorothee Wanzek

Meinung: Symphatisch erkennbar
Auch wenn die Chancen für katholische Verbände nach wie vor gering sein dürften, im Osten Deutschlands in Größenordnungen neue Mitglieder zu gewinnen: dass Verbände wie der Bund Neudeutschland sich hier präsentieren, ist wohltuend und hilfreich. Vordergründig waren nicht die Verbandsstrukturen wahrnehmbar, sondern eine angenehm selbstbewusste Einmischung in die Gesellschaft. Das, was Frank Richter sonst in der Kirche oft noch unterbelichtet sieht, hat der Bund Neudeutschland in der Osterwoche in Dresden gelebt. Er war als christliche Stimme für Menschen vernehmlich und verständlich, die Anerkennung, Wertschätzung und Zusammengehörigkeit vermissen.

Beliebteste Beiträge